19.2.2010 - dpa-Gespräch
«Wir sind Kirche» fordert Sexualdebatte
«Wir haben den Eindruck, dass der von dem Skandal betroffene Jesuiten-Orden in vorbildlicher Weise Aufklärung betreibt und eine hohe Transparenz beweist», sagte Weisner. «Bei der Deutschen Bischofskonferenz und den Verantwortlichen in Rom können wir das noch nicht so erkennen.» Für die Opfer und auch für die Kirche selber wäre es das Schlimmste, wenn dieses Thema, so schwierig es auch sei, nach einigen vagen Entschuldigungen wieder in der Versenkung verschwinden würde.
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) kommt von Montag (22.2.) an in Freiburg zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammen. Der Missbrauchsskandal wurde kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt. Der BDK-Vorsitzende, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, hat sich bislang nicht geäußert. Weisner kündigte an, die Bewegung «Wir sind Kirche» werde die Bischöfe am Montag in Freiburg mit einer Mahnwache zum konsequenten Handeln auffordern.
«Mittlerweile muss doch allen klar sein, dass wir es nicht nur mit Einzelfällen zu tun haben», sagte Weisner. «Es geht um ein strukturelles Problem.» Dies zeigten auch die Missbrauchsfälle in Irland, in den USA und Australien. Ursachen seien «die strikte Sexualmoral der katholischen Kirche, ein überhöhtes männliches Priesterbild sowie autoritäre hierarchische Strukturen». Dadurch würden sexuelle Übergriffe erst möglich. Diese Strukturen, und damit auch die kirchliche Sexuallehre, müssten auf den Prüfstand. «Ohne eine Enttabuisierung in der Sexuallehre und eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur menschlichen Sexualität wird der Teufelkreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der römisch-katholischen Kirche nicht zu durchbrechen sein», sagte Weisner. «Die Kirche braucht eine grundlegend andere Einstellung zur Sexualität, eine positive Bewertung der Sexualität.» Eine Debatte nur um das Zölibat greife zu kurz.
«In der Priesterausbildung muss eine verantwortete Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität stattfinden. Themen wie Selbstbefriedigung, Homosexualität und vorehelicher Geschlechtsverkehr dürfen nicht mehr völlig tabuisiert werden.» Derzeit würden Priester mit ihren Fragen und Problemen zur eigenen Sexualität von der Kirche meist noch alleine gelassen. «Die Täter sind auch Opfer. Opfer eines veralteten und zutiefst unmenschlichen kirchlichen Systems.» Weisner forderte, die Kirche müsse Homosexualität als sexuelle Möglichkeit der Orientierung anerkennen.
Im Umgang mit Sexualtätern müssten schärfere Regeln gelten. So dürfe es beispielsweise keine Verjährung mehr geben. Die Verjährung, mit der sexuelle Übergriffe nach Jahren straffrei werden, fördere die Geheimhaltung und Vertuschung der Taten, sagte Weisner. «Das System der Vertuschung und der Geheimhaltung ist das, was immer mehr Katholiken ärgerlich macht.»
Zudem müssten unabhängige Beratungsstellen und Gesprächsgruppen eingerichtet werden. Dadurch werde vermieden, dass sich Opfer in ihrer Not einzig an Kirchenvertreter wenden können. «Wir sind Kirche» versuche zu helfen, indem es seit 2002 einen Notruf betreibe. «Eine zentrale Verantwortung trägt der Vatikan. Aber beim jetzigen Papst habe ich wenig Hoffnung, dass er sich diesem Thema ernsthaft stellt», sagte Weisner. Die Folge sei ein Vertrauensverlust der Kirche. Werde nicht gehandelt, würden Priester, Ordensleute und kirchliche Einrichtungen unter einen Pauschalverdacht gestellt.
Gespräch: Jürgen Ruf, dpa
(Internet: www.wir-sind-kirche.de)
Tagungsort: Karlstraße 7, 79104 Freiburg
Zuletzt geändert am 19.02.2010