24. Mai 2006 -Die Welt
Wenigstens ein Grußwort
von Gernot Facius
Saarbrücken - Als Kurienkardinal zeigte Joseph Ratzinger dem organisierten deutschen Laienkatholizismus die kalte Schulter. Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) warf er vor, sich immer mehr als eine "Art Gegenlehramt" darzustellen, "weniger gegen die Bischöfe als gegen das Lehramt des Papstes". Mit seiner Unterstützung formierte sich das konservativ geprägte Forum Deutscher Katholiken, das sich als besonders romtreu versteht.
Nun ist Ratzinger Papst Benedikt XVI. Und als Pontifex ("Brückenbauer") muß er an die Tradition seiner Vorgänger anknüpfen und an die Teilnehmer des vom ZdK veranstalteten 96. Deutschen Katholikentags vom 24. bis 28. Mai in Saarbrücken wenigstens ein persönliches Wort richten. Im ZdK hatte man auf eine Videobotschaft des "deutschen Papstes" gehofft, doch es reicht nur für ein Grußwort, das der Apostolische Nuntius verlesen wird. Dabei ist das Laientreffen an der Grenze zu Frankreich, zu dem die (evangelische) Bundeskanzlerin anreist, ganz "europäisch" programmiert. Es geht um die Neubestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Gerechtigkeit in der EU.
Spektakuläre Ereignisse wie 2004 in Ulm, wo den "Kirchenrebellen" Hans Küng, Eugen Drewermann und Jacques Gaillot ein Podium gegeben wurde, sind nicht zu befürchten. Der in Saarbrücken lebende, emeritierte Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl, der während des Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin auch Protestanten die Kommunion gereicht hatte und deshalb abgestraft worden war, wurde erst gar nicht eingeladen. Er kann seinen Unmut nur "am Rande" des Treffens artikulieren, zu dem rund 40 000 Teilnehmer erwartet werden. Es ist momentan relativ ruhig in der katholischen Kirche in Deutschland, sieht man von den Streitigkeiten im Bistum Regensburg über die Rolle und die Rechte von Laienräten ab.
Dennoch werden sich polarisierende Positionen in Saarbrücken nicht völlig unterdrücken lassen. Die ZdK-Vollversammlung will heute über ein "Memorandum" debattieren, in dem eine stärkere Beteiligung des "Gottesvolkes", also von Laien, bei der Ernennung von Bischöfen gefordert wird. Das könnte zu neuen Spannungen mit Rom führen. ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer räumt im übrigen ein, daß der Laienkatholizismus mit eigenen Problemen zu kämpfen hat: "Was einst modern war, betrachten heute viele als überholt und bedeutungslos." Zu hoch waren offenbar die Erwartungen an den Willen und die Fähigkeit von Staat und Kirche zur Erneuerung, zu tief die Enttäuschungen über das tatsächlich Erreichbare.
Meyer analysiert nüchtern die Lage. In der Verachtung des gesellschaftlichen Engagements der Laien, besonders wenn sich dieses mit innerkirchlichem Freimut paare, träfen sich nicht selten solche, die sich gern in eine angeblich heile Vergangenheit flüchteten, mit anderen, die allein auf das Individuum und den Wettbewerb setzten. In der Familienpolitik zum Beispiel ringen das ZdK und die katholischen Verbände mit ihrer eigenen Vergangenheit, als für viele die berufstätige Mutter eine begründungsfähige Ausnahme war.
Meyer plädiert derweil für "Vorwärtsdenken". Nach den Beobachtungen des Sekretärs der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, hat der Regierungswechsel in Berlin keinen allgemeinen Stimmungsumschwung im Katholizismus gebracht. Die Berliner "Familienoffensive" wird zurückhaltend bis skeptisch beurteilt. Bischofskonferenz und ZdK betonten in der familienpolitischen Debatte die Ehe, "womit sie die Politik in nicht unerhebliche Argumentationsnöte bringen", sagt Langendörfer.
Zweifellos wird die Kirche an ihrem gesellschaftspolitischen Engagement gemessen werden - aber noch mehr an ihrer Glaubenssubstanz. 1960 nahm jeder zweite Katholik stets am Sonntagsgottesdienst teil, heute kommt nur noch fast jeder fünfte. Nach wie vor werden jedoch drei von vier Neugeborenen mit wenigstens einem katholischen Elternteil getauft.
Nur einer missionarischen Kirche im Volk eröffneten sich neue Wachstumschancen, schreibt der Betriebswirtschaftler Thomas von Mitschke-Collande von der Beratungsfirma McKinsey in der "Herder Korrespondenz". Daß die Kirche trotz der Haushaltsprobleme vor dem finanziellen Ruin stehe, hält er für ein Märchen. Seit 1960 habe sich das Aufkommen an Kirchensteuer etwa vervierfacht. Erst seit 2000 habe es sich "auf hohem Niveau leicht abgeschwächt".
Langendörfer rät seiner Kirche, dieses Kapitel ernst zu nehmen: "Sollte einmal weniger als die Hälfte der Bevölkerung getauft sein, werden die heutigen Formen der positiven Religionsfreiheit weniger plausibel sein und das Erfordernis neuer Formen der Gleichstellung vor allem der Muslime anwachsen." Die Kirche, so der Jesuitenpater, wäre schlecht beraten, vorwiegend defensiv auf Besitzstände zu pochen. Sie sollte sich als gute Sachwalterin der eigenen Sache, des Glaubens und der Religionsfreiheit nicht verschließen. Das ist freilich nicht nur ein deutsches Thema. Es trifft wie das Katholikentagsmotto "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" den Nerv der deutschen wie der europäischen Situation.
Zuletzt geändert am 23.05.2006