27.05.2006 - Süddeutsche Zeitung
Protestierer unter Katholiken
Von Matthias Drobinski
Saarbrücken, 26. Mai – Der kleine, schmale Mann hat sich in die Ecke zwischen Schachspiel und Reiseandenken gesetzt und sagt, er bereue nichts. Mehr noch, er fühle sich vom verstorbenen Papst Johannes Paul II. bestätigt – hatte der nicht vor dem ökumenischen Kirchentag 2003 erklärt, in Ausnahme- und Einzelfällen könnten auch Protestanten die Kommunion empfangen? Und war nicht der „erste ökumenische Kirchentag seit der Reformation“ so eine Ausnahme? Wieso sollte er, wie vom Trierer Bischof Reinhard Marx gefordert, Reue zeigen „wo mir nicht Leid tut, dass ich evangelischen Christen die Kommunion gegeben habe“?
Gotthold Hasenhüttl aus Saarbrücken, 72 Jahre alt, emeritierter Professor, Kommunionrebell. Fast genau drei Jahre ist es her, dass er am Rand des ökumenischen Kirchentages die katholische Eucharistie feierte und rief: „Alle sind eingeladen!“ Weil sein Bischof Marx das Papstwort, wie alle außer Hasenhüttl, als Verbot der eucharistischen Gastfreundschaft las, kam eine Spirale in Gang, wie sie wohl nur in der katholischen Kirche möglich ist. Bischof Marx suspendierte den Professor erst vom Priesteramt, dann entzog er ihm die Lehrerlaubnis. Und Hasenhüttl wurde zum Rebellen, der stets eine Meldung wert war.
So dreht sich auf dem Saarbrücker Katholikentag die Spirale weiter und führt zum einzigen echten Konflikt. Die Katholikentags-Planer des Bistums Trier und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken haben deutlich gemacht: Wer den einlädt, hat keinen Platz auf dem Treffen. So hat Publik-Forum, die „Zeitung kritischer Christen“, im Staatstheater eine Diskussion mit Hasenhüttl organisiert, was die Verantwortlichen im Bistum Trier empört – es ist leichter, einen Atheisten aufs Podium zu bringen als den ungehorsamen Katholiken.
Der erscheint auch deshalb so gefährlich, weil er eine verbreitete Stimmung im Kirchenvolk trifft. Jeden Sonntag empfangen Protestanten in katholischen Kirchen die Kommunion, Katholiken gehen in evangelischen Kirchen zum Abendmahl – warum soll offiziell nicht möglich sein, was verdeckt Praxis ist? Über Hasenhüttl empören sich vor allem Kirchenleute wie Kardinal Lehmann oder Kardinal Kasper, der „Ökumene-Minister“ des Papstes, die sich seit Jahrzehnten innerhalb der katholischen Möglichkeiten um mehr Gemeinsamkeit der Konfessionen bemühen. Denen aber wirft Hasenhüttl vor, ihre Visionen vergessen zu haben: „Kardinal Kasper hat vor mehr als 30 Jahren noch gesagt, nicht der gemeinsame Kommunionempfang sei ein Skandal, sondern die Trennung der Christenheit.“ Und er, Hasenhüttl, habe damals mit vielen Theologen im Ornat das evangelische Abendmahl empfangen – „niemand wurde bestraft“.
Er ist der Sache treu geblieben, so sieht er das. Weil der gebürtige Grazer schon in der Gregoriana, der deutschen Theologenschmiede in Rom, über den evangelischen Theologen Rudolf Bultmann promovierte. Weil er später Bultmanns Idee von der Entmythologisierung der Bibel und des Glaubens auf seine Kirche anwandte, dazu ein 1600-Seiten-Werk schrieb, das Kritiker als Aufruf zur Protestantisierung des Katholizismus sehen. Auch Wohlgesonnenen macht er es nicht leicht. Nach seiner Suspendierung hat er den Bischöfen „Eichmann-Gehorsam“ vorgeworfen, was ihm Leid tut. Gar nicht Leid tut ihm, dass er vor einigen Tagen sagte, sein Bischof Reinhard Marx hätte einen guten Wärter im Gefängnis Alcatraz abgeben: „Wieso soll das zu hart sein? Gefängniswärter ist doch ein ehrlicher Beruf!“
Das mit dem Gefängniswärter zitieren dann alle, da können Kardinal Lehmann und die evangelische Bischöfin Margot Käßmann noch so differenziert von ökumenischen Problemen reden. Es schmerze ihn, dass er nach mehr als 40 Jahren Priesteramt nicht mehr Gottesdienst feiern dürfe, sagt Hasenhüttl. Aber nie werde er abschwören. Bei der Podiumsdiskussion „Braucht Mutter Kirche nur brave Kinder?“ sitzt er im Publikum und geht den Kirchenrechtler Peter Krämer an, warum der ihn nicht unterstütze. Weil es gegen das Kirchenrecht ist, was sie getan haben, lautet die Antwort, sie klingt wie: Das habe ich ihnen doch schon 1000 Mal erklärt.
Gegenüber Hasenhüttls Schreibtisch steht eine Schnitzfigur: Vergebliche Geburt heißt sie, eine Frau gebiert ein Kind mit Totenkopf. „So kommt mir manchmal meine Arbeit vor“, sagt er: „Ich mühe mich, und alles bleibt vergebens.“
Zuletzt geändert am 30.05.2006