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Veröffentlicht am 28­.05.2010

28.5.2010 - Publik-Forum

ÖKT: Rebellion auf leisen Sohlen

Auf dem Kirchentag in München wurde der Ruf nach Reformen lauter – und die Kluft zwischen oben und unten größer

Von Hartmut Meesmann

Es brennt. Die Kirchenaustritte – vor allem aus der katholischen Kirche – haben in den letzten beiden Monaten deutlich zugenommen. Die Missbrauchsdebatte hinterlässt ihre tiefen Spuren. Die deutsche Gesellschaft ist zwar etwas religionsfreundlicher geworden – einerseits; andererseits möchte sie die Religion gerne ins private Kämmerlein abschieben und liebäugelt mit einer laizistischen Gesellschaftsordnung, in der Staat und Kirchen klar getrennt sind. Den Kirchen als Institutionen begegnen viele Zeitgenossen eher skeptisch-kritisch. Kämpferische Atheisten gar haben nur Spott übrig für die Christen und wollen diese am liebsten verbieten.

Und in den Kirchen selbst? Da hat es ein prophetisch-politisches Christentum, das sich einer weltlosen Spiritualität verweigert, eher schwer, führen von oben verordnete »Strukturveränderungen« gerade in der katholischen Kirche vielfach zu Resignation und Verbitterung in den Gemeinden, werden konservative Kreise und Gruppen dort immer deutlicher gefördert.

Immer noch gilt: sich bestärken, ermutigen

Wie erleben die rund 140 000 verunsicherten, erbosten, suchenden, nach wie vor kraftvoll engagierten Christen angesichts einer eher düsteren Großwetterlage ihren zweiten Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) in München? Er wird für viele zum Ort der gegenseitigen Bestärkung und Ermutigung, zu einer Art geistlichen Tankstelle, zum Ort der Vergewisserung, dass man als Christ nicht an sich selbst zu zweifeln braucht. Die vier Tage in München sind im Vergleich zu früheren Jahren allerdings ein wenig euphorischer Event.

Der ÖKT wird für nicht wenige Christen gar zum Ort des Ärgernisses und der Enttäuschung, weil sie politische und ökumenische Leisetreterei erleben. Politische Strahlkraft jedenfalls geht von diesem Großereignis nicht aus. Aufreger gibt es keine – nimmt man die Missbrauchsthematik in ihrer Schnittmenge zwischen Kirche und Gesellschaft aus; doch dabei geht es vor allem um die kircheninterne Aufarbeitung und die mangelnde Einbeziehung der Opfer. Die »Option für die Opfer« beherrscht die innerkirchliche Debatte (Seite 32).

Finanz- und Wirtschaftskrise? Afghanistan? Entwicklungspolitik? Darüber wird auf den Foren durchaus kompetent diskutiert, hier und da auch kontrovers. Meist aber plätschern die Diskussionen dahin. Denn exponierte Positionen sind vielfach nicht gewollt, pointierte Streitgespräche selten. Eine kraftvolle prophetisch-politische Zeitansage fehlt. Auch das Kirchenvolk kann und will sich dazu nicht aufraffen. Das kann daran liegen, dass solche Positionen nur auf der Basis eines sicheren Glaubens formuliert werden können, dieses Fundament aber vielfach nicht mehr vorhanden ist. Heute dominiert zudem eine individualisierte Frömmigkeit.

Offenbar wieder nötig: »Kirchentage von unten«

Kritische Stimmen und alternative Denkansätze kommen auf eigenen Veranstaltungen der Initiative Kirche von unten, der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche, der Leserinitiative Publik und des ÖKT-Netzwerks zu Wort. In diesen Gruppen stellt man sich jetzt die Frage, ob nicht wieder ein eigener »Kirchentag von unten« mit alternativen inhaltlichen Akzenten eine neue Dringlichkeit bekommen hat.

Immerhin: Die Kirchen – einschließlich der orthodoxen und der Freikirchen – haben einen jährlichen »Tag der Schöpfung« ins Leben gerufen. Katholische und evangelische Kirche wollen ein neues Sozialwort in Angriff nehmen, in dem die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit aktuell begründet werden soll (Seite 34).

Zu Füßen liegen die Besucherinnen und Besucher dem offenkundigen Star des Kirchentages: der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, die vor nicht allzu langer Zeit über eine Alkoholfahrt gestrauchelt war. Alle ihre Veranstaltungen sind lange vor Beginn überfüllt. Man will geistig-geistliche Nahrung von ihr oder sie einfach nur mal erlebt haben und in dem Bewusstsein nach Hause fahren, dass der eigene Glaube so falsch nicht sein kann, wenn eine so toughe, gut aussehende, lebenstüchtige Frau ihn derart überzeugt und überzeugend an die Frau und den Mann bringen kann – in einer Mischung aus alltagsnahen, frommen, politischen und kirchenpolitischen Akzentsetzungen.

