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Veröffentlicht am 18­.05.2010

18.5.2010 - Die Tagespost

„Wie werden wir mit den Bischöfen fertig?“

Von Michael Karger

Alois Glück macht es möglich: Hans Küng und Jürgen Moltmann auf dem Ökumenischen Kirchentag

München (DT) Der Titel, unter dem die „Kirchenvolksbewegung ,Wir sind Kirche‘“ das Gespräch zwischen Hans Küng und Jürgen Moltmann im Programmheft des Ökumenischen Kirchentages angekündigt hatte – „Ökumenische Spiritualität – heute schon gelebt“ –, erwies sich im nachhinein als ausgemachter Etikettenschwindel. Es ging nur um massive Kirchenkritik, natürlich vor allem an der katholischen Kirche. Küng hatte nichts dem Zufall überlassen. Vom Blatt ablesend dialogisierten sich die alten Herren durch das gesamte Repertoire von Küngs „Reformprogramm“. Die beiden befreundeten Tübinger Emeriti Küng (geb. 1928) und Moltmann (geb. 1926) erwiesen sich als geschickte gegenseitige Stichwortgeber. Eigens hatte Küng einen Tischgong mitgebracht, um alle fünfzehn Minuten einen Themen-, um nicht zu sagen Paradigmenwechsel einzuläuten. Für die beiden Altökumeniker war die abendliche Podiumsdiskussion vor 1 500 Zuhörern auf dem Münchner Messegelände ein Heimspiel. Auffällig war das hohe Durchschnittsalter von Sechzig Plus der kirchenvolksbewegten Zuhörer auf den wenig rückenfreundlichen Pappkartons. Dankbar beklatschten sie alle Forderungen, wenn auch nicht stürmisch, sondern eher als Bestätigung der eigenen Gewissheit, dass man immer noch in der Avantgarde des Zeitgeistes mitmarschiert. Eva-Maria Kiklas von der Kirchenvolksbewegung hatte als Moderatorin die Rolle zugewiesen bekommen, insgesamt fünf Fragen stellen zu dürfen, woraufhin sich dann die Professoren die Bälle zuwarfen. Hier konnte man noch etwas vom Medienprofi Küng lernen: Überlasse nichts dem Zufall. Eingangs wies Frau Kiklas noch dankbar darauf hin, dass es einzig den guten Beziehungen von Küng zum Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück zu verdanken sei, dass die Kirchenvolksbewegung mit dieser Veranstaltung überhaupt in das Programm des Kirchentages aufgenommen wurde.

Moltmann machte in seinem Eingangsstatement deutlich, dass es in der Ökumene nicht darum gehen könne, die Bestände beider Kirchen zusammenzusetzen, sondern um eine Einheit aus der gemeinsamen Erneuerung. Damit trägt dieser Theologe der Hoffnung einen utopischen, um nicht zu sagen irrationalen Zug in die Kirche hinein. In diesem Sinne charakterisierte er auch das Konzil als „Schritt nach Vorwärts“. Offen blieb dabei nur wohin? Küng nannte das Konzil das „Schlüsselerlebnis seines Lebens“. Zwar habe das Konzil viele Anliegen der Reformation und der Aufklärung aufgenommen, aber diese seien nur zur Hälfte umgesetzt worden: „Der Rest sind Kompromisse.“ Hier sprach Küng bereits die Botschaft des Abends aus: „Wir wollen nicht noch einmal 20 bis 30 Jahre warten.“

Auf die erste Frage „Wer sind die Laien in der Kirche?“ gab der reformierte Moltmann natürlich die Antwort, dass es in der evangelischen Kirche keine Laien gebe. Küng erinnerte an das Konzil und die Aufnahme des Begriffes „Volk Gottes“ in die Kirchenkonstitution. Allerdings sei die hierarchische Struktur der Kirche nicht außer kraft gesetzt worden und ein „übles Patt“ entstanden mit dem Ergebnis, dass das Gottesvolk bis heute „nicht ernst genommen“ werde. In diesem Zusammenhang stellte Küng die Frage: „Wie werden wir mit den Bischöfen fertig?“. Ihm bereite nämlich das „spezifisch katholische Dilemma“ Sorge, dass sich die Bischöfe immer damit herausreden, dass sie nichts ändern könnten, da Rom zuständig sei. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die soeben von den deutschen Bischöfen angekündigte neue Arbeitsgruppe: „Die Bischöfe gründen Kommissionen – damit können wir uns nicht zufrieden geben, es müssen Reformen herauskommen.“

