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Veröffentlicht am 17­.05.2010

17.5.2010 - Süddeutsche Zeitung

Eine Übung in frommem Trost

Der Himmel war grau, die Stadt aber leuchtete in Orange, der Farbe der Kirchentagstücher. Trotz aller Feste und Feiern wollte der rechte Frohsinn jedoch nicht aufkommen: Die Christen, so zeigte sich, waren mit sich selbst beschäftigt, mit dem Zwist der Konfessionen, den jüngsten Missbrauchs-Skandalen und der Frage: Wie finden wir heraus aus der Misere? Die große Politik, egal ob Finanzkrise oder Afghanistan-Krieg, spielte eher eine Nebenrolle.

Von Matthias Drobinski und Monika Maier-Albang

Am Ende gibt es doch noch eine Demonstration. Brav auf dem Fußgängerweg drängen sich die Teilnehmer, immer in Sorge, sie könnten die Passanten stören, die in der Sendlinger Straße shoppen gehen. Sie beginnen mit der La-Ola-Welle, sie finden es dann aber passender, Taizé-Lieder anzustimmen: „Laudate omnes gentes“ singen sie – alle Völker lobet den Herrn. Bald ist der Chor ungewollt mehrstimmig, weil man vorne schon viel weiter ist als hinten in der Menschenkette, die am Samstag zwei Kirchen in der Münchner Innenstadt miteinander verbindet: den Dom und St. Matthäus, die evangelische Bischofskirche.

Es ist eine Demonstration für die gemeinsame Mahlfeier. Die Botschaft an die Kirchenleitung ist unmissverständlich: Hier steht ein drängendes Kirchenvolk, zu dem Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, noch ein paar Stunden zuvor gesagt hatte, er habe ja Verständnis, bitte jedoch um „Geduld, verbunden mit Ungeduld“. Geduld, die im Anschluss an die Menschenkette einige hundert katholische und evangelische Christen nicht aufbringen mochten. Sie feierten einen „inoffiziellen“ gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst in einem Hörsaal der Technischen Universität – außerhalb des Programms. Die Predigt hielt der Kirchenkritiker und katholische Theologe Gotthold Hasenhüttl, der selbst das Abendmahl empfing und es danach austeilte. Er hatte bereits am Rande des Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin evangelische Christen zur Kommunion eingeladen und war daraufhin vom Priesteramt suspendiert worden.


Insgesamt sei der zweite Ökumenische Kirchentag in München mit seinen 133 000 Dauerteilnehmern und noch viel mehr Tagesbesuchern „kein Kirchentag der Euphorie, aber der Freude und der Nachdenklichkeit“ gewesen, bilanzierte Erzbischof Zollitsch. Und EKD-Präses Nikolaus Schneider ist sich mit „Bruder Zollitsch“ einig: Es war nicht der letzte gemeinsame Kirchentag. Am Samstag diskutierten sie schon über einen günstigen Zeitpunkt für einen dritten ÖKT: 2017, im Lutherjahr? Schneider hat dies ins Gespräch gebracht, nur eine Bitte hätte er: Beim nächsten Mal nicht im Mai, sondern lieber im Juli. Ein bisschen wärmer wäre nicht schlecht. Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, frotzelt, München habe immerhin gezeigt: „Die Ökumene ist wetterfest.“ Aber, so fügt er hinzu: „Die Ungeduld des Kirchenvolks ist groß.“ Immerhin wollen die deutschen Bischöfe eine Art Denkfabrik zur Erneuerung der Kirche gründen.

Es war ein Kirchentag ohne Euphorie, ohne große Visionen: Zu tief stecken die Kirchen in der Krise, als dass sie im Triumph auftreten könnten – sieht man von der umjubelten Margot Käßmann ab, dem eigentlichen Star des Kirchentages. Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann beklagt sogar eine „Verzettelung“: Beim nächsten Kirchentag wünsche er sich, dass sich dieser auf „für die Gesellschaft wichtige Inhalte“ konzentriere. Selbst das Reizthema Islam löste wenig Kontroverses aus, auch wenn Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Phantasie von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), auf längere Sicht könnte es gemeinsame Kirchentage von Christen und Muslimen geben, „nicht zielführend“ fand.