Margot Käßmann: Zurück an die Kirchenspitze?

Das Votum der evangelischen Kirchenbasis jedenfalls ist überdeutlich: Sie will eine Rückkehr dieser Frau an die Spitze der evangelischen Kirche, und dies eher heute als morgen. Für Furore sorgt die kleine Frau denn auch gleich wieder mit der locker vorgetragenen Feststellung, die »Pille« könne man durchaus als »Geschenk Gottes« betrachten. Dazu befragt, muss der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, genervt klarstellen, dass die katholische Kirche hier dezidiert anderer Meinung sei.

Hat München im Vergleich zum 1. Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin auf dem zwischenkirchlichen Minenfeld Ökumene Fortschritte gebracht? Nein. Bereits im Vorfeld ist seitens der Veranstalter alles getan worden, das letzte Zeichen der Einheit, die gemeinsame Eucharistiefeier, nur ja zu verhindern und kritische Stimmen von den Podien fernzuhalten (Seite 31).

Deutlich wird in München: Die Kluft zwischen »denen da oben« und dem (katholischen) Kirchenvolk ist erkennbar größer geworden. Katholische Christinnen und Christen – evangelische weithin auch – pflegen in ihren Gemeinden und Gruppen mehrheitlich das ökumenische Miteinander ganz selbstverständlich – auch das gemeinsame Abendmahl. Die Menschen können die theologischen Zänkereien weder nachvollziehen noch verstehen – und wollen es auch nicht, die Jüngeren schon gar nicht. Viele Christen sind mehr am Gespräch der Religionen interessiert, wobei besonders das neue Interesse am jüdisch-christlichen Dialog auffällt.

Die »Feier der 1000 Tische«: ein Alibi

Die offizielle Ökumene kommt nicht so recht voran. Darüber kann auch nicht die »Feier der 1000 Tische« hinwegtäuschen. Mit diesem durchaus bewegenden Zeichen soll wohl die immer wieder energisch oder flehentlich vorgetragene Forderung nach der Einheit der Kirchen im Abendmahl ein wenig abgefedert werden. »Doch das war nur die Vorspeise, die Hauptspeise steht noch aus«, kommentiert denn auch zutreffend Präses Nikolaus Schneider, der amtierende EKD-Ratsvorsitzende.

Dass jetzt die orthodoxen Kirchen mit ins Boot der Ökumene hereingeholt werden, ist nachvollziehbar, macht aber das mühsame Geschäft des Zusammenwachsens nicht einfacher. Denn die orthodoxen Kirchen haben mit dem gemeinsamen Abendmahl nichts im Sinn, mit Pfarrerinnen und Bischöfinnen schon gar nicht. Das neue Gesicht der Ökumene, von dem der evangelische Kirchentagspräsident Eckhard Nagel begeistert spricht, wird möglicherweise am Ende so schön gar nicht aussehen. So manche Schönheitsoperation kann bekanntlich danebengehen.

Der BDKJ fordert: »Jetzt müssen wir reden«

Wenn das ökumenische Miteinander denn als »dynamisch« oder »lebendig« zu bezeichnen ist, wie das die Veranstalter des ÖKT mit großer Emphase tun, dann an der kirchlichen Basis. Die katholischen Leitungsetagen aber haben sich von den Gläubigen weit entfernt, auch von vielen Theologinnen und Theologen – und das nervt inzwischen sogar eher unverdächtige Katholiken wie Alois Glück, den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Der wünscht sich nicht nur das gemeinsame Abendmahl, sondern auch verheiratete Priester und generell mehr Mut zu Reformen. »Jetzt müssen wir reden«, findet auch der Bund der Deutschen Katholische Jugend und fordert einen neuen »synodalen Prozess«, an dem die Verbände, das ZdK, die Basisbewegungen und die Bischöfe gleichberechtigt beteiligt sein sollen.

So stehen teilweise überforderte Hirten inzwischen einer breiten Mehrheit der Katholiken gegenüber, die ihnen nicht mehr folgen wollen. Es ist eine Rebellion auf leisen Sohlen. Doch auch einzelne Bischöfe sind inzwischen öffentlich ins Nachdenken gekommen. Der Glaubwürdigkeitsverlust ihrer Kirche macht ihnen zu schaffen. Innerhalb der Bischofskonferenz zeigen sich kleine, feine Risse.

München – ein Grund zur Hoffnung? Ist eine Zeit der Reformation in den Kirchen angebrochen, wie der Papstkritiker Hans Küng meint? Schön wär's ja.

Zuletzt geändert am 07­.06.2010