Laien sollen Kirche leiten

Für Moltmann ist das alles kein Problem: Die Kirche sei von unten zu denken. „Die Laien müssen die Kirche leiten.“ Warum allerdings Moltmann von Kirchenaustritten abriet, ist bei seiner geringen Bindung an die Kirche als Institution unverständlich. Küng griff das Stichwort Kirchenaustritt auf und betonte, dass er „sein Leben verspielt“, beziehungsweise „sein Leben verraten“ hätte, wenn er aus der Kirche ausgetreten wäre. Es ist bemerkenswert, dass nicht die Bindung an Christus und seine Kirche, sondern einzig die Treue zum eigenen Leben Küng vom Austritt abhielt. Die zweite Frage „Wer sind die Priester und Pfarrer?“ galt dem Amt in der Kirche. Auch dieses Thema ist für den calvinistischen Professor schnell erledigt, gibt es doch für ihn nur das priesterliche Gottesvolk ohne Weihepriestertum.

Aufschlussreich waren hier die Antworten des katholischen Priesters Hans Küng: So wie jeder Christ taufen und Sünden vergeben könne, so könne er auch das Abendmahl feiern. „Die Eucharistie ist allen gegeben worden, jeder Christ ist ermächtigt, Eucharistie zu feiern.“ Im Prinzip könne jede beliebige Gruppe von Christen zusammenkommen und „gültig Eucharistie feiern“. Und er fügte hinzu „Wer kann sie hindern?“ Diese Überzeugung wurde von Moltmann dankbar angenommen. Im evangelischen Abendmahlsverständnis sage sich einer dem anderen die Abendmahlsworte zu, statt einer „Einzelleistung am Altar“. Sogleich machte Küng auf die bedeutsamen Konsequenzen aufmerksam: Keine Konfession könne dann nämlich mehr der anderen unter Hinweis auf die apostolische Sukzession die Gültigkeit ihrer Eucharistiefeier absprechen. Eine Küng-Kirche braucht kein Weihepriestertum. So sieht die zukunftsorientierte Einheit aus der Erneuerung aus. Als „Normalfall“ könne durchaus das nun zur „katholischen Tradition“ im Sinne eines unverbindlichen Brauches herabgestufte Amt des Pfarrers im Sinne des Gemeindevorstehers weiter ausgeübt werden, aber „es ist nicht so, dass alle Gläubigen das nicht könnten“.

Mit der rhetorischen Frage: „Was ist wichtiger, Zölibat oder Eucharistie?“ forderte Küng priesterlose Gemeinden auf, sich doch auf das Recht auf Eucharistie zu berufen. Im übrigen habe sich die Zölibatsfrage erledigt. Der Zölibat sei „bibelwidrig“ und verstoße gegen die Menschenrechte: „Es gibt nichts, was dafür spricht außer fromme Sprüche, er gehört abgeschafft.“ Ein bindendes Versprechen, mit dem ein Mensch als Ausdruck seiner höchsten Freiheit über sein ganzes Leben verfügt, darf es in der Küng-Kirche nicht geben. Von Küng wurde die dritte Frage „Wer ist die Kirche?“ sofort subjektivistisch von der Wahrheitsfrage weggebogen mit der Frage an Moltmann: „Wie nimmst du die katholische Kirche wahr?“ Als nicht real bezeichnete dieser die Papstkirche, die nur als „große Show” in den Medien vermarktet werde. Gemeinde ist für Moltmann „die Kritik der etablierten Kirche und ihre Zukunft“. Kirche wird lutherisch durch Gemeinde ersetzt und vom jeweiligen Zeitgeist in die unbestimmte Zukunft geführt.

Wohlklingend verkündete Küng, dass aus der Kirche für das Volk endlich die Kirche des Volkes werden müsse. Mit seiner Maxime „Jeder Christ ist ein Experte seines Glaubens und muss als solcher anerkannt werden“ hat Moltmann dann auch noch die Wahrheitsfrage ausgehebelt und dem modernen Relativismus das Wort geredet. Mit der vierten Frage wandte man sich der Ökumene zu. Es dürfe keine Rückkehrökumene geben, meinte Küng und verband dies mit heftiger Kritik an Papst Benedikt XVI., der anglikanische Geistliche zur Konversion eingeladen habe. Dies sei das Gegenteil dessen, was das Konzil gewollt habe. Ebenso lehnte Küng das Modell der „versöhnten Verschiedenheit“ als zu statisch ab und verwahrte sich auch gegen die Versuche von evangelischer Seite, das lutherische Profil gegenüber dem „römischen“ herauszustellen: „Da waren wir schon weiter.“ Moltmann hatte hier eine Formel parat: „Gemeinschaft mit Rom, aber nicht unter Rom.“

