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Veröffentlicht am 24­.07.2010

23.7.2010 - Die Tagespost

Bald eine Herde ohne Schäfchen?

Eine Podiumsdiskussion in der Katholischen Hochschulgemeinde in Bonn beschäftigte sich mit der Zukunft der Jugend in der Kirche. Von Clemens

Bonn (DT) Treffender hätte das Schlusswort nicht sein können: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Mit diesem Zitat der Rates der Evangelischen Kirche Deutschland schließt der Publizist Andreas Püttmann am vergangenen Montag das von ihm moderierte Podium im Kapitelsaal der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Bonn. Zuvor hatten die vier Referenten – Nathanael Liminski vom Mediennetzwerk „Generation Benedikt“, der Diözesanjugendseelsorger des Erzbistums Köln, Michael Kolb, der evangelische Pfarrer Achim Dehmel, sowie Magnus Lux von der Kirchenvolksbewegung – vor Studenten der KHG und Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung zwei Stunden lang kontrovers über die Fragen diskutiert, welche Zukunft die Jugend noch in der Kirche hat. Und wie man junge Menschen stärker für den Glauben begeistern kann. Dabei wurde ebenso der derzeit verstärkt auftretende Mitgliederschwund sowie die Abkehr junger Menschen vom Glauben thematisiert, als auch die jetzt schon praktizierten pastoralen Projekte und Gegenmaßnahmen. Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, dass Kirche für junge Menschen ganz besonders dann wieder attraktiv ist, wenn sie glaubwürdig und überzeugend ist und es mehr authentische Vorbilder gibt, die den Glauben bezeugen.

Dass bei der Veranstaltung, die von Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung angeregt wurde, nicht nur über mediale Reizthemen wie den Ruf nach Reformen in der Kirche, beispielsweise die Abschaffung des Zölibats oder die Zulassung von Frauen zum Priesteramt, debattiert wurde, hatte man zu einem großen Teil auch dem Publikum zu verdanken, die den Referenten durch kritische Kommentare Rückmeldungen gaben und eine stärkere Berücksichtigung der ursprünglichen Fragestellungen anmahnten. Eine Besucherin merkte am Ende an, dass die Frage nach dem Zölibat und dem Frauenpriestertum für Jugendliche kaum Relevanz habe. Vielmehr würden Jugendliche Antworten auf die großen Sinnfragen des Lebens suchen. Ein anderer Student meinte zudem, dass die Diskussion über solche Themen die Leute davon abhalten würde, ihre Beziehung zu Gott zu vertiefen. Anstatt sich bei Reformfragen aufzuhalten, solle die Kirche mehr auf die Menschen zugehen und stärker in ein gelebtes Gottesverhältnis bringen.

Moderator Püttmann zeichnete zu Beginn der Diskussion anhand demoskopischer Ergebnisse ein düsteres Bild der Jugendlichen in der Kirche. In einer doppelten Diaspora befänden sich die jungen Gläubigen, meint Püttmann. Außerhalb der Kirche seien sie eine gesellschaftliche Minderheit, innerhalb in einer Lebensalter-Diaspora. Die Hälfte der Kirchgänger sei über 60 Jahre alt. Nach dem Allensbacher „Generation-Barometer“ von 2009 würden zudem lediglich nur noch 15 Prozent der unter 30-Jährigen eine religiöse Erziehung als wichtig erachten. Lediglich ein Drittel der 16–29 Jährigen hätte zudem eine religiöse Erziehung zuhause genossen. Ein deutlicher Trend, der die Zukunft prägen werde.

Wie also kann Kirche darauf reagieren? Für Achim Dehmel, evangelischer Pfarrer eine Gemeinde in Bergisch Gladbach, funktioniert die Vermittlung des Glaubens im allgemeinen und speziell bei Jugendlichen über ein Netzwerk an Beziehungen. Eine tiefe „Leidenschaft für Christus“ sei der Schlüssel für eine erfolgreiche Pastoral. Zwar sei in der Seelsorge ein schwindender Bedarf am Glauben erkennbar, der durch den Besuch von ein bis zwei Gottesdiensten im Jahr gedeckt sei, dennoch müsste die Kirche missionarischer werden. So seien dort, wo die etablierten Kirchen missionarisch sind, auch die Freikirchen, die eine jüngere Altersstruktur aufweisen, nicht so stark vertreten. Allerdings merkte Dehmel auch an, dass die Jugendarbeit ein anspruchsvolles Arbeitsfeld für Seelsorger sei. Ausgebrannte Pfarrer seien wenig überzeugend. Vielmehr bedarf es engagierter und ambitionierter Menschen. So erlebe er in seiner Praxis besonders katholische Diakone – nach Dehmel ein „dickes Pfund für die katholