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Veröffentlicht am 15­.03.2009

15.3.2009 - Neue Stadt

“Wir sind (wieder) Kirche”

„Wir sind Papst” - titelte die Bild-Zeitung nach der Wahl von Bene­dikt XVI., und lieferte mit dieser Schlagzeile ein journalistisches Glanzstück ab. Die drei Worte brachten ein Gefühl zum Ausdruck, in dem sich die Deutschen wieder­fanden - nicht nur die Katholiken, sondern auch Christen anderer Konfessionen und sogar Menschen ohne religiöses Bekenntnis.

Dieses Gefühl ist im Zusam­menhang mit der Aufhebung der Exkommunikation von vier Tradi­tionalisten-Bischöfen in den letzten Wochen in sich zusammengestürzt wie ein abbruchreifes Gebäude: mit lautem politischen Getöse und einer weithin sichtbaren medialen Staubwolke. Wir Deutschen - unsere Leserinnen und Leser in der Schweiz und Österreich mögen mir diese Konzentration auf meine Landsleute nachsehen - haben ein Idealbild verloren: das von einem deutschen Papst, an dessen Wesen die Kirche genesen wird.

Jetzt also sind wir nicht mehr Papst, sondern „nur” noch Kirche - und ich möchte am liebsten laut: „Halleluja” rufen. Die potemkinsche Fassade des deutschen „Wir-Papsttums” ist umgestürzt und gibt den Blick wieder frei für das Eigentliche: die Kirche als Gemein­schaft, als lebendiger Organismus, als Leib Christi.

Das ist zumindest der Plan der Kirche, ihre tiefste Bestimmung. Und diese Bestimmung kommt nirgends besser zum Ausdruck als in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es hat die Kirche zeitgemäß gemacht, indem es ihr tiefstes Wesen frei gelegt hat - mit einem Blick, der tiefer reicht, als die meisten Traditio­nalisten zu schauen wagen.

Richtig ist allerdings auch, dass die aktuelle Gestalt der Kirche wohl nie dem großen Plan ganz entspricht. Deshalb sehen wir hinter den immer wieder einstürzenden Kulissen un­seres Kirchenbildes auch vieles, was wir gerne verbergen würden. Hier gilt es, zunächst einmal jene Grund­haltung zu bewahren, zu der Chiara Lubich in einem berühmten Text eingeladen hat: die leidenschaftliche Liebe zur Kirche; eine Leidenschaft, die immer auch Leiden schafft. Diese leidenschaftliche Liebe ist das „Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht” (Paulus im Kolosserbrief, 3,14). Sie ist das Prinzip der Gleichheit aller Ge­tauften; sie allein ermöglicht Einheit in Verschiedenheit; sie gibt jeder äußeren, hierarchischen Ordnung ihren Sinn und ihre Berechtigung.

Die leidenschaftliche Liebe zur Kirche erlaubt es dann aber auch, auf das aufmerksam zu machen, was der Korrektur bedarf: die unsäglichen und inakzeptablen Äußerungen des Traditionalisten-Bischofs Williamson; die offenbar überhastete und wenig kollegiale Art, wie die besagte Entscheidung im Vatikan herbeigeführt wurde; die nicht besonders professionelle Medienarbeit. Ein Manko, das mir in diesen Tagen besonders ins Auge gefallen ist, betrifft ein Strukturprinzip der Kirche, welches das Zweite Vatikanum ins Licht gerückt hat: die Bischöfe als Kollegium. Kollegi­alität meint hier mehr als nur ein kollegenhaftes Umgehen mitei­nander - auch wenn schon das in manchen Fällen ein echter Fortschritt wäre. Es bedeutet eine Verbindung in „Einheit, Liebe und Frieden” untereinander und mit dem Bischof von Rom. Die Zeit dafür wäre reif!

Ihr
Joachim Schwind


Die Christen sollten von einer „leidenschaftlichen Liebe zur Kirche” (Paul VI.) erfüllt sein. Einer Liebe, die nicht nur empfunden, sondern auch praktiziert wird und die der ganzen Kirche gilt - so, wie sie ist… Auch die Liebe, die wir für den Papst empfinden, bleibt nur Gefühl und oberflächliche Begeisterung, solange wir nicht das mit ihm teilen, was ihm am Herzen liegt: das Leben der ganzen Kirche Gottes.
Chiara Lubich



(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2009)

Zuletzt geändert am 16­.03.2009