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Veröffentlicht am 14­.03.2010

14.3.2010 - .rp-online

Reform-Bewegung enttäuscht von Papst Benedikt

Düsseldorf (RPO). Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" hat sich enttäuscht gezeigt, dass sich Papst Benedikt XVI. auch beim Angelus-Gebet am Sonntag nicht zu den jüngsten Missbrauchsfällen geäußert hat.

"Viele kirchentreue Katholiken bedauern es, dass Benedikt XVI. nicht einmal ein kleines Wort des Mitgefühls geäußert hat", sagte Vorstandsmitglied Christian Weisner der Münchner Zeitung "tz". Offenbar habe das Kirchenoberhaupt "das wahre Ausmaß der Verunsicherung nicht wahrgenommen".

Weisner wies auch die Äußerungen von Vatikan-Sprecher Federico Lombardi vom Samstag zurück, in denen dieser Kritik als persönliche Attacken gegen den Papst bewertet hatte. "Das ist die denkbar schlechteste Kommunikationsstrategie", wird der Sprecher der Reformbewegung zitiert. Schließlich könne man "auch aus Liebe zur Kirche heraus kritisieren", argumentierte Weisner.


Der Vatikan hat jede direkte Verwicklung von Papst Benedikt XVI. in einen Missbrauchs-Skandal in seiner früheren Diözese zurückgewiesen. Versuche, den Papst persönlich da hineinzuziehen, seien gescheitert, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Der Papst selbst äußerte sich nicht. Auch im Angelus-Gebet am Sonntag sprach er den Missbrauchs-Skandal nicht an.

Diskussion über den Zölibat

Ranghohe Kleriker und Laien der katholischen Kirche sprachen sich für eine Lockerung des Zölibats aus, sexuellen Missbrauch zu verhindern. Aus der Politik wurden Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Missbrauchs-Fälle laut.

Das Erzbistum München und Freising hatte am Freitagabend bestätigt, dass 1980 ein pädophiler Priester unter Zustimmung von Kardinal Joseph Ratzinger vom Bistum Essen nach München versetzt wurde, um dort eine Therapie zu machen. Entgegen dem Beschluss sei der Geistliche aber direkt in der Gemeindearbeit eingesetzt worden, wo er sich Jahre später erneut an Minderjährigen sexuell verging. Das Erzbistum sprach von einem schweren Fehler, für den der damalige Generalvikar Gerhard Gruber in der Erklärung die Verantwortung übernahm und sich bei den Opfern entschuldigte.

"Wir wollten nicht, dass er den ganzen Tag nichts zu tun hat, außer einer Stunde Therapie", sagte Gruber der "Süddeutschen Zeitung". Nach Angaben des Erzbistums ist kein Missbrauchsfall des Priesters aus der Zeit bekannt, in der Ratzinger die Diözese leitete. 1986 wurde der Priester, der bis heute weiter als Geistlicher tätig ist, nach neuerlichen Übergriffen wegen sexuellen Missbrauchs 1986 zu 18 Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt.

Führende Kleriker nehmen den Papst in Schutz

"Es ist offensichtlich, dass in den vergangenen Tagen einige mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchs-Frage hineinzuziehen", sagte Lombardi Radio Vatikan. "Für jeden objektiven Beobachter ist klar, dass diese Versuche fehlgeschlagen sind." Die Stellungnahme des Erzbistums München zu dem Fall erkläre die Fakten, für die der Generalvikar die volle Verantwortung übernommen habe, sagte der Sprecher.

Wie Lombardi nahm auch der Präsident des des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, den Papst in Schutz. "Ich persönlich sehe da keinen weiteren Aufklärungsbedarf", sagte er im Deutschlandfunk.

Zugleich rief Glück die Kirche zu strukturellen Veränderungen bis hin zur Lockerung des Zölibats auf. Die Kirche müsse überlegen, ob es in ihr spezifische Bedingungen für den Missbrauch gebe. "Dazu gehört zweifellos eine Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema Sexualität, angefangen vom Umgang damit bis hin zur Auswahl des kirchlichen Personals", sagte Glück der "Süddeutschen Zeitung". Die Lockerung des Pflichtzölibats sei ein Weg, allerdings sei das Problem damit allein nicht gelöst. Auch der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke forderte eine Überprüfung des Gebots der priesterlichen Ehelosigkeit. Diese Lebensform könne Menschen anziehen, die eine krankhafte Sexualität hätten, sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Daraus könne eine Gefahrensituation entstehen.

3000 Missbrauchsfälle in 50 Jahren

Der Vatikan hält dagegen unverrückt am Zölibat fest, der für katholische Geistliche seit dem zwölften Jahrhundert gilt. Papst Benedikt erklärte am Freitag auf einer Konferenz zum Priesteramt im Vatikan, die Ehelosigkeit der Priester sei ein Geschenk Gottes, das nicht dem Zeitgeist geopfert werden solle. Vatikan-Sprecher Lombardi sagte der ARD, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen Zölibat und sexuellem Missbrauch. "Es scheint mir etwas gewollt, beides miteinander in Zusammenhang zu setzen."

Unterdessen gab der Vatikan bekannt, dass ihm 3000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aus den vergangenen 50 Jahren bekannt seien. Bei 300 davon handele es sich um pädophile Übergriffe, sagte Charles J. Scicluna von der Glaubenskongregation der Bischofszeitung "Avvenire".

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte die katholische Kirche und andere betroffene Institutionen auf, umfassendes und belastbares Zahlenmaterial zur Aufklärung von Missbrauch vorzulegen. Zudem regte sie in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" eine unabhängige Untersuchungskommission an. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, die Bundesregierung dürfe die Aufklärung nicht allein der Kirche oder anderen Institutionen überlassen. Nach dem Vorbild Irlands solle die Regierung eine nationale unabhängige Kommission einsetzen und mit den nötigen Geldern ausstatten, sagte sie der Zeitung "Bild am Sonntag".

Zuletzt geändert am 14­.03.2010