28. April 2006 - Publik-Forum
Sie sind fromm und politisch (IKvu)
Fragen an Ferdinand Kerstiens
Von Hartmut Meesmann
Publik-Forum: Das Ökumenische Netzwerk Kirche von unten (Kvu) mit seinen über vierzig verschiedenen Gruppen in Deutschland besteht nun über 25 Jahre lang. Was würde den Kirchen fehlen, wenn es dieses Netzwerk gar nicht gäbe?
Ferdinand Kerstiens: Die Stärke der Kvu liegt darin, dass sie nur den Inhalten gegenüber verantwortlich ist, die sie vertritt. Das Netzwerk ist unabhängig von kirchlichen Direktiven und kann somit theologische und gesellschaftspolitische Probleme und Themen zur Sprache bringen, bei denen die etablierten kirchlichen Verbände zurückzucken, weil sie von den Bischöfen abhängig sind. Die Kvu wahrt das freie Wort in den Kirchen und ist insofern nach wie vor ein Stachel im Fleisch der Kirchen.
Publik-Forum: Welche politischen Themen gehören aus Sicht des Netzwerks heute auf die Tagesordnung?
Kerstiens: Angesichts der neoliberalen Globalisierung ist ein verstärktes Engagement für die Demokratie notwendig. Denn die Globalisierung bedroht unsere Demokratie, weil sie die Entscheidungsspielräume des Einzelnen und auch der Politik immer mehr einschränkt. Gegenüber dem menschenfressenden Kapitalismus gilt es, die Würde des Menschen zu verteidigen. Die Folgen der Globalisierung zeigen sich auch in der wachsenden sozialen Spaltung hier bei uns. In diesen Fragen fehlt eine schärfere Profilierung der beiden Kirchen. Auch deshalb braucht es ein solches Netzwerk von kirchlichen Gruppen, die dies alles einfordern. Dazu gehört zum Beispiel auch das solidarische Eintreten für Asylsuchende.
Publik-Forum: Was hat der »Jubiläumskongress«, der kürzlich in Berlin stattfand, dazu thematisch beigetragen?
Kerstiens: Es ging dort nicht nur um die Solidarität mit Lateinamerika, um die schwierige Situation von Asylsuchenden, sondern auch um Gewalt und Frieden. So kritisierten Friedensgruppen etwa die Militarisierung der EU-Verfassung. Auf einem solchen Kongress werden die vielen Themen der einzelnen Gruppen gebündelt. Die Gefahr ist dabei allerdings, dass man zu viel will.
Publik-Forum: Fragen der Kirchenreform sind im Netzwerk in den Hintergrund getreten?
Kerstiens: Insgesamt gesehen: ja. Das Problem ist: Die strittigen Fragen vor allem in der katholischen Kirche sind theologisch alle ausdiskutiert. Was wir jetzt weithin erleben, ist eine strukturelle und kirchenpolitische Verhinderung von Veränderungen. Da geht es dann schlicht um Macht. Wenn die Homosexuellen zum Beispiel immer noch verurteilt werden, dann geschieht genau das nicht, was im Konzilstext »Gaudium et spes« so eindringlich formuliert wurde: dass die Kirche Freude und Hoffnung, Angst und Trauer der Menschen teilen will. Im Konflikt um die Schwangerenkonfliktberatung hat man die Not der betroffenen Frauen nicht zum Ausgangspunkt der eigenen Überlegungen gemacht. Und so könnte ich jetzt fortfahren. Es haben zurzeit die Wächter der Ordnung und die Verfechter einer uniformen Kirche das Sagen. Themen der Kirchenreform laufen im Netzwerk immer auch mit – so habe ich auf dem Berliner Kongress einen Arbeitskreis zum »Strukturwandel in der Kirche« geleitet. Denn die Forderung nach Demokratisierung ist grundlegend und gilt auch für die katholische Kirche.
Publik-Forum: Aber hat die Kvu denn noch die nötige Durchschlagskraft? Wird sie denn gehört? Die Aufmerksamkeit der säkularen Medien gilt mehr der Kirchenvolksbewegung als der Kvu.
Kerstiens: Das ist richtig. Die Kirchenvolksbewegung greift die kirchenkritischen Fragen der Kvu auf, sie ist ja auch eine Tochter dieses Netzwerks. Die Kvu hat immer daran festgehalten, dass kirchliche und politischgesellschaftliche Verantwortung zusammengehören. Die Kvu klagt immer auch die gesellschaftspolitische Verantwortung der Kirchen ein. Damit tun sich die Kirchenleitungen dann oft schwerer. Wenn ich an die bischöfliche Erklärung »Das Soziale neu denken« denke, wird deutlich, dass die katholische Kirche in der Gefahr steht, politisch »korrekte« Erklärungen abzugeben, um nur nicht anzuecken und ihren Einfluss nicht zu verlieren. Deshalb braucht die Kirche solche Initiativen wie die Kvu.
