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Veröffentlicht am 08­.07.2010

8.7.2010 - Rheinischer Merkur

Rot ist die Liebe

Die Mitglieder von St. Petrus in Dresden pflegen ihre Verbundenheit aus der Zeit der DDR und veranstalten Kurse für Glaubenseinsteiger. Sie haben Erfolg unter jungen Eltern. Innenansichten einer wachsenden katholischen Pfarrei.

VON VERA RÜTTIMANN

Magdalena Gottwald, Katholikin in der Gemeinde St. Petrus in Dresden-Strehlen, ist nachdenklich im Dresdener Großen Garten unterwegs. Hier, in diesem rechteckigen Park mit seinem Teich, barockem Palais und satten Wiesen, hat sie große Treffen ihrer Kirche erlebt. Die Fronleichnamsprozessionen, bis sie 1966 verboten wurden. 1987 das erste und einzige DDR-weite Katholikentreffen mit seinen Podien auf der großen Freilichtbühne. Sieben Jahre später, 1994, schließlich der erste gesamtdeutsche Katholikentag. Und stets war da in schweren Zeiten dieses spezielle Gefühl der Zusammengehörigkeit unter Katholiken in der DDR.

In St. Petrus in Strehlen ist dieses spezielle Gefühl immer noch da. Auf den Wiesen, vor der Kirche und im kanariengelb bemalten Gemeindezentrum, überall Kindergeschrei, bunte Ballone und junge Eltern. Fußballspiel und Grillen steht auf dem Programm, aber auch Nachdenken über Gott. Mit ihren Kindern haben sich die Eltern zu einer „Religiösen Kinderwoche“ eingefunden, die unter dem Thema steht: „Wie kann ich Gott suchen? Wie kann ich ihn finden?“ Die Kinder kennen sich von der „Frohen Herrgottstunde“, den wöchentlichen Treffen auf dem Kindergartengelände, jedoch auch von der „Kinderkirche“ am Sonntag. Die krisenhafte Stimmung, die sich vielen Katholiken anderswo wegen immer neuer Vorwürfe und Verdächtigungen gegenüber Klerikern wie Mehltau auf die Seele legt, scheint weit weg.

Die Katholiken hier mussten aus Not stets eng zusammenrücken, sich solidarisieren. Selbst um ihr Gotteshaus mussten sie kämpfen. 1962 entstand ein Gemeindezentrum neben dem Olympia-Kino an der Dohnaer Straße. Die Gemeinde durfte nur eine Barackenkirche bauen, ohne Turm. In den Sechzigerjahren waren Sakralbauten auch in Dresden kaum erlaubt. Daher errichteten viele Gemeinden ihre Kirchen nicht am Straßenrand, sondern auf Grundstücken nach hinten versetzt. Magdalena Gottwald sagt: „Niemand sollte sehen, dass hier eine Kirche ist.“ In der Nachbarschaft zu St. Petrus wohnten viele Sudetendeutsche und Schlesier, die ihr kirchliches Leben pflegten.

Unter den jungen Frauen, die Kinder beim Gemeindefest betreuen, ist Gitta Kindt. Sie erinnert sich an ihre Jugend in der Gemeinde, in die sie „aus Opposition zu diesem Staat und aus meinem Glauben heraus“ kam. St. Petrus sei für sie stets Heimat gewesen: „Hier fühlte ich mich sicher.“ Das lag, so Kindt, auch an Jesuiten-Pater Lothar Kuczera, der die Gemeinde leitete. Der Ordensmann achtete streng darauf, dass die Kinder Religionsunterricht und Firmung besuchten. „Geprägt haben mich die Glaubensseminare für die Erwachsenen. Die waren wichtig, da ja in der Öffentlichkeit damals kein religiöses Leben stattfinden konnte.“

„Das Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinde“, sagt Gitta Kindt, „haben wir mitgenommen in die heutige Zeit. Ich habe nach der Wende selber eine Zeit lang im Westen gelebt und war erstaunt, wie wenig die Leute voneinander wissen, obwohl sie sich seit Jahren treffen.“ In St. Petrus gibt es Veranstaltungen aus DDR-Zeiten, die bis heute über Generationen weiter gepflegt werden. Die Verbundenheit untereinander, die lebendigen Traditionen, das alles seien Gründe, weshalb von der krisenhaften Stimmung in der katholischen Kirche in ihrem Alltag hier wenig zu spüren sei. Gitta Kindt begrüßt einen wohnungslosen Mann, der ihre Kirche regelmäßig aufsucht. St. Petrus beteiligt sich seit 15 Jahren am Projekt „Nachtkaffee für Obdachlose“.

