20.3.2010 - zdf.de
"Schweigen des Papstes kommt nicht gut"
Die Reaktion auf den ersehnten Hirtenbrief des Papstes kam prompt: Katholische Reformbewegungen kritisierten den mangelnden Bezug des Schreibens zu den Missbrauchsfällen in Deutschland. Das Zentralkomitee der Katholiken indes begrüßte den Papstbrief.
Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" zeigte sich enttäuscht über den Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. zum sexuellen Missbrauch katholischer Priester in Irland. Es sei sehr schade, dass sich der Papst nicht zu den Missbrauchsfällen in Deutschland geäußert habe, sagte Christian Weisner, Sprecher der Initiative, in München.
"Das Schweigen des Papstes kommt nicht gut. Es wird sicher nicht seine Autorität und sein Ansehen in der Kirche erhöhen. Dabei hätte ihm schon ein Wort des Mitgefühls an die Opfer Sympathien eingebracht." Der Brief vermittle aber den Eindruck, es gehe dem Papst hauptsächlich um das Ansehen der Kirche.
Neuausrichtung kirchlicher Sexuallehre
Der Hirtenbrief könne nur ein erster Anfang sein. Eine sorgfältige Prüfung der innerkirchlichen Strukturfragen stehe noch aus. Dabei gehe es ihm vor allem um eine Debatte über den Zölibat und eine Neuausrichtung der kirchlichen Sexuallehre, sagte Weisner. "Es wird immer noch nicht gesehen, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern dass es ein globales Strukturproblem ist." Das Umsteuern müsse deutlich weiter gehen. "Dieser Brief ist noch nicht der große Durchbruch."
Als "ärgerlich" wertete Weisner, dass der Papst die äußeren Umstände mitverantwortlich macht. So hatte Benedikt XVI. in dem Brief geschrieben, das Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern müsse im Gesamtkontext der "raschen Transformation und Säkularisierung der irischen Gesellschaft" und des "schnelllebigen sozialen Wandels" verstanden werden.
Kritik am traditionellen Priester-Bild
Problematisch sei zudem, dass der Papst am traditionellen Priester-Bild festhalte, sagte Weisner. "Der Priester hält den Schlüssel zu den Schätzen des Himmels: er ist es, der die Tür öffnet: er ist der Statthalter des guten Herrn; der Verwalter seiner Güter", zitiert Benedikt XVI. in dem Hirtenbrief einen heiliggesprochenen katholischen Priester aus dem 19. Jahrhundert. "Mit so einem Priester-Bild kommen wir nicht weiter", sagte Weisner.
Die "Initiative Kirche von unten" (IKvu) warf dem Papst vor, in seinem Hirtenbrief bei "verbaler Betroffenheit stehen" zu bleiben. "Statt effektiver Krisenbewältigung bietet der Vatikan das Schauspiel einer sich autistisch abkapselnden Institution: Gefehlt haben in dieser Selbstwahrnehmung nur wenige, vom Zeitgeist verführte Einzeltäter", teilte die IKvu am Samstag in Bonn mit. Der Hirtenbrief ist am Samstag veröffentlicht worden. In ihm teilt Papst Benedikt XVI. mit, dass er den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in der katholischen Kirche "aufrichtig bedauert".
Werden strukturelle Ursachen verkannt?
Der Papst verweigere den Blick auf die strukturellen Ursachen und ruhe sich auf der Einzeltäterthese aus. Dies sei ein Skandal, hieß es weiter. Die Organisation forderte die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission nach irischem Vorbild. Die Initiative ist nach eigenen Angaben ein ökumenisches Netzwerk von 38 Basisgemeinden, kirchen- und gesellschaftskritischen Gruppen. Sie sieht sich in der Tradition des politischen Linkskatholizismus und -protestantismus und der Befreiungstheologie.
Zwar begrüßte der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) den Hirtenbrief, gleichzeitig jedoch bemängelte auch er fehlende Aussagen zur Situation in Deutschland. "Angesichts einer größer werdenden Verunsicherung bei jungen Katholikinnen und Katholiken und deren Eltern hätten wir uns über ein persönliches Wort der Begleitung, der Stärkung und des Zuspruchs gefreut", hieß es in einer Mitteilung von BDKJ-Bundesvorstand Dirk Tänzler. Entscheidend sei jetzt, dass sich die deutschen Bischöfe weiter um lückenlose und zügige Aufklärung bemühen. Der BDKJ ist der Dachverband von 16 katholischen Jugendverbänden und -organisationen mit rund 650.000 Mitgliedern.
Zollitsch wird vorgeworfen, einem 1991 unter Missbrauchsverdacht stehenden Pfarrer lediglich in den Ruhestand versetzt zu haben, ohne die Staatsanwaltschaft einzuschalten.
Zentralkomitee begrüßt Hirtenbrief
Das Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland indes begrüßte den Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. als eindrucksvolles Dokument auch für die katholische Kirche in Deutschland. Die Äußerungen des Kirchenoberhauptes könnten helfen, auch in Deutschland die richtigen Konsequenzen zu ziehen, sagte der Präsident des obersten Laiengremiums, Alois Glück, am Samstag. "Mit einer geradezu schonungslos offenen Sprache befasst sich der Papst sehr konkret mit der Situation in Irland, mit Schuld und Versagen und den notwendigen Konsequenzen", heißt es in der Stellungnahme Glücks.
Der Papst betone die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Staat und der laufenden Überprüfung geltender Richtlinien im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch. Er fordere absolute Transparenz und Offenheit. Dies seien auch wichtige Kriterien für die weiteren Beratungen in Deutschland. Glück begrüßte, dass Benedikt XVI. "ganz eindeutig die Opfer von Missbrauch in den Mittelpunkt stellt". Diejenigen Kräfte in der Deutschen Bischofskonferenz und in den Orden, die sich für einen konsequenten Kurs der Aufklärung ausgesprochen hätten, dürfen sich nach Auffassung des Zentralkomitees durch den Hirtenbrief bestätigt fühlen.
Zum Schweigen des Papstes zu den Missbrauchsfällen in Deutschland sagte Glück, es bestehe kein vernünftiger Zusammenhang mit der Situation in Irland. Der Hirtenbrief befasse sich vielmehr sehr konkret mit der Lage in der irischen katholischen Kirche. Zudem sehe der Papst den Kurs der deutschen Bischöfe bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle als sehr konsequent an. Daher habe Benedikt eine Erwähnung der deutschen Fälle nicht für nötig erachtet.
URL: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/23/0,3672,8057303,00.html
Zuletzt geändert am 21.03.2010