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Veröffentlicht am 28­.05.2010

28.5.2010 - Publik-Forum

Brotwunder im Nieselregen

In der Ökumene haben sehr viele Christien die Geduld verloren. Sie feiern Eucharistie und Abendmahl, ohne auf Konfessionsgrenzen zu achten.

von Tomas Seiterich

»Komm! Geh mit uns, die Reise ist lang. Come walk with us«, singen die rund 1300 Kirchentagsbesucher mehrstimmig, spontan dirigiert von der Gospelsängerin Flois Knolle-Hicks. Sie singen dieses Lied, das Mut macht, wiederholt in der von den Verantwortlichen des ÖKT nicht erwünschten Veranstaltung »Ökumene light? Was beim Kirchentag nicht auf der Agenda steht«. Das Lied wird zu so etwas wie einer Hymne der Ökumenikerinnen und Ökumeniker von unten. Die Überzeugung, die all diese Christen verbindet, formuliert der dank seiner »Theologie der Hoffnung« weltberühmte Tübinger evangelische Theologe Jürgen Moltmann: »Wir warten nicht mehr. Wir, Protestanten, Katholiken und Mitglieder vieler Kirchen, feiern das Mahl miteinander. Die theologische Reflexion folgt dem Tun. Nach der gemeinsam gemachten Erfahrung der Gläubigen. Die Amtstheologie darf uns nicht weiter blockieren.« Der Ökumenische Kirchentag (ÖKT) bringt in der Frage des gemeinsamen Abendmahls eine tiefe Kirchenspaltung an den Tag: zwischen oben und unten; also zwischen den Bischöfen, den Filialleitern Roms, ihren evangelischen und orthodoxen Partnern – und dem Kirchenvolk, das die ökumenische Mahlgemeinschaft fordert und zunehmend auch praktiziert.

Die Leitung des ÖKT mit ihren lohnabhängigen Funktionären hält es dagegen mit den Bischöfen. Die Frage des gemeinsamen Abendmahls wird, bis auf Restspuren, aus dem 720-seitigen Kirchentagsprogramm herausgehalten. Und vergebens sucht man die gemeinsamen Abendmahle im ansonsten üppigen InternetAuftritt des ÖKT.

Erst nach internen Kämpfen genehmigt die Kirchentagsleitung in praktisch letzter Minute das von Wir sind Kirche vorbereitete »Podium Zukunft Ökumene« mit Jürgen Moltmann und Hans Küng. Die Gesprächsleiterin Eva-Maria Kiklas erklärt zu Beginn der Großveranstaltung: »Einzig dem guten Draht von Hans Küng zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück«, sei es zu verdanken, »dass die Kirchenvolksbewegung mit dieser Veranstaltung überhaupt ins Programm des ÖKT aufgenommen wurde«. Es folgen zwei Stunden aufrüttelnd-kritischer Theologie in verständlicher Sprache, verbunden mit einem Appell an die Christen, die Initiative zu ergreifen. Moltmann diskutiert mit dem katholischen Kollegen Küng über »Ökumenische Spiritualität – heute schon gelebt?« 1500 Zuhörer holen sich Inspirationen bei den beiden Champions einer vorwärtsweisenden, freiheitlichen Theologie.

»Wie werden wir mit den Bischöfen fertig?«, fragt Hans Küng und zitiert aus der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass das »Volk Gottes« das Entscheidende in der Kirche sei. Doch das Konzil ließ daneben die hierarchische Kirchenstruktur bestehen. »Ein übles Patt«, urteilt Küng, mit dem Ergebnis, dass das Gottesvolk bis heute »nicht ernst genommen« werde. Ihm bereite das »spezifisch katholische Dilemma« Sorge, dass sich die Bischöfe immer damit herausreden, dass sie nichts ändern könnten, da Rom zuständig sei. »Sie gründen Kommissionen, wie jetzt angesichts des Missbrauchsskandals – damit können wir uns nicht zufrieden geben, es muss Reformen geben.«


