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Veröffentlicht am 11­.09.2009

11.9.2009 - KNA / Vatican-Magazin

Anarchie im Namen des Herrn?

Ein Plädoyer für katholischen Journalismus in Zeiten des unkontrollierbaren Nachrichtenflusses im Internet - Ein Kommentar von Ludwig Ring-Eifel / KNA / Vatican-Magazin

Rom (kath.net/Vatican-Magazin) Ein Disputa-Beitrag unseres Verlegers und Mitherausgebers Bernhard Müller über katholischen Journalismus und die kirchliche Presse in Deutschland in der Mai-Ausgabe unseres Magazins hatte ein starkes Echo. Zwar gehört es heute zum guten Ton, in Sonntagsreden und in der katholischen Publizistik eine hundertprozentige Anerkennung der Beschlüsse und Dokumente des Zweiten Vatikanums zu fordern.

Wenn es aber um den hohen Anspruch geht, mit dem das Konzil die katholischen Journalisten auffordert, als christgläubige Laien gerade in der Medienarbeit das allgemeine Priestertum der Gläubigen zu verwirklichen, beruft man sich auf die Grundsätze der säkularen Presse, denen zufolge es immer ein Pro und Contra geben muss.

Die Diktatur des Relativismus herrscht heute auch über viele katholische Publizisten. Der erste Beitrag, den wir auf diese Analyse hin erhalten haben und im Folgenden veröffentlichen, stammt vom Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur:

Ein Beitrag von Ludwig Ring-Eifel / KNA aus dem Vatican-Magazin:

In den katholischen Journalismus ist Bewegung gekommen. Seit sich das Internet neben den etablierten Strömen des Journalismus (Zeitungen, Fernsehen, Hörfunk) als anarchisches System kleiner Nebenflüsse, Kanäle und Grachten fortentwickelt hat, wird Katholisches auch außerhalb der kirchlich subventionierten Medien gemeldet, kommentiert und debattiert. Eines hat sich dabei (noch) nicht verändert: Die überwiegende Masse der Informationen wird weiterhin von den Journalisten der Nachrichtenagenturen, der Pressestellen und der Zeitungsredaktionen erzeugt.

Dieselben Rohstoffe werden hinterher auf den kleinsten Kähnen ebenso herum geschippert wie auf den großen Pötten - nur dass sie jetzt öfter an Bord der unbeflaggten Schnellboote und in die Hände von Freibeutern gelangen. Hinzugekommen ist eine oft unklar deklarierte Ware aus Gerüchten, Halbwahrheiten, Wiedergekäutem und gezielt gestreuten Informationen.

Ähnlich wie die "weltliche" wird auch die katholische Medienwirklichkeit unübersichtlicher.

Aber die Anarchie im Namen des Herrn hat auch ihre Vorzüge. Im Netz kann beinahe jeder mit verhältnismäßig wenig Geld Informationen verbreiten und Debatten anheizen. Wer hingegen versucht, ein qualitativ hochwertiges katholisches Printprodukt (oder gar einen TV-Sender) ohne bischöfliche Zuschüsse neu aufzuziehen und am Leben zu halten, muss sich auf ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs und des finanziellen Ruins gefasst machen. Anders im Netz.

Hier pulsiert das pralle Leben: Von dem aus Österreich stammenden Idealistenportal kath.net (mit den Ablegern kathpedia, kathTube und Kathnet-Chat) über Zenit (inzwischen etwas angegraut) bis hin zu den unter Piratenflagge segelnden Verbalradikalen von kreuznet (mit einem juristisch unzugänglichen Server in den Vereinigten Staaten als Rückzugsinsel) - jenseits der etablierten kirchlichen Kanäle sprudelt es kräftig. Vieles ist geschwätzig, manches auch gehässig oder hetzend, die Information und Kommunikation ist jedenfalls freier als bisher.

Hinzu kommen seit der Wiederzulassung der alten Messe etliche Traditionalisten-Knoten im Netz, einer der rührigsten im deutschen Sprachraum nennt sich im Anklang an den päpstlichen Wiederzulassungsakt für die alte Messe vom 7. Jahr 2007 motu-proprio.de.