Obwohl nur wenige Veranstaltungen sich mit dem Thema beschäftigten, war die Missbrauchsthematik wie ein Subtext und zeigte viel Verunsicherung. „Unsere Jugendlichen müssen sich inzwischen rechtfertigen, warum sie noch in ihrer katholischen Kirche sind“, sagt zum Beispiel Dirk Tänzler, Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, und erzählt, dass für die meisten Jugendlichen der Kirchentag vor allem der Ermutigung diene: Es gibt noch andere, die sich trotz allem in ihrer Kirche engagieren. „Aber wenn wir nicht den Dialog in der Kirche verbessern, dann bleiben die irgendwann weg“, sagt Tänzler.

Das Wetter passte zu dieser Stimmung. Die Teilnehmer ertrugen fünf Tage Kälte, garniert mit Nieselregen. Bei den großen Veranstaltungen unter freiem Himmel immerhin hatten sie Glück, und es blieb trocken: beim Abend der Begegnung am Ankunftstag, bei den Prozessionen zu Himmelfahrt, der orthodoxen Vesper, bei der an 1000 Tischen gesegnetes Brot an Christen aller Konfessionen verteilt wurde.

Diese Feier auf dem Odeonsplatz sagte viel über die Atmosphäre des Kirchentags aus: Sie war als Kompromiss ins Programm gekommen, als Trostpflaster dafür, dass andere Formen der gemeinsamen Mahlfeier nicht möglich waren. Die langatmige orthodoxe Liturgie war den meisten Menschen fremd, die sich da an den Tischen drängten – und trotzdem blieben die Leute da und waren andächtig, Fremde machten sich bekannt, aßen miteinander, erzählten, hörten zu. Die Menschen, die aus dem U-Bahn-Schacht kamen und keine Kirchentagsbesucher waren, drehten staunend die Köpfe hin zu dieser eigenen, anderen Welt.

Ein frommer Kirchentag, ein politischer Kirchentag? Theo Bolzenius, den Sprecher des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, bringt die Frage in Wallung: „Ich kann das nicht mehr hören, dass hier alles so fromm und unpolitisch geworden ist.“ Für ihn ist das kein Gegensatz: „Wer religiös und spirituell ist, der engagiert sich auch häufiger als andere, der denkt auch politisch“, sagt er. Und verweist auf die überfüllten Hallen beim Auftritt von Angela Merkel und beim Hauptforum zur Globalisierung.

Das ist sicher nicht falsch, und doch wächst seit Jahren unter den Kirchentagsbesuchern der Wunsch, etwas fürs eigene Leben mitzunehmen – ein Beratungsgespräch im Zentrum Familie, ein spirituelles Erlebnis. Wer zum Beispiel am Freitagabend nach sechs Uhr zur bereits vollen Halle C1 kommt, wo um halb neun die Brüder von Taizé zu singen und zu beten beginnen, muss draußen vor der Tür bleiben, bei frostigen sechs Grad dem Lautsprecher lauschen und durch die Glastür einen Blick auf die mehr als 6000 Menschen werfen, die da drinnen, mit einer Ausnahmegenehmigung der Feuerwehr, Kerzen anzünden. Der orange ausgeleuchtete Bühnenraum mit Tüchern, Kerzen und einer Ikone würde auch zur Kulisse eines Bollywood-Films taugen, aber das stört hier keinen. Sie lassen sich von ihrem eigenen Gesang tragen, Paare lehnen sich aneinander, der Lärm entweicht den Köpfen. Und die Frage, ob eine Finanztransaktionssteuer auf Aktiengeschäfte die Welt gerechter machen würde, hat Pause bis morgen.


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„Unsere Jugendlichen müssen sich inzwischen rechtfertigen, warum sie noch in ihrer katholischen Kirche sind.“

Die Ökumene, sagte Alois Glück, der katholische Präsident des Münchner Kirchentages, sei „wetterfest“. Das mussten die Besucher auch sein. Dennoch drängten sich Zehntausende in der Stadt, manche suchten sogar Ruhe auf den berüchtigt unbequemen Kirchentagshockern. Foto: Getty, Sven Simon, action press, epd

Zuletzt geändert am 19­.05.2010