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Veröffentlicht am 05­.02.2009

5.2.2009 - dieGesellschafter.de

Benedikt XVI. und die Fettnäpfchen

Prof. Dr. Norbert Scholl, emeritierter Professor für katholische Theologie

Die Kritik an Papst Benedikt XVI reißt nicht ab, nachdem er den Holocaust-Leugner Bischof Williamson wieder in die Kirche aufgenommen hat. Der Zentralrat der Juden erklärte, er werde den Dialog mit der katholischen Kirche vorerst auf Eis legen, die Bundeskanzlerin drängte auf Klarstellung, und auch die »Katholiken fordern ein Einlenken des Papstes«. Der MDR zitiert den Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky mit den Worten: »Das muss in Ordnung gebracht werden«. Mit großer Spannung wurde deshalb gestern die wöchentliche Generalaudienz des Papstes erwartet. »Sagt er was oder sagt er nichts?«, fragte die TAGESSCHAU. Heute wissen wir: Er hat nicht. Zwar fordert der Vatikan einen Widerruf von dem Holocaust-Leugner, die Reaktionen auf diese Stellungnahme jedoch bleiben weiterhin gespalten. Der Theologe Norbert Scholl kommentiert ein hoch kontrovers gehandeltes Kapitel Kirchengeschichte.

Alles hatte so gut angefangen mit Benedikt XVI. Die Bildzeitung hatte sich sogar regelrecht mit ihm identifiziert: »Wir sind Papst«. Und die Herzen flogen ihm im Sturm zu - »Benedetto, Benedetto«. Wie konnte man nur sagen, dieser gütige Greis sei einmal als »Kettenhund Johannes Pauls II.« gefürchtet gewesen und bei seiner Wahl zum Papst hätten sich manche Katholikinnen und Katholiken die Haare gerauft!

Und es schien auch alles gut zu laufen. Benedikt gab keine Vorschriften und Verbote am laufenden Band wie sein Vorgänger heraus. Kein Theologe wurde von ihm gemaßregelt. Nach einem Jahr Amtszeit ließ er seine erste Enzyklika veröffentlichen: »Gott ist die Liebe« . Wunderbar! Er schrieb darin, dass Gott »uns seine Liebe sehen und spüren lässt« und dass so »als Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen« wird. Ein bisschen abgehoben und einseitig - als ob es nicht (Christen-)Menschen gäbe, die ganz andere Erfahrungen mit diesem Gott gemacht haben und die sich verzweifelt fragten: Wie kann Gott das zulassen?

Dann kam die Regensburger Vorlesung. Da trat Benedikt bei den Muslimen ins Fettnäpfchen. Aber er hatte das schnell wieder ausgebügelt. In Südamerika leistete er sich den nächsten Fauxpas, als er behauptete, die Indios hätten voll Sehnsucht auf das Christentum gewartet, das ihnen dann endlich durch die christlichen Seefahrer aus Spanien und Portugal geschenkt wurde. Er erwähnte nicht, dass das mit Schwert und Feuer geschah.

Und weil der Papst offenbar Gefallen daran gefunden hatte, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten, ging es weiter: Wiederzulassung der tridentinischen Messe von 1570 in lateinischer Sprache (wenn auch nur als »außerordentliche Form des Ritus«), neue Fürbitte für die (außerordentliche) Form der Karfreitagsliturgie (es soll jetzt darum gebetet werden, dass die Juden »zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« und dass »beim Eintritt der Fülle der Völker in die Kirche ganz Israel gerettet wird«). Beide Maßnahmen lösten erheblichen und verbreiteten Unmut im Kirchenvolk aus. Aber das focht den greisen Pontifex offenbar nicht an.

Jetzt folgte eine ganze Serie von Fettnäpfchen. Anfang des Jahres 2009 erfolgte die Aufhebung der 1988 verhängten Exkommunikation und die Rehabilitierung von vier Bischöfen der »Bruderschaft St. Pius X.«. Der französische Erzbischof Marcel Lefèbvre hatte sie 1970 gegründet, weil er mit den Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht einverstanden war. Dummerweise stellte sich heraus, dass einer dieser von Benedikt aus »väterlicher Einfühlsamkeit« rehabilitierten Bischöfe am 21.1.2009 in einem Interview mit dem schwedischen Sender SVT behauptet hatte, er glaube nicht daran, dass es im »Dritten Reich« Gaskammern gegeben habe und sechs Millionen Juden umgebracht worden seien. Ich frage mich: Warum hat der als so klug geltende Benedikt diesen Aspekt überhaupt nicht berücksichtigt? Ich kann nur hoffen, dass er und/oder seine Berater vorher nicht gründlich genug recherchiert haben, was dieser 58jährige britische Prälat eigentlich denkt. Sollten sie es aber gewusst und trotzdem die Exkommunikation aufgehoben haben, dann wäre das sehr schlimm.

Der Sturm der Entrüstung hatte sich noch gar nicht gelegt, da ernannte Benedikt den erzkonservativen Pfarrer Gerhard Maria Wagner zum neuen Weihbischof der Diözese Linz. Der 54jährige Wagner hatte die Harry-Potter-Bücher verurteilt, weil er in ihnen den »Satanismus« am Werk sah. Als der Hurrikan Katrina 2005 die amerikanische Stadt New Orleans verwüstete, vermutete Wagner eine »geistige Umweltverschmutzung« als Ursache. In seinem Pfarrblatt schrieb er, dass der Hurrikan »nicht nur alle Nachtklubs und Bordelle« , sondern auch sämtliche »Abtreibungskliniken« der Stadt zerstört habe und bezeichnete die »amoralischen Zustände in dieser Stadt als unbeschreiblich«. Über den Tsunami im Dezember 2004 sagte Wagner, es sei vermutlich kein Zufall, dass die Flutwelle zu Weihnachten aufgetreten sei, wenn die Leute aus dem reichen Westen ins arme Thailand flüchteten, um dort die Welt zu genießen. Wieder frage ich mich: Haben der Papst und seine Berater von all dem nichts gewusst? Es entgeht ihnen doch sonst nicht, wenn ein Pfarrer in der Sonntagspredigt Zweifel an der Gottessohnschaft Jesu äußert oder von seinen Problemen mit der Dreifaltigkeit spricht.