Zwei Beobachtungen sind in diesem Zusammenhang staunenswert. Zum einen scheinen fast ausschließlich Kräfte, die im deutschen Sprachraum rechts von der kirchenpolitischen Mitte stehen, die neue publizistische Freiheit des Internets für sich im vollen Umfang entdeckt zu haben. Auf der Linken verbreiten weder „Wir sind Kirche“ noch „Publik Forum“ Netz-Aktivitäten in einem vergleichbaren Umfang.

Die zweite Beobachtung: Für katholische Journalisten im kirchlichen „Mainstream“ ist es längst normal, die Nachrichten, Blogs und Kommentare der Ausleger auf der rechten Seite des Kirchenschiffes als Anregung für Recherchen zu nutzen. Ohne sie würde auch der seriösesten und ausgewogensten kirchlichen Publizistik etwas fehlen, für manchen katholischen Journalisten sind sie längst das Salz in der Suppe des täglichen Verlautbarungs-Einerleis geworden.

Wie die wechselseitige Wahrnehmung und Beeinflussung des kirchlichen Mainstreams und der Rebellen von rechts funktioniert, wäre sicher eine Forschungsarbeit wert. Vielleicht erzielen die konservativen Internet-Heckenschützen ja langfristig einen ähnlichen (indirekten) Einfluss auf die katholischen Redaktionsstuben wie ihn einst linksradikale Flugblätter und Diskussionsveranstaltungen auf bürgerlich-liberale Blätter wie Spiegel, Stern und Zeit hatten.

Als Tabubrecher funktionieren sie allemal, und manche Nachricht, die früher in der Schweigespirale des kirchlichen Konsensdenkens erfolgreich unterdrückt werden konnte, ist nun einfach nicht mehr aufzuhalten.

So geschehen etwa mit den Gerüchten über das neue „Motu proprio“ von Papst Benedikt XVI. über die Umgestaltung der Kommission „Ecclesia Dei“ zur Wiedereingliederung der Piusbrüder, die Anfang Juni dieses Jahres im Netz auftauchten.

Die vom Internet geschaffenen Möglichkeiten einer „Halb-Öffentlichkeit“ sind für katholische Freibeuter ideal. Wo nichts gedruckt wird, gibt es keine lenkende bischöfliche Druckerlaubnis (Imprimatur), und wer Zeit und Idealismus aufbringt, braucht nur wenig oder gar kein Geld aus dem Kirchensteuersäckel, um ein Publikum zu erreichen. Was dabei herauskommt, ist auf den ersten Blick oft spannender als die Produkte der bischöflich subventionierten Publizistik, von denen einige allzu sehr durchscheinen lassen, das sie das Ergebnis eines Kompromisses sind.

Nicht alle Bischöfe widerstehen der Versuchung, die von ihnen bezahlten Medien auch inhaltlich lenken zu wollen. Weil sie aber andererseits - darin ganz Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts und des Zweiten Vatikanischen Konzils - die Pressefreiheit grundsätzlich bejahen, entstehen nicht selten halb journalistische, halb offiziöse Medienprodukte, die vor allem für ein jüngeres Publikum wenig attraktiv daherkommen. Hinzu gesellt sich die für den Medienkonsumenten kaum noch begreifliche Kleinstaaterei, in der beinahe jedes der 27 deutschen Bistümer seine eigene Medienpolitik betreibt.

Von alledem ist die neue, anarchische Internet-Publizistik frei. Anders als ein Bistumszeitungsmacher muss der katholische Freibeuter keine Rücksicht darauf nehmen, dass er die ganze Breite des kirchlichen Spektrums abdeckt. Er kann hemmungslos einseitig - und damit auch interessanter - schreiben.

Und er „sendet“ wie selbstverständlich im gesamten deutschen Kirchensprachraum, der bekanntlich vom Apostolischen Palast im Vatikan bis zu den ostfriesischen Inseln reicht.

Interessanterweise wird die neue Freiheit aber nicht genutzt, um für die Befreiung von amtskirchlicher Dogmatik und Disziplin zu werben - denn das tun die Akteure in den nichtkirchlichen Medien bereits in hinreichendem Maße.