Publik-Forum: Aber ist die Nische, in der das Netzwerk arbeitet, nicht doch sehr klein?
Kerstiens: Man hat damals auch den friedenspolitischen Gruppen in der ehemaligen DDR gesagt, sie seien nur eine Nischenveranstaltung. Und dann gehörten diese Gruppen mit zu den geistlichen Vorbereitern der Wende. Man kann nie absehen, welche Fernwirkung ein durchgehaltenes Engagement hat.
Publik-Forum: Sie gehören mit zu den Gründungsvätern der Initiative Kirche von unten. Was hat sich denn im Lauf der 25 Jahre in dieser Arbeit vor allem verändert? Was ist heute anders?
Kerstiens: Das ist zum einen die ökumenische Öffnung. Jetzt gehören eine Reihe evangelischer Gruppen zum Netzwerk, darunter auch die Evangelische Studierendengemeinde. Früher war die Ökumene eine Forderung der Kvu, heute ist sie dort selbstverständliche Praxis. Denn die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen gehen alle Christen an. Das Zweite ist: Die Kvu arbeitet heute im größeren Zusammenhang anderer Netzwerke, zum Beispiel der unterschiedlichen Afrika-Initiativen. Dadurch haben sich auch Themenschwerpunkte verändert. Früher war Lateinamerika das Hauptthema, heute ist es in stärkerem Maß Afrika geworden. Das ist auch eine wichtige thematische Ergänzung, weil dieser vergessene Kontinent in der Tat neu in den Blick kommen muss. So wurden auf Katholiken- und Kirchentagen die »Afrika-Tage« zum festen Bestandteil des alternativen Programms. Das wird auch auf dem Katholikentag in Saarbrücken so sein.
Publik-Forum: Kann man aus der Tatsache, dass jetzt die Evangelische Studierendengemeinde im Netzwerk mitarbeitet, schließen, dass die Kvu durchaus nicht – wie andere Gruppen – an Überalterung leidet?
Kerstiens: Es haben sich im Lauf der Jahre einige Gruppen, die die Initiative seinerzeit mit begründeten – wie etwa der Bensberger Kreis –, aufgelöst. Andere Gruppen sind zahlenmäßig schwach geworden. Früher wurde das Netzwerk von der Breite all dieser Gruppen getragen. Heute sind es vermehrt Einzelpersonen, die – eingebettet in ihre jeweiligen Gruppen – Verantwortung übernehmen. Beim Berliner Jubiläumskongress waren eine ganze Reihe Vertreter einzelner Studierendengemeinden – auch aus Ostdeutschland – mit dabei. Darin sehe ich durchaus einen Impuls zur Verjüngung der Bewegung.
Publik-Forum: Wie würden Sie die Spiritualität der Kvu-Gruppen kennzeichnen?
Kerstiens: Das ist für mich die Verschränkung von Mystik und Politik. In den Kirchen gibt es viele Gruppen, die auf Meditation und Versenkung achten, aber die politische Dimension des Glaubens ausblenden. Andere Gruppen in der Gesellschaft mühen sich politisch ab, haben aber keine spirituelle Ausstrahlung. Die Stärke der Kvu ist das intensive Festhalten an dieser Verknüpfung von Mystik und Politik, von Kampf und Kontemplation – ohne dass eine Seite überbewertet wird. Die Kirchen sind in der Gefahr, beide Pole einfach unverbunden nebeneinander stehen zu lassen.
Publik-Forum: Was hat Ihnen darüber hinaus persönlich das Engagement in der Kvu gebracht?
Kerstiens: Freiheit. Die Freiheit, das zu sagen, was ich, was wir für richtig halten. Diese Freiheit habe ich aber nur, wenn ich einen Rückhalt habe in der Gruppe, in und mit der ich lebe. Das waren für mich vor allem die Priester- und Solidaritätsgruppen, der Freckenhorster Kreis im Bistum Münster und die Friedensbewegung Pax Christi.
Ferdinand Kerstiens ist katholischer Priester im Ruhestand und geistlicher Beirat der internationalen Friedensbewegung Pax Christi. Die Initiative Kirche von unten hat er seit ihrer Gründung im Jahr 1980 intensiv theologisch und politisch begleitet
Zuletzt geändert am 15.05.2006