19. April 2006 - dradio.de
Theologe: Papst Benedikt XVI. muss Entscheidungen fällen
Moderation: Dirk-Oliver Heckmann
Nach Einschätzung des Theologen Norbert Scholl wächst nach einem Jahr im Amt der Druck auf Papst Benedikt XVI., wichtige Entscheidungen zur Zukunft der katholischen Kirche zu fällen. Derzeit lasse der Papst Zeit zur Diskussion zum Beispiel über eine Zulassung verheirateter Männer zur Priesterordination und eine Lockerung der Zölibatsregeln, sagte Scholl, emeritierter Professor für katholische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. "Bei aller Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit und Schlichtheit im Auftreten, irgendwann muss halt auch mal etwas entschieden werden", betonte Scholl.
Dirk-Oliver Heckmann: Joseph Ratzinger, für viele war der Chef der Glaubenskongregation im Vatikan ein rotes Tuch. Italienische Zeitungen bezeichneten ihn sogar als Panzerkardinal unter Anspielung auf seine konservativen, manche sagen erzkonservativen Positionen. Würde Ratzinger die Kirche in noch konservativere Gefilde führen als es sein Vorgänger Johannes Paul II. getan hatte? Diese Frage kam auf, als Ratzinger heute vor einem Jahr zum Papst bestimmt wurde.
Norbert Scholl ist emeritierter Professor für katholische Theologie an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Er ist jetzt hier in den "Informationen am Morgen" am Telefon. Guten Morgen!
Haben sich denn die Befürchtungen, dass ein dogmatischer Hardliner zum Papst gewählt worden ist, eher bestätigt oder nicht aus Ihrer Sicht?
Norbert Scholl: Die haben sich nicht bestätigt, und ich glaube, das hat auch mit dem Amt zu tun, was er übernommen hat. Ein Amt wandelt ja auch die ganze Perspektive. Früher hatte er einen sehr starken Papst hinter sich oder vor sich, wie man das sehen will, und jetzt muss er alleine die Verantwortung tragen und hat eine weit größere Übersicht. Und das hat doch vieles geändert. Viele der Befürchtungen oder fast alle der Befürchtungen, die man gehabt hat, sind nicht eingetroffen.
Heckmann: Würden Sie auch sagen, dass sich atmosphärisch etwas geändert hat? Bei der Weltbischofssynode im Oktober letzten Jahres wurden ja durchaus auch abweichende Meinungen geäußert zur Frage beispielsweise, ob verheiratete Männer die Priesterweihe bekommen sollten, und das ist ja doch ein Novum gewesen im Vatikan, oder?
Scholl: Ja, da könnte man natürlich schon Kritik ansetzen. Natürlich: Es war eine andere Atmosphäre. Die Bischöfe konnten frei diskutieren, und es wurden auch die heißen Eisen angesprochen. Der Papst hat aufmerksam zugehört. Er hat bei den meisten Sitzungen teilgenommen, hat auch zum Teil selber in die Diskussion sich eingeschaltet. Aber was nun nicht gefolgt ist: eine Auswertung und eine praktische Umsetzung der Fragen, die dort angeschnitten wurden. Und das hat der vorige Papst ja gemacht. Er hat dann eine Zusammenfassung dieser Synoden gegeben - zugegeben aus seiner Perspektive -, hat da manches weggelassen, aber ich erwarte nun eigentlich vom jetzigen Papst, dass er das, was auf dieser Weltbischofssynode besprochen wurde zum Thema Eucharistie - da haben ja viele Bischöfe die "Viri Probati", also die Zulassung von bewährten verheirateten Männern zur Priesterordination, gefordert -, dass das nun auch mal konkret anpackt und in die Tat umgesetzt wird.
Heckmann: Das heißt, Sie hätten sich einen Kurswechsel von Ratzinger gewünscht und erwartet?
Scholl: Das muss ja nicht gleich ein harter Kurswechsel sein. Aber er ist ja ein guter Theologe, der, so hoffe ich, auch einen Einblick nicht nur in die abstrakten Höhen der Theologie hat, sondern auch in die praktischen Niederungen der Ebenen. Da sollte er sich doch fragen, was muss getan werden, damit diese Kirche, die ja doch in vieler Hinsicht unter einer Auszehrung leidet, allmählich wieder auf die Beine kommt?
Heckmann: Und was muss getan werden?
Scholl: Ich denke zum Beispiel, dass vieles umgesetzt wird, was bei der Weltbischofssynode angeschnitten wurde, also Zulassung von "Viri probati", dann auch eine Lockerung der Zölibatsvorschriften. Es ist auch sehr heftig diskutiert worden - das weiß ich, ich war selber in Rom - die Zulassung wieder verheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, insbesondere zur Eucharistie. Es wurde auch gesprochen über die Teilnahme von evangelischen Mitchristen an der Eucharistiefeier und vice versa auch von Katholen am evangelischen Abendmahl.
