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Veröffentlicht am 23­.02.2009

23.2.2009 - Neue Zürcher Zeitung

Irrtum eingeschlossen

Ein Nachwort zum Streit um den Papst und die Pius-Bruderschaft

Viel ist in den letzten Wochen über die Turbulenzen im Vatikan gerätselt worden. Angesichts der spektakulären Ereignisse war der Ton der Berichterstatter im Ganzen eher zurückhaltend: wenig Häme, eher Bedauern, Erschrecken, Verwunderung. Viele fragen sich noch immer: Was hat Benedikt in diese kritische Lage gebracht, was hat ihn in die Enge getrieben?

Von Hans Maier

Am Anfang stand, wie so oft, die gute Absicht. Der Papst wollte die Kirchenspaltung beenden, die durch die Opposition des französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre und seiner Anhänger gegen Beschlüsse des Zweiten Vatikanums entstanden war. Mit der Weihe von vier Bischöfen im schweizerischen Ecône hatten die Lefebvre-Anhänger dieses Schisma 1988 dauerhaft befestigt. Die Bischofsweihen waren zwar ohne päpstliche Zustimmung erfolgt und hatten damit die Exkommunikation nach sich gezogen, sie waren jedoch formal gültig, da ein geweihter Bischof die Hand aufgelegt hatte. So hing plötzlich die Drohung einer «Gegenkirche» über Kirche und Papst.

Nach dem Drehbuch der Brüder

Schon als Präfekt der Glaubenskongregation hatte Kardinal Ratzinger sich im Auftrag von Papst Johannes Paul II. um die Versöhnung bemüht – vergebens. Als Papst nahm er den Faden wieder auf. Das Bemühen, die Lefebvre-Anhänger zur Rückkehr in die kirchliche Gemeinschaft zu bewegen, zieht sich durch sein ganzes bisheriges Pontifikat – was man verstehen kann, gehört es doch zu seinen Pflichten, als Pontifex – als Brückenbauer – für die Einheit der Kirche zu sorgen.

Doch bei der Verfolgung dieser Ziele muss einiges in eine falsche Richtung gelaufen sein – und nachträglich sieht es fast so aus, als sei das Drehbuch der Versöhnung nicht vom Vatikan, sondern von der Pius-Bruderschaft entworfen worden. Auch fand der Papst unter denen, die er mit den Verhandlungen betraute, offensichtlich keinen, der dieser heiklen Aufgabe wirklich gewachsen war – andere, die es vielleicht gekonnt hätten, wurden nicht beteiligt. Der verhandelnde Kurienkardinal Castrillón Hoyos scheint tatsächlich auf die von der Bruderschaft getroffene Unterscheidung eingegangen zu sein: Anerkennung des päpstlichen Primats: ja – jedoch nachfolgende «Verhandlungen» über einzelne Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils. Hoyos scheint auch zur Erfüllung der von der Bruderschaft geforderten «Vorleistungen» geraten zu haben: zwei davon, die Wiederherstellung der tridentinischen Messe und die Aufhebung der Exkommunikation, wurden jedenfalls von Papst Benedikt XVI. erfüllt.

Ehe die nächste Seite des Drehbuchs aufgeschlagen wurde, trafen dann freilich in der internationalen Berichterstattung punktgenau zwei Meldungen aufeinander: einerseits die Behauptung des Bruderschaftsbischofs Williamson, «höchstens 200 000 oder 300 000 Juden» seien in den Konzentrationslagern gestorben, aber «nicht ein einziger von ihnen in Gaskammern» – und andererseits die von «väterlichen Empfindungen» des Papstes (so das Dekret) begleitete Aufhebung der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe, Williamson eingeschlossen. Das Ergebnis war ein internationaler Skandal.

Nicht nur Kommunikationsstörungen

Wie konnte es zu diesem Debakel kommen? Kommunikationsstörungen im Vatikan sind gewiss eine der Ursachen. Es fehlt in Rom ein – anderen Staaten vergleichbares – wöchentlich tagendes Kabinett, bei dessen Sitzungen die anliegenden Probleme erörtert und gemeinsame Entscheidungen herausgearbeitet werden. Man spricht zu wenig miteinander. Man unterrichtet auch oft die Öffentlichkeit zu spät.

