19.10.2009 - derwesten.de
Die Liebe war wichtiger als der Bischof
Ein katholischer Priester und eine Frau schauen sich verliebt in die Augen. Das kann nicht, das darf nicht sein. Also fangen wir noch einmal von vorne an: Ein ehemaliger katholischer Priester – Stefan Kipping – und seine Frau Maria Stegers schauen sich verliebt in die Augen. Sie dürfen das jetzt, aber nur, weil Kipping seinen Beruf nicht mehr ausübt, seiner Berufung nicht mehr folgen darf. Seine Kirche leidet unter eklatantem Nachwuchsmangel – der Zölibat ist für den 46-Jährigen ein wesentlicher Grund dafür.
Die Katholische Kirche hat das Jahr des Priesters ausgerufen, was nicht anderes bedeutet als: Sie hat einen Notruf ausgeschickt. SOS, die Gemeinden in schwerer Seelennot. Mit Gotteseifer wollen sie bis Mitte 2010 um geistliches Personal werben. Anfang der 70er-Jahre gab es deutschlandweit noch 25 000 Seelsorger, jetzt sind es gerade einmal gut 15 000. Immer weniger junge Männer entscheiden sich für das Studium der katholischen Theologie, immer mehr Priester kehren ihrer Kirche den Rücken, die meisten wegen des „Zwangs-Zölibats", wie Kipping es nennt. „Ich habe meinem Bischof bei der Priesterweihe die Ehelosigkeit in die Hand versprochen. Doch am Ende ist mir meine Frau wichtiger als der Bischof.”
Die strengen Augen der Kirche
80- bis 100 000 katholische Geistliche weltweit sind seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 60er-Jahre aus der Einsam- in die Zweisamkeit geflüchtet – offiziell. Von den 31 Glaubensbrüdern, mit denen Kipping 1989 im Dom zu Paderborn geweiht wurde, haben ein Viertel der auferlegten Enthaltsamkeit nicht standhalten können – wiederum rein offiziell. Denn längst nicht alle Priester sind so konsequent wie Stefan Kipping – und so ehrlich: „Das Schlimmste sind die verdammten Heimlichkeiten, die Doppelmoral. Die Priester, die ihre Kinder verheimlichen, deren Existenzen sonst vernichtet würden, das ist der größte Skandal”, kritisiert Kipping und nennt Zahlen, Schätzungen, die auf Erfahrungswerten seiner Mitstreiter in der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen beruhen. Zahlen, die die Kirchenväter in Rom erschüttern dürften: „Nur ein Drittel aller Pfarrer lebt zölibatär, ein Drittel in Beziehung zu einer Frau und ein weiteres Drittel in einem Verhältnis zu einem Mann.”
Doch die meisten Bischöfe wollten das nicht wahr haben, schlössen die Augen vor den Fakten. „Deshalb nimmt man sie bei den Gläubigen nicht mehr ernst, und das wiederum verhindert die Ernsthaftigkeit der kirchlichen Verkündigung.”
Er steht weiterhin zu seinem Glauben
Man sieht und hört: Kipping steht trotz aller Hemmnisse weiterhin zu seinem Glauben, zu seiner Kirche. Er unterstützt die Gemeindearbeit in St. Maria Hilfe in Hagen, so weit er das noch darf und manchmal etwas mehr. Denn seine Mitwirkungsmöglichkeiten unter den strengen Augen seiner Kirche sind doppelt beschränkt: erstens durch seine Ehe und zweitens, weil seine Frau schon einmal verheiratet war, gar ein Kind mit in die Beziehung brachte.
Vier Jahre lang arbeitete Kipping als Vikar in seiner Hagener Gemeinde. Er liebt seinen Job, aber irgendwann auch seine Maria, die er in der Gemeindearbeit kennenlernt. Das kostet ihn schlaflose Nächte. 1995 schreibt er schließlich seinem Bischof, im August hält er seinen letzten Gottesdienst. Er muss ganz von vorne anfangen. Weil er mit einer geschiedenen Frau zusammen lebt, kann er nicht einmal im Schuldienst katholische Religion unterrichten, manchmal ein Ausweg für Leidensgenossen. Kipping geht wieder zur Schule, paukt mit 17-Jährigen in einer Klasse, bestreitet seinen Lebensunterhalt jetzt als Steuerfachwirt.
Dabei könnte alles so einfach sein. Selbst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hält den Zölibat für biblisch nicht begründbar. Außer Paulus waren vermutlich alle Apostel verheiratet. Die Evangelische Kirche Deutschlands freut sich nach Jahren des Rückgangs sogar über steigende Studentenzahlen. Allerdings: Die Hälfte sind Frauen, ein weiteres Tabu-Thema in der Katholischen Kirche. Aber nicht überall: Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche” kämpft für eine Gleichberechtigung der Frauen und eine Reform des Amtsverständnisses: „Der Priestermangel ist auch eine Folge des strengen Zölibats", analysiert Referentin Annegret Laakmann.
Angst vor dem Alleinsein
Das will auch Monsignore Cornelius Roth, Regens (Leiter) des Priesterseminars in Fulda, nicht bestreiten. „Der Zölibat ist einer der Gründe, aber auch: die generelle Schwierigkeit, sich ein Leben lang festzulegen, ein ähnliches Problem wie bei der Ehe. Dazu kommt die Angst vor dem Alleinsein und vor Arbeitsüberlastung.”
Stefan Kipping würde gerne wieder in seinem Traumberuf arbeiten, als verheirateter Pfarrer. „Aber zu meinen Lebzeiten wird sich da wohl nichts mehr ändern.” Und wenn doch? „Ich wäre auf jeden Fall sofort wieder dabei.”
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Zuletzt geändert am 21.10.2009