Die Gemeinde ist bekannt für die „Alpha-Kurse“ für jene, die ihren Glauben auffrischen oder ihn kritisch hinterfragen wollen oder schlicht neugierig sind, was dahintersteckt. In einer anglikanischen Londoner Gemeinde entwickelt, wurden die Kurse 1996 in der evangelischen Kirche ins Deutsche übertragen. Die Teilnehmer treffen sich zu zehn Abenden und einmal am Wochenende. „Die Kurse dienen oft als Gemeinde-Einstieg. Die Teilnahme ist von den Besuchern sehr bewusst gewählt. Immer wieder gehen daraus Erwachsenen-Taufen hervor“, sagt die Ingenieurin Ilka Pötter. Die 37-Jährige hat sich selbst vor zwei Jahren hier taufen lassen und ist seitdem eine der zwölf „Teamer“, also Mitarbeitenden im Alpha-Kurs. Als sie, einer katholischen Tradition folgend, ihr Haus segnen ließ, traf sie auf Gemeindepfarrer Christoph Baumgarten. „Er erzählte mir von einem Kurs für diejenigen, die auf der Suche sind. Ich dachte mir: Nicht schlecht! Ich schau mal vorbei. Es war dann ergreifend, es hat mir viel gegeben für mein Leben.“ Das Angebot wird überdurchschnittlich gut besucht, sagt Christoph Baumgarten, der seit 2002 hier Pfarrer ist. Das liege, so der gebürtige Leipziger, auch am intellektuellen Niveau der Leute. St. Petrus ist eine Studentengemeinde, die Technische Universität ist nur drei Busstationen entfernt. Es gibt viele Professoren in der Gemeinde, die „dies aber nicht zur Schau tragen und auch den Abwasch machen“. Zudem profitiere das Gemeindeangebot von hervorragenden Musikern.

Diese Gemeinde, die über Dresden hinaus für Liberalität und Offenheit bekannt ist, tickt anders. Pfarrer Christoph Baumgarten erlaubt auch, dass Laien wie die Gemeindereferentin Astrid Herrmann neben Diakon Daniel Frank predigen darf. „Das ist mutig“, freut sich Gemeindeglied Eva-Maria Kiklas, die lange dem Bundesteam der Gruppe „Wir sind Kirche“ angehörte. Die Laien-Predigten haben zu keinen Konflikten geführt, so Christoph Baumgarten, auch weil es oft Dialog-Predigten zwischen ihm und der Gemeindereferentin sind.

Was unterscheidet die Gemeinde von anderen? Oft wird der persönliche Glaube genannt. „Klar muss ich mich auf meiner Arbeit rechtfertigen, weshalb ich noch in der katholischen Kirche bin. Trotzdem stehe ich dazu. Das eine ist die Amtskirche, das andere mein Glauben“, sagt Gitta Kindt.

Eine solche Haltung freut auch Christoph Baumgarten. Er spürt keinen Abstand zwischen Laien und Priestern, was auch auf das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinde wirkt: „Ich erlebe hier keine Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche und der Priester, von der die Medien so oft sprechen.“ Das liege, meint er, natürlich auch an der Situation der Diaspora-Kirche, die damals wie heute keinen großen Einfluss habe.

Baumgarten ist froh, dass er sich nicht mit innerkirchlichen Konflikten herumschlagen muss; der Alltag sei fordernd genug. Bei seinen Besuchen im katholischen Krankenhaus St. Joseph-Stift in Dresden erlebt er, dass die meisten nicht wissen, was eine Beichte, eine Kommunion oder eine Krankensalbung ist. „Ich staune jedes Mal über dieses Unwissen der Leute. Das sind die wirklichen Probleme, vor denen wir stehen.“

Das Profil seiner Gemeinde beschreibt er so: „Wir wollen eine offene, einladende Gemeinde für am Rande Stehende sein, Für Suchende, Neuzuzügler oder Leute, die Glauben und Kirche kennenlernen wollen.“ Die Gemeinde wächst tatsächlich. 2009 kamen mehr als 500 Mitglieder hinzu. Sie stammen aus ganz Europa, Studenten, Mitarbeiter von Ministerien, Universitäten und Kulturbetrieben wie Theatern und Orchestern. Die Mentalitäten, Sprachen und Glaubenserfahrungen, die sie mitbringen, bereichern die Gemeinde. „Viele Neuzuzügler bringen sich mit ihren Talenten und Charismen aktiv ein“, freut sich Christoph Baumgarten. Die starke Durchmischung bringe jedoch auch Herausforderungen, die nicht immer reibungslos ablaufen. „Es gibt eine gute Prägung von früher. Jetzt muss das Alte mit dem Neuen verbunden werden.“

Trotz der Neuzuzügler kämpft die Gemeinde mit einer hohen Fluktuation und der Schwierigkeit, dass sich Jugendliche nicht mehr längerfristig an Aktivitäten binden lassen. Ein bewährtes Mittel sind dabei für den langjährigen Jugendseelsorger Ausflüge wie etwa die alljährliche Fahrrad-Wallfahrt des Bistums auf den Spuren von Heiligen. Christoph Baumgarten sagt im Blick auf die Zukunft: „Einerseits haben wir gewachsene Strukturen und Menschen, die das bewusst suchen. Andererseits kommen jetzt Leute zu uns, denen diese ostdeutsche Prägung, dieses Verbindende untereinander, fehlt. Wahrscheinlich haben sie diese Sehnsucht gar nicht. Die spannende Aufgabe besteht nun darin, darauf hinzuweisen, was sie bei uns finden könnten.“ Ein probates Mittel sind für ihn die Alpha-Kurse. „In ihnen steckt für mich das Prinzip der Urchristenheit. So sind die Gemeinden schon immer gewachsen. Wir müssen das nur wie- der entdecken.“

Zuletzt geändert am 08­.07.2010