Jetzt scheint der Papst aber doch in seinem Fettnäpfchen ausgerutscht und mächtig gestolpert zu sein. Mich bedrückt diese Situation. Denn sie führt zu weiterer und noch stärkerer Schädigung des ohnehin schon ramponierten Ansehens der Kirche. Es werden noch mehr Kirchenaustritte folgen. Die Resignation an der Basis wird sich weiter ausbreiten. Die innere Kündigung bei vielen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen wird noch mehr um sich greifen.

Irgendwie tut mir der Papst leid. Er hätte auf seinem Lehrstuhl in Regensburg bleiben sollen, dann wäre er heute ein hoch angesehener Emeritus, der nach Herzenslust Bücher schreiben und Vorträge in aller Welt halten könnte. Aber dann kam das Amt über ihn - erst lange Zeit als Chef der Glaubenskongregation und als Schatten des polnischen Papstes. Dann schließlich selbst im obersten Amt der Kirche, ausgestattet mit unbeschränkter Befehls- und Entscheidungsgewalt. Der letzte absolutistische Monarch Europas.

Und nun ist er zum Opfer des Systems »hierarchisch strukturierte römisch-katholische Kirche« geworden. Seit Jahrzehnten wurde ihm unermüdlich gesagt, er sei einer der brillantesten Theologen der Gegenwart, abgehoben von den »Mühen der Ebene« (B. Brecht). Dann musste er ja geradezu der Meinung sein, keine Ratgeber zu brauchen. Er hat auch bisher nie Zweifel daran geäußert, dass der Papst vielleicht doch nicht so unfehlbar sei, wie es das Erste Vatikanische Konzil von 1869/70 als Dogma festlegte. Vielleicht ist er auch nicht kritisch genug, um zu erkennen, dass die kirchliche Einheit eher mit den Protestanten zu machen ist als mit den Rechtsaußen vom Schlage der ultrakonservativen Pius-Bruderschaft in der eigenen Kirche.

Der unvergessene und unvergleichliche Johannes XXIII. hatte versucht, das tradierte absolutistisch-monarchistische Amtsverständnis zurückzunehmen, indem er 1962 ein Konzil einberief - eine Versammlung aller Bischöfe. Er suchte den Dialog mit allen auf Augenhöhe. Die Bischöfe hatten dann auch in den von ihnen mehrheitlich beschlossenen Konzilstexten die sie alle verbindende und einende Kollegialität betont. Sie hatten sich an die Dezentralisierung der römischen Macht gewagt. Sie hatten sich auf den Dialog eingelassen, anstatt autoritär und selbstherrlich zu monologisieren. Welt- und regionale Bischofskonferenzen wurden ins Leben gerufen. In den Diözesen und Pfarreien wurden synodale Strukturen geschaffen. Ein Hauch von Demokratisierung zog durch die Kirche.

Doch so schnell gab sich die römische Zentralmacht nicht geschlagen. Unter Johannes Paul II. und seinem eifrigen Adlatus Joseph Ratzinger wurden die Zügel wieder straff angezogen. Rom sagte, wo es lang geht. Der Papst entschied. Er allein. Die Bischöfe durften Beifall spenden und allenfalls in Ergebenheit ihre Meinung äußern. Aber wehe, wenn sie kritische Fragen stellten und drängende Probleme beim Namen nannten! Und wehe den Theologen (wie Leonardo Boff), die »Macht und Charisma« der Kirche offen legten! Sie erhielten sofort einen Maulkorb umgehängt - »Bußschweigen« genannt.

Ob Benedikt wohl so klug und einsichtig sein wird, zu begreifen, dass die eigentliche Wurzel des gegenwärtigen Übels in der hierarchisch-absolutistischen Struktur der römischen Kirche und in der monarchistisch-zentralistischen Ausübung des römischen Bischofsamtes liegen? Und ob er, der »brillante« Theologe, bereit wäre, daraus nachhaltige strukturelle Konsequenzen zu ziehen? Ich fürchte, er wird es nicht tun. Er ist und bleibt in seinem Elfenbeinturm gefangen, kaum zugänglich für die dringenden und drängenden Anliegen der Menschen von heute in ihren verschiedenen Kulturen und Gesellschaftsformen.


Über Prof. Dr. Norbert Scholl

Norbert Scholl, 1931 geboren, war nach seinem Studium der katholischen Theologie zunächst in der Seelsorge tätig. Nach seiner Promotion wurde er Rektor des Erzbischöflichen Studienheimes und Religionslehrer an einem humanistischen Gymnasium in Freiburg/Breisgau. Es folgte die Professur für katholische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Zu seinen beruflichen Schwerpunkten gehören Fragen der zeitgemäßen Glaubensakzentuierung und -vermittlung. Norbert Scholl bekennt sich offen zur Kirchenvolksbewegung und tritt für »die uneingeschränkte Anerkennung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils« ein. Neben zahlreichen Publikationen erschien von ihm zuletzt das Buch »Lukas und seine Apostelgeschichte« (2007).

Zuletzt geändert am 07­.03.2009