Vielmehr werfen die Neuen den Bischöfen und den Medien im kirchlichen Mainstream vor, sie seien zu lasch, zu angepasst an den liberalen Zeitgeist, zu wenig missionarisch, kurzum zu blass in ihrem Katholischsein. Ganz anders die digitalen „player“ der katholischen Publizistik, die mit neuem Glanz, unverfälscht papsttreu und voll missionarischem Elan, ihre Botschaft verkünden. Nun wird alles anders! Endlich kann niemand mehr die Tatsache totschweigen, dass am Sonntag in X viel mehr Menschen zur heiligen Messe in die alte Kathedrale gingen als samstags in die wieder neu eröffnete Synagoge in Y, der die etablierten Medien in krasser Verkennung der Maßstäbe so viel mehr Raum gewidmet hatten!

Ob so ein neuer, besserer katholischer Journalismus aussieht, darf bezweifelt werden. Die objektiven Gesetze des journalistischen Arbeitens können auch die neuen Künder der Botschaft nicht aufheben.

Gegen die Ökonomie der Aufmerksamkeit und der Neuigkeitswerte ist nun mal kein Kraut gewachsen. Dass Jesus auferstanden ist, mag im Kontext des Glaubens die gute Nachricht schlechthin sein. Eine kirchennahe Nachrichtenagentur, eine Kirchenzeitung oder ein katholisches Internetportal wird sie dennoch nicht jeden Sonntag als „news“ verkaufen können - eben deshalb, weil Nachrichten keine ewigen Wahrheiten transportieren, sondern über flüchtige, kontingente Ereignisse, vergängliche Konstellationen und heiße Konflikte berichten.

Journalismus kommt von „journalier“, und das heißt „täglich“. Seine Inhalte sind im Idealfall tagesaktuell, aber letztlich doch ephemer. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass das Internet phantastische Möglichkeiten bietet, Informationen und Hintergründe über den christlichen Glauben zu vermitteln und theologische Debatten, die bislang Fachleuten vorbehalten waren, in die Breite der Nutzer zu tragen. Aber Journalismus, auch katholischer, ist nun mal eine andere Tätigkeit. Sie funktioniert bestenfalls komplementär zur Glaubensunterweisung und zur digital vermittelten Theologie-Nachhilfestunde.

Und die Idee, dass die neue, von bischöflichen Gängelungen und mainstreamigen Halbherzigkeiten freie kirchliche Publizistik endlich wieder eine klare katholische Kante zeigen kann und sich deswegen mehr Gehör verschaffen wird? Auf den ersten Blick klingt das gut und spannend, doch mit etwas Nachdenken wächst die Skepsis.

In der Geschichte des Journalismus war das neunzehnte Jahrhundert das Zeitalter des Meinungsjournalismus, der Partei-, Gesinnungs- und Vereinsblätter. Im zwanzigsten Jahrhundert setzte sich der im angelsächsischen Raum entwickelte objektive Journalismus, der „die Fakten erzählt, wie sie sich ereignet haben“, in allen freien Gesellschaften durch. Sollte dieser Journalismus im 21. Jahrhundert im Dschungel nicht verifizierbarer Gerüchte, unrecherchierter Halbwahrheiten und eines weltweit anschwellenden PR-Wildwuchses untergehen, wäre das vermutlich auch für die Kirche kein Gewinn. Wenn auch die kirchliche Publizistik künftig allein auf eine Mixtur von Evangelisierung und Propaganda setzen würde, bliebe der katholische Journalismus auf der Strecke. Jede Gruppe überzeugter Glaubender kann dann zwar im Netz mit Gleichgesinnten ungehemmt kommunizieren und mit großem Elan die Menschen draußen an den i-phones zu missionieren versuchen.

Aber auf Medien, die solide Informationen über kirchliche Entwicklungen, Konflikte und Neuigkeiten in die gesamte Kirche und auch in die nichtkirchlichen Teile der Gesellschaft hineintragen, sollte die katholische Kirche im deutschsprachigen Raum nicht verzichten.

Der Autor ist Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Zuletzt geändert am 03­.10.2009