Aber die Störungen bei der Kommunikation der Botschaft sind nur die eine Seite der Sache. Die andere Seite ist die Botschaft selbst. «Väterliche Empfindungen», die einen bekennenden Holocaustleugner einschliessen – das war dem Kirchenvolk, erst recht der Öffentlichkeit ausserhalb der Kirche, kaum zu vermitteln. Mit Bitterkeit denkt der schlichte Christ und gute Sünder angesichts der Vorfälle der letzten Wochen an die lange Reihe katholischer Theologen und Laien, denen in jüngerer Zeit wegen viel geringerer Abweichungen, oft auch nur wegen kritischer Stellungnahmen zu vatikanischen Entscheidungen, ebendiese Milde verweigert wurde.

So muss man fast dankbar sein, dass die jüngste Explosion den Prozess der Wiederannäherung des Vatikans an die Pius-Bruderschaft angehalten und eine Denkpause erzwungen hat. Weitere «Vorleistungen» von römischer Seite sind jetzt kaum mehr denkbar – zum Glück für die Kirche. Man muss abwarten, wie die Bruderschaft selbst mit der durch Williamson geschaffenen Lage zurechtkommt. Wird sie sich reformieren, wird sie sich spalten? Die Pius-Gemeinschaft hält das Zweite Vatikanum nach wie vor für ein Unglück – das «grösste Unglück des vergangenen Jahrhunderts», wie der deutsche Distriktsobere Franz Schmidberger schreibt. Auch die Bekehrung der Juden zum Christentum gehört unverändert zu ihren Zielen. «Wir sehen mit Trauer Papst Johannes Paul II. und nun auch Benedikt XVI. in eine jüdische Synagoge gehen. Wir sehen mit Trauer Johannes Paul II. die verschiedenen Weltreligionen nach Assisi zum gemeinsamen Gebet um den Frieden rufen» (so im Internet unter «Zaitzkofen»). Kurzum, eine Rückkehr in die Kirche setzte einen grundlegenden Wandel der Bruderschaft, eine Abkehr von ihren jetzigen Positionen voraus. Von ihrem augenblicklichen Zustand, ihren oft törichten, offen provozierenden Formulierungen, führt kein Weg dahin.

Wird auch der Papst die Denkpause nutzen? Er sollte es tun. Dabei wäre auch seine eigene Sicht auf das Zweite Vatikanum zu überdenken – jenes Konzil, an dem er führenden Anteil hatte, dessen Autorität er aber durch seine bisherigen Schritte gegenüber der Pius-Bruderschaft in Frage zu stellen droht. Benedikt XVI. betont immer wieder sehr stark die Kontinuität, die in der Kirchengeschichte walte, er wehrt sich gegen «diskontinuierliche» Auslegungen des Konzils. Aber in vielen Bereichen markiert das Zweite Vatikanum eben doch einen verpflichtenden Neuanfang, einen «point of no return».

«Vergebt uns!»

Nach «Nostra Aetate», der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, kann man als Katholik ernstlich nicht mehr Judenmission betreiben. Nach «Dignitatis humanae», der entsprechenden Erklärung zur Religionsfreiheit, kann man nicht mehr den Satz aufrechterhalten, der lange galt: «Keine Freiheit für den Irrtum.» Nach «Gaudium et Spes», der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, kann man nicht mehr integralistisch für alle profanen Bereiche verpflichtende Regeln aufstellen und diejenigen verfolgen, die sich nicht daran halten wollen und können.

Das Konzil ist kein totaler Bruch mit der Vergangenheit, aber es revidiert vieles in der Geschichte der Kirche – sei es aus gewachsener besserer Einsicht, sei es aus Reue über frühere Irrtümer und Verfehlungen. Die Kirche kann irren und hat geirrt. Sie kann sündigen und hat gesündigt. Hätte Johannes Paul II. sonst im Jahr 2000 sein «Vergebt uns!» gesprochen und dabei die ganze kirchliche Vergangenheit einbezogen?


Der Politikwissenschafter Hans Maier, von 1970 bis 1986 bayrischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, amtete von 1976 bis 1988 als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Bis 1999 hatte er an der Universität München den Lehrstuhl für christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie inne. «Kultur und politische Welt» ist der Titel des kürzlich erschienenen dritten Bandes seiner gesammelten Schriften.

Zuletzt geändert am 23­.02.2009