23.2.2010 - dpa
Das Kreuz mit der Moral - Geistliche scheitern am eigenen Anspruch
Hamburg (dpa) - Wenn Hollywoodstars betrunken Schlangenlinien fahren, ein Golfprofi seine Sexsucht therapieren lässt und Rockstars über ihre Drogensucht in Talkshows philosophieren, gilt das vielen als irgendwie menschlich. Die Fallhöhe von Pastoren und Bischöfen ist da erheblich höher. Auf der Kanzel predigen sie die zehn Gebote - Lügen, Ehebrechen, Betrug oder gar Gewalttaten sollen nicht sein. Die Alkoholfahrt von Margot Käßmann, der obersten Repräsentantin von 25 Millionen evangelischen Christen in Deutschland, hat wieder einmal gezeigt, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen.
In einem Interview mit dem TÜV-Nord 2007 hatte sie noch «mangelndes Verantwortungsbewusstsein» von Autofahrern kritisiert, «insbesondere wenn Alkohol oder Drogen mit im Spiel sind». Nun könnten die Folgen für Käßmann verheerend sein. «Ich bin über mich selbst erschrocken, dass ich einen so schlimmen Fehler gemacht habe», zitierte die «Bild»-Zeitung ihre eher hilflose Reaktion auf den Skandal.
«Wir treten mit einem hohen moralischen Anspruch auf. Daran müssen wir uns dann eben messen lassen», sagte der Hamburger Erzbischof Werner Thissen erst am vergangenen Wochenende der «Frankfurter Rundschau». Dass die katholische Kirche derzeit besonders am Pranger stehe, sei verständlich. Thissen bezog sich damit auf die inzwischen mehr als 120 bekanntgewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch an katholischen Schulen und Einrichtungen in den vergangenen Jahrzehnten.
Im Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am Montagabend im Freiburger Münster bekannte Erzbischof Robert Zollitsch: «Wir sind eine Kirche, die auch auf Menschen gebaut ist - mit all unseren Stärken, aber auch unseren Fehlern und Schwächen. Wir bleiben leider häufig hinter dem Anspruch des Evangeliums zurück.»
Fürwahr. Sexuelle Missbrauchsfälle erschüttern die katholische Kirche immer wieder - in den USA, in Irland, Deutschland oder Österreich. Im Jahr 1995 musste der Wiener Erzbischof, Kardinal Hans Hermann Groer (1919-2003), zurücktreten, weil er während seiner Zeit als Religionslehrer Schüler sexuell missbraucht haben soll. Im Jahr 2004 wurde der langjährige Bischof der Diözese Phoenix Thomas O'Brien zu vier Jahren Bewährungsstrafe verurteilt wegen Unfallflucht - O'Brien hatte einen Fußgänger überfahren.
Die Liste der Vergehen christlicher Mitbrüder schließt praktisch nichts aus. In der Mönchsrepublik Athos bekämpfen sich seit Jahren rivalisierende Gruppen, es gab schon Schwerverletzte. Im Jahr 2008 drohten ultrakonservative Priester, das von ihnen besetzte Kloster Esfighmenou mit Dynamit, Benzinkanistern und Gasflaschen in die Luft zu sprengen. In Irland wurden einer Untersuchung zufolge von den 1930er bis zu den 1990er Jahren tausende Heimkinder von Kirchenleuten geschlagen, kahlgeschoren, mit Feuer oder mit Wasser gequält, vergewaltigt.
Vergleichsweise harmlos wirkt dagegen der Fall von Untreue eines bayerischen Priesters: Der 48-Jährige hatte 100 000 Euro Kirchengelder veruntreut, um sich unter anderem einen Mercedes zu kaufen. Das Amtsgericht Kronau sprach im Jahr 2003 eine Bewährungsstrafe gegen den Geistlichen aus.
Fast entwaffnend verwies Zollitsch in seiner Predigt auf die schon in der Bibel genannten menschlichen Schwächen der Männer Gottes: Jesus berief Levi, den korrupten Zollbeamten Levi, und er kannte die aufbrausenden «Donnersöhne» Johannes und Jakobus unter seinen Aposteln. Petrus schließlich verleugnete drei Mal Jesus - bis der Hahn krähte.
Wie heikel die Frage nach dem Umgang mit der Wahrheit und damit der persönlichen Glaubwürdigkeit ist, zeigte sich bei Zollitsch jüngst in einem Interview mit den dpa-Kindernachrichten. Seine eigentlich völlig harmlose Antwort auf die Frage, wann er selbst zuletzt gelogen habe, ließ der Erzbischof am Ende dann doch lieber streichen.
Christian Weisner von der Reformbewegung «Wir sind Kirche» warnt allerdings davor, dass sich jetzt die Öffentlichkeit wie scheinheilig auf Kirchenleute stürzt, die ihre eigenen moralischen Ansprüche verletzen: «Natürlich braucht die Gesellschaft Vorbilder, aber auch Vorbilder sind nur Menschen.»
Zuletzt geändert am 09.04.2010