Heckmann: Sie haben die entscheidenden Knackpunkte, die immer wieder auch genannt werden, genannt. Inwieweit verträgt sich denn die Tatsache, dass in diesen Punkten eben keine Bewegung ist derzeit, mit der Enzyklika des Papstes "deus caritas est", die ja die Liebe Gottes in den Mittelpunkt des Glaubens gestellt hat?
Scholl: Der Papst ist ein sehr vorsichtiger und sehr bescheidener liebenswürdiger Mensch, jemand der nicht gleich loszieht und in Aktionismus verfällt. Das ist das Positive, und ich hoffe, es ist ein gutes Zeichen. Er lässt sich mal Zeit. Er lässt die Diskussionen laufen. Er lässt die Fragen wirklich wachsen. Und er wird irgendwann halt doch mal eine Entscheidung fällen müssen. Bei aller Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit und Schlichtheit im Auftreten, irgendwann muss halt auch mal etwas entschieden werden.
Heckmann: Es gibt Kritiker, die sagen, dass bei Papst Benedikt XVI. Wort und Tat einfach auseinanderfallen und das möglicherweise auch so bleiben wird.
Scholl: Persönlich würde ich das nicht sagen. Er ist auch in seinem Lebensstil ja ein äußerst bescheidener Mensch. Es geht das Gerücht um, wenn die Vatikanangestellten den Papst hätten wählen dürfen, sie hätten ihn alle gewählt, weil er eben so ein bescheidener Mensch ist. Das ist die eine Seite, aber damit genügt es eben nicht. Ich muss auch in einer behutsamen und vorsichtigen und nicht gleich wer weiß wie weit vorwärtspreschenden Weise Wege aufzeigen, die in die Zukunft gehen.
Heckmann: Auch beim Thema Ökumene beispielsweise?
Scholl: Ja genau.
Heckmann: Da kann ich mir vorstellen das würden Sie sicherlich auch erwähnen wollen, denn da gab es ja Signale von Papst Benedikt XVI. Richtung evangelische Kirche, die ja durchaus als geharnischt bezeichnet werden können, oder?
Scholl: Ich habe neulich die Frau Bischöfin Käßmann gehört. Sie war sehr, eigentlich pessimistisch. Ich erwarte nichts, und das ist ja nicht gerade eine sehr erfreuliche Meldung.
Heckmann: Weshalb erwarten Sie nichts?
Scholl: In Richtung Ökumene, dass sich hier ein Fortschritt zeigen wird.
Heckmann: Aber Sie sagten ja, dass Papst Benedikt XVI. sich durchaus auch veränderten Verhältnissen anpassen kann?
Scholl: Ich habe Sie jetzt nicht verstanden.
Heckmann: Aber Sie sagten ja auch, dass Papst Benedikt XVI. sich veränderten Verhältnissen und Entwicklungen anpassen kann, dass er durchaus flexibel ist?
Scholl: Ja, das ist zu hoffen. Und ich hoffe, dass er auch gute Berater um sich hat und Berater, die auch wirklich nicht sich scheuen, die Wahrheit auf den Tisch zu legen, und dass er dann den Mut hat - und er ist ja doch nicht gerade ein besonders mutiger Mensch -, hier konkrete Folgerungen daraus zu ziehen.
Heckmann: Die Euphorie war ja groß, als Joseph Ratzinger zum neuen Papst gewählt worden ist, auch unter den einfachen Gläubigen. Denken Sie, dass diese Euphorie sich fortsetzen wird und dass Papst Benedikt XVI. eine große Wirkung haben wird?
Scholl: Wenn die Euphorie anhält, wenn irgendwelche Neuerungen anstehen, dann wäre das ja schön. Ich fürchte nur, es ist einfach die liebenswürdige Art und die Menschlichkeit, die dieser Papst ausstrahlt, die ihn so anziehend macht. Und ich bin mal gespannt, wie das wird, wenn er irgendwelche Entscheidungen trifft. Da werden sicher manche dann aufschreien. Dann wird er plötzlich nicht mehr der ganz liebenswürdige Mensch sein.
Heckmann: Ein Jahr Papst Benedikt XVI. Ein Zwischenfazit war das, gezogen von Norbert Scholl, emeritierter Professor für katholische Theologie aus Heidelberg. Vielen Dank, Herr Scholl.
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Zuletzt geändert am 09.05.2006