Der Aufbruchswille der Gläubigen sucht sich seine Zeichen. Weit über zehntausend eilen im kalten Regen auf den Odeonsplatz, um eine orthodoxe Vesper im Freien mitzufeiern. Dieser Gottesdienst endet mit gesegnetem Brot für alle. Da sitzen dann die Leute an tausend Biergartentischen. Helfer haben zuvor noch eilig die Bänke abgetrocknet. Ein schönes Bild: Brotbrechen – man teilt mit Tischgenossen, die zwar fremd, jedoch gleichgesinnt sind. Es ist ein fröhliches Ökumenemahl – das jedoch zu Missverständnissen einlädt. Denn hier findet keine Eucharistie und kein Abendmahl statt. Orthodoxen Geistlichen ist es nämlich verboten, Katholiken oder Protestanten die Heilige Eucharistie zu reichen. Denn beide Westkirchen teilen das orthodoxe Eucharistieverständnis nicht völlig. Es geht also noch zugeknöpfter als in Rom. Dennoch hilft die kleine orthodoxe Kirche in Deutschland als Mitgastgeberin des Kirchentages mit ihrer Artoklasia, dem Geschwistermahl nach der Vesper, der katholischen wie der evangelischen Kirche aus der Patsche. Denn beide bringen wegen des Vetos der Bischöfe in München – anders als etwa beim großen Augsburger Pfingsttreffen 1971 – keine gemeinsame Eucharistie- und Mahlfeier zustande.

Der sichtbarste Ausdruck für die ökumenische Ungeduld der Christen ist die Menschenkette für das gemeinsame Mahl zum Ende des Kirchentages. Die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche hatte sie vorbereitet. Der Weg von der evangelischen Matthäus-Kirche zum Liebfrauen-Dom quer durch das Münchner Zentrum beträgt 1200 Meter. Die Strecke ist nicht groß. Dennoch sind die Aktiven gespannt: Wird es gelingen? Es gelingt. Zwischen 17.30 und 17.45 Uhr ist die Kette geschlossen. Wie geplant. »Ich bin mit dem Fahrrad an der Menschenkette langsam entlanggeradelt, vielerorts standen die Leute in Zweier- und Dreierreihen, da war ich sehr glücklich«, sagt Christian Weisner, der Sprecher von Wir sind Kirche. 2500 Teilnehmer zählt die Polizei.

Neben diesen großen Demonstrationen für ein gemeinsames Mahl steht eine Anzahl kleinerer ökumenischer Mahlfeiern. Laien leiten in der voll besetzten Maximilianskirche in der Isarvorstadt ein abendliches Gedächtnismahl.
Und wie selbstverständlich Eucharistiegemeinschaft sein kann, zeigt die Feier von altkatholischer, anglikanischer und evangelischer Kirche nach der Lima-Liturgie an Himmelfahrt.

Der suspendierte Saarbrücker Priester und Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl feiert gemeinsam mit dem pensionierten evangelischen Pastor Eberhard Braun und 400 Gläubigen im Hörsaal 1180 der Technischen Universität München ein andächtiges Abendmahl. Hasenhüttl, im Priestergewand, predigt und teilt die Hostien aus. Es ist für ihn das zweite Mal. Schon auf dem ersten ÖKT 2003 hatte Hasenhüttl in der Berliner Gethsemanekirche die Evangelischen an den Tisch des Herrn eingeladen und dies in einer deutlichen Predigt begründet. Dafür hatte ihn der damalige Trierer – heute Münchner – Bischof Reinhard Marx abgestraft. Die harten damaligen Strafen gegen Hasenhüttl und den Eichstätter Priester Bernhard Kroll bewogen die im AK Ökumene verbundenen deutschen Basis-Ökumeniker, für München keine ökumenische Messfeier zu planen, denn sie wollten keinesfalls einen Priester von den Bischöfen »verbrennen« lassen.

Berührend verläuft die ökumenische Mahlfeier, zu der die Arbeitergeschwister eingeladen haben. Im »Lichthof« der Münchner Universität erinnern die anderthalb Dutzend Gottesdienstleiter an die spirituelle Kraft der ermordeten Widerstandskämpfer der Weißen Rose, deren Verfolgung 1944 just an diesem Ort begann. Dann treten sie ins Freie und bilden Kreise. Im Nieselregen geht es um die eigenen Nöte und um Erfahrungen an der Seite der Armen. Anschließend werden, wie beim Letzten Abendmahl Jesu, allen Mitfeiernden die Füße gewaschen. – Und das Ökumenische an diesem Mahl? Es besteht in einer Pause. Als es still ist, kramt einer nach dem anderen sein Vesperbrot aus dem Rucksack. Alle teilen miteinander. Auch in diesem »Brotwunder« lebt in München das vielgestaltige Ökumene-Mahl.

Zuletzt geändert am 08­.06.2010