| |
Veröffentlicht am 12­.06.2009

12.6.2009 - Publik-Forum

Rote Karte aus Rom?

Das oberste Gericht im Vatikan urteilt über »Wir sind Kirche«. Fragen an den Kirchenrechtler Klaus Lüdicke

Von Thomas Seiterich

Herr Professor Lüdicke, die Apostolische Signatur, das oberste Gericht im Vatikan, hat einen Entscheid getroffen, der es jedem Ortsbischof freistellt, Mitglieder oder Sympathisanten der Reformbewegung Wir sind Kirche aus dem Diözesan-, Pfarrgemeinde- oder Dekanatsrat, in den sie gewählt sind, zu entfernen. Was bedeutet dieser römische Richterspruch?
Klaus Lüdicke: Der römische Richterspruch hat einen ganz anderen Inhalt als den, den Sie in Ihrer Frage beschreiben. Rein formal betrachtet, ist dieses Urteil die Bestätigung einer früheren Entscheidung, eine Klage des Herrn Wallner gegen ein Dekret der Kleruskongregation nicht zuzulassen. Wallner hatte bei der Kleruskongregation Beschwerde gegen die Entscheidung des Bischofs von Regensburg erhoben, der Herrn Wallner das passive Wahlrecht zur Kirchenverwaltung entzogen hatte. Dagegen hatte Wallner geklagt. Am Ende des kirchlichen Instanzenweges, den Wallner über Jahre beschritten hat, steht nun die Entscheidung, dass Wallners Klage ohne jeden Rechtsgrund sei. Mit anderen Worten: Der Bischof von Regensburg hat kein Gesetz verletzt; er ist frei, so zu entscheiden, wie er entschieden hat. Das ist die formale Bedeutung dieses Urteilsspruchs. Wir haben hier keine generelle Stellungnahme zu Räten oder zu Personen, sondern eine Entscheidung im Einzelfall. Natürlich hat diese Entscheidung eine Begründung – und aus der kann man nun manches ablesen. Dies ist der Punkt, auf den Sie mit Ihrer Frage abheben.

Wird durch diese Urteilsbegründung Wir sind Kirche in besonderem Maße getroffen?
Lüdicke: Insofern ja, als jetzt jeder Bischof erklären kann: Falls jemand mit der Kirchenreformbewegung solidarisch ist, bestreite ich ihm die notwendige Klugheit und Gefolgschaft gegenüber der Kirche, die als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in Räten im Kirchenrecht gefordert wird. Der Kirchenrechts-Canon 212, Paragraf 3 verfügt ja, dass nur »Gläubige, die sich durch gute Sitten, festen Glauben und Klugheit auszeichnen«, in einen Pastoralrat entsandt werden dürfen. Der Entscheid der Apostolischen Signatur sagt ausdrücklich, dass es sich nicht um Klugheit handle bei dem, wie sich Herr Wallner gegenüber seinem Bischof verhalten hat.

Es ist kein Urteil gegen die Kirchenvolksbewegung?
Lüdicke: Es verhält sich wie bei weltlichen Gerichten auch: Entschieden wird im Einzelfall, jedoch mit Begründungen, aus denen man etwas lernen kann. Geurteilt wird hier nur in einem einzigen Fall: Ob der Regensburger Bischof Herrn Wallner das passive Wahlrecht entziehen konnte. Ob das jetzt Schule macht, bleibt abzuwarten. Ist es möglich, rechtlich etwas gegen das Urteil zu unternehmen? Lüdicke: Nein. Man kann in der Kirche theoretisch natürlich immer an den Papst appellieren. Aber der macht nichts anderes, als die Sache an die Apostolische Signatur zu geben. Und die hat bereits entschieden. Dieser Rechtsstreit ist zu Ende.

Ist das Urteil vereinbar mit dem Geist des Konzils: der Kirche als Gottesvolk?
Lüdicke: Man kann das Zweite Vatikanische Konzil nicht dafür in Anspruch nehmen, Forderungen in der Kirche zu erheben, die sich gegen lehramtlich definierte Positionen wenden. Bei allem Respekt für die Kirchenvolksbewegung: Die Forderungen nach Frauenpriesterweihe oder nach mehr Demokratie bei der Bischofsbestellung stehen gegen lehramtliche Positionen, die das Konzil nicht infrage gestellt hat – soweit diese Themen überhaupt zur Debatte standen. Gab es schon einmal ein Urteil, das eine kirchliche Bewegung so ins Visier nahm? Lüdicke: Nein. Es gab keine Entscheidungen dieser Art zuvor. Es sind auch keine Rechtsstreitigkeiten dieser Art bis an die Apostolische Signatur getragen worden. Wohl hatte Professor Grabmeier bei der Signatur gegen die Umstrukturierung der Räte im Bistum Regensburg geklagt, ebenfalls ohne Erfolg.

Was macht dieses Urteil mit den Bischöfen?
Lüdicke: Der Sache nach wird die Möglichkeit der Bischöfe bestätigt, ohne sich rechtfertigen zu müssen, in Zukunft Leuten das passive Wahlrecht zu bestreiten, die sich ähnlich verhalten, wie im vorliegenden Urteil angesprochen. Ob sie davon Gebrauch machen, ob sie das für kirchenpolitisch sinnvoll halten, ob sie sich damit eine Entlastung innerhalb ihres Bistums erhoffen oder ob sie damit neue Spannungen schaffen, dies sind Fragen, die jeder Bischof für sich entscheiden muss. Man muss also abwarten, wie die einzelnen Bischöfe darauf reagieren werden. Ein Zwang, irgendwelche Konsequenzen in diese Richtung zu ziehen, besteht für sie sicherlich nicht.

Es gab unter Pius X. von 1909 bis 1921 die üble Geheimpolizei »Sodalitium Pianum« gegen Reformtheologen und sogenannte Modernisten. Droht Ähnliches nun erneut?
Lüdicke: Das Urteil lässt sich – wie so ziemlich alles in dieser Welt – von entsprechend Interessierten missbrauchen und als Alibi verwenden, nun auf Schnüffeltour zu gehen. Gemeint ist es nicht so. Wenn Sie Wir sind Kirche raten sollten, welchen Rat würden Sie in dieser Lage geben? Lüdicke: Ich würde zum Nachdenken darüber raten, was klug ist im weiteren Umgang mit diesem Urteil. Und ich würde versuchen, realistisch zu sein und zu schauen: Mit welchen Fragen und mit welcher Kritik am System der Kirche und ihrem Denken kann man voraussichtlich Erfolg haben? Denn die Vermischung von unterschiedlichen Anliegen, wie sie Wir sind Kirche vornimmt, kostet einen hohen Preis. Der Mix macht erfolglos. Im Klartext: Wenn ich die Priesterweihe für Frauen fordere, bekomme ich in der Kirchenleitung keine Gesprächspartner für die Lösung des Problems der wiederverheirateten Geschiedenen.

War es klug, bis in die oberste Kircheninstanz zu klagen?
Lüdicke: Dass Herr Wallner bis zur Signatur geklagt hat, führt nun dazu, dass solche Entscheidungen von oberster gerichtlicher Stelle in die Öffentlichkeit gelangt sind. Hätte er gegen das Dekret der Kleruskongregation nicht geklagt, gäbe es das letztinstanzliche Urteil nicht und es könnte sich auch niemand darauf berufen. Dies lehrt, dass man die Erfolgsaussichten bestimmter Aktionen vorher sorgfältig abschätzen sollte, um sich dann zu überlegen, welche Folgen es hat, wenn man verliert.

Klaus Lüdicke
geboren 1943, ist emeritierter Professor für katholisches Kirchenrecht an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster

Zuletzt geändert am 15­.06.2009