Küng, immerhin Präsident der Stiftung Weltethos, weitete sofort den Horizont und bezog die anderen Religionen mit ein und erzählte von einer interreligiösen Konferenz, wo er das Abendmahl für alle Christen feierte und die anwesenden Buddhisten von der Kommunion nicht ausgeschlossen habe. Anschließend hätten die Buddhisten ihm versichert, dass sie durch diese Feier erstmals verstanden hätten, worum es im Christentum eigentlich geht. Selbstverständlich hatte Hans Küng die Texte so angepasst, dass sie sich einem Buddhisten erschließen konnten. Dass es dem Wesen der Messfeier gerade vollkommen widerspricht, funktional als Mittel des interreligiösen Dialogs benutzt zu werden, würde Küng nicht verstehen. Werden doch in seinem Konzept vom Weltethos alle Religionen rein funktional verstanden: „Kein Überleben ohne Weltethos. Kein Weltfriede ohne Religionsfriede.

Professorenliturgie in Tübingen

Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog.“ Diesem Dialog und dem Gesamtziel sind auch alle Ausdrucksformen der jeweiligen Religionen und die Religionen selbst unterzuordnen. Letztlich wird bei Küng die Religion funktionalisiert (wir dienen nicht mehr Gott, sondern dem Weltfrieden) und das Ethos (es sagt nun nicht mehr, was wir brauchen und wozu wir es brauchen, sondern alleiniger Zweck ist das Überleben der Menschheit).

Abschließend ging es in der letzten Frage um das gemeinsame Abendmahl. Moltmann behauptete, es gebe keinerlei Lehrdifferenzen mehr, die die eucharistische Gemeinschaft weiterhin ausschließen würde. Genüsslich wies er auf die inkonsequente Handlungsweise deutscher Kardinäle hin, die Christen anderer Konfessionen wissentlich zur Kommunion zugelassen hätten. Küng erinnerte daran, dass er anlässlich des Katholikentages 1984 in München zusammen mit dem protestantischen Pfarrer Jörg Zink nach der sogenannten Lima-Liturgie eine Abendmahlsfeier mit Interkommunion gehalten habe. Stolz berichtete Moltmann, wie er gemeinsam mit einem Jesuitenpater in nur wenigen Stunden eine ökumenische Liturgie für die interkonfessionellen Messfeiern im ökumenischen Arbeitskreis in Tübingen gebastelt hatte. Von der Professorenliturgie zur Professorenkirche.

Erneut kritisierte Küng den Papst, der es bei seinem Besuch in Konstantinopel unterlassen habe zu entscheiden, dass die Orthodoxie nur zur Anerkennung der ersten sieben Konzilien verpflichtet sei. Dadurch würden alle späteren Lehrentscheidungen den Universal- und Jurisdiktionsprimat des Papstes betreffend für sie als unverbindlich wegfallen. Erneuter Aufruf von Küng: „Wir müssen das selber in die Hand nehmen.“

Abschließend fragte Küng den Kollegen Moltmann, ob die evangelischen Christen die katholische Kirche brauchen. „Ja“ antwortete dieser, „aber nicht in ihrer römischen Form.“ Ihn beeindrucke an der katholischen Kirche, dass sie Weltkirche sei, die eucharistische Frömmigkeit, die er nicht versteht, und die Verehrung der Märtyrer. Wäre sein Gesprächspartner nicht Hans Küng gewesen, könnte hier sogar ein echter Dialog der Konfessionen beginnen über die Zusammenhänge zwischen Papsttum und Weltkirche, Eucharistie und Frömmigkeit, Märtyrer und Wahrheitszeugnis. Erstaunlich banal war demgegenüber die Antwort von Küng auf die Frage, warum wir die evangelischen Christen brauchen: Sie nehmen die Schrift ernst, die Freiheit eines Christenmenschen, die Unmittelbarkeit zu Gott und die Rechtfertigungslehre. In der modernen und zeitkonformen Küng-Kirche gibt es keine unbedingte Wahrheit mehr, die von Menschen durch ihre ganze Existenz vertreten wird. Es gibt auch nicht den Gottessohn, an den alle Menschen glauben sollen. Das Christentum und alle anderen Religionen haben von Küng einen Platz zugewiesen bekommen, der sie einem innerweltlichen Zweck unterordnet und so neutralisiert. Sein „Weltethos“ enthält das Recht auf Selbsttötung und läuft damit ebenso auf die Zerstörung jedes Ethos hinaus. Wer dies nicht will, sollte mit einem alten Brückenbauer in Rom und einigen anderen katholisch bleiben.


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Zuletzt geändert am 18­.05.2010