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Veröffentlicht am 07­.03.2010

7.3.2010 m- web.de

Missbrauch-Skandal: Druck auf Vatikan wächst

Hamburg (dpa) - Auch Papst Benedikt XVI. soll Farbe bekennen im Missbrauchsskandal katholischer Einrichtungen - das fordert die Reformbewegung "Wir sind Kirche".

"Denn Joseph Ratzingers Amtszeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 gehört genau zu den Jahren, um die es bei den Missbrauchsfällen geht", sagte "Wir sind Kirche"- Sprecher Christian Weisner in München der Deutschen Presse-Agentur dpa. Es dränge sich die Frage auf, ob er damals Kenntnis von solchen Übergriffen gehabt habe - und falls ja, wie er damit umgegangen sei.

Auch außerhalb der katholischen Kirche wurden Missbrauchsfälle bekannt - an der renommierten Odenwaldschule in Heppenheim (Hessen). Betroffene berichteten, sie seien in der Zeit von 1970 bis 1985 von Lehrern als "sexuelle Dienstleister" fürs Wochenende eingeteilt worden. "Wir haben die große Befürchtung, dass es tatsächlich mehr sind als die Namen, die wir bis jetzt kennen", sagte Schulleiterin, Margarita Kaufmann, im Gespräch mit dem Audiodienst der Deutschen Presse-Agentur dpa. Am Montag würden Briefe an alle Altschüler versandt, die zur fraglichen Zeit an der Schule waren.

Der Vatikan will Klarheit und Gerechtigkeit für Missbrauchsopfer in katholischen Einrichtungen. Das geht aus einer Notiz der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano" (Samstag) hervor, die sich auf die Missbrauchsfälle in Deutschland und dabei vor allem auf die betroffenen Regensburger Domspatzen bezieht. Der Heilige Stuhl unterstütze die Diözese in deren Bemühungen, im Sinne der Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz "die schmerzliche Frage entschieden und in offener Weise zu untersuchen", heißt es darin.

Hauptziel sei die "Gerechtigkeit für mögliche Opfer". Nach Angaben des kirchlichen Sonderbeauftragten und Trierer Bischofs Stephan Ackermann soll für sie nun eine Hotline eingerichtet werden. Der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper forderte kirchenintern eine "ernsthafte Reinigung". Es sei gut, dass der Papst null Toleranz verlange, meinte er der römischen Zeitung "La Repubblica" zufolge.

Am Freitag waren Details zu den Jahre zurückliegenden Missbrauchsfällen im oberbayerischen Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen bekanntgegeben worden. Ähnliche Fälle gab es auch bundesweit in etlichen anderen Bistümern. Das Bistum Hildesheim teilte am Wochenende mit, einen Wolfsburger Pfarrer suspendiert zu haben, weil dieser vor mehr als 30 Jahren einen Jungen missbraucht habe. Das Opfer habe bis vor kurzem aus Scham geschwiegen.

Auch der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger (86), müsse sich Fragen zum Missbrauchsskandal gefallen lassen, sagte Weisner. Der Kirchenmusiker Georg Ratzinger hatte die Regensburger Domspatzen von 1964 bis 1994 geleitet. "Ich habe nichts davon gewusst", betonte der Papst-Bruder jedoch bereits am Sonntag in einem Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Auch der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller im "Osservatore Romano" (Samstag) erklärte, dass die "in Erinnerung zurückgerufenen" Missbrauchsfälle seit Ende der 50er Jahre nicht Georg Ratzingers Amtszeit beträfen.

Dennoch stünde er als Zeuge eventuellen Ermittlungen zur Verfügung, sagte Georg Ratzinger. Er bedauerte aber eine gewisse "Feindseligkeit" hinter einigen Behauptungen: "Ich spüre teilweise eine Feindseligkeit der Kirche gegenüber, die bewusste Intention, schlecht über die Kirche zu reden." In Italien hatten die deutschen Missbrauchsfälle schlagartig mehr Aufmerksamkeit erlangt, als bekanntwurde, dass es auch um die Regensburger Domspatzen geht, die vom Papst-Bruder geleitet wurden.

Der "Bild"-Zeitung (Samstag) sagte Ratzinger: "Bei uns ging es streng zu, aber das war nötig, weil ja Leistung gefordert wurde." Damit stößt er auf Widerspruch: "Warum der Papstbruder Georg Ratzinger, der seit 1964 Domkapellmeister war, davon nichts mitbekommen haben soll, ist mir unerklärlich", sagte Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der im Regensburger Internat der Domspatzen bis 1967 lebte, dem Magazin "Der Spiegel". Er sprach von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust". Der damalige Internatsdirektor habe sich "abends im Schlafsaal zwei, drei von uns Jungs ausgesucht, die er in seine Wohnung mitnahm". Dort habe es Rotwein gegeben, der Priester habe mit Minderjährigen masturbiert.

Indes pocht die heutige Leitung der Domspatzen darauf, dass der Geist des Hauses nichts mehr mit den früheren Vorkommnissen zu tun habe. "Vorfälle von vor 50 oder 60 Jahren spiegeln nicht die aktuelle Lebenswirklichkeit der Domspatzen wieder", sagte Internatsdirektor Rainer Schinko einer Mitteilung zufolge. Darin heißt es über den schon seit längerem geplanten Tag der offenen Tür am Wochenende: "Die Eltern zeigten (...) keinerlei Irritationen."

"Wir sind Kirche"-Sprecher Weisner verlangt von den Bischöfen ein sichtbares Zeichen der Reue. "Eine auf einer Pressekonferenz abgelesene Entschuldigung reicht nicht aus." Stattdessen solle die Deutsche Bischofskonferenz etwa eine gut dotierte Stiftung zur Vorbeugung gegen sexuellen Missbrauch gründen, sagte Weisner. Einen Runden Tisch aller Betroffenen hält dagegen der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler (FDP), für dringender denn je. Wenn sich alle Beteiligten darauf verständigten, dann könne auch über Entschädigungen bereits verjährter Fälle geredet werden, sagte Stadler der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin.

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" ist der oberste Benediktiner, Abtprimas Notker Wolf, nach den Fällen in Ettal verärgert über die Aktivitäten des Münchner Erzbistums. Es müsse geklärt werden, "ob die Erzdiözese so mit einer Abtei umgehen kann, wie sie es jetzt tut, beispielsweise die Schließung der Schule anzudrohen, falls der Schulleiter nicht zurücktritt, ohne dass diesem das Geringste vorgeworfen werden kann", sagte Wolf. Ettal liegt im Erzbistum München und Freising, ist als Kloster jedoch autark.

Zuletzt geändert am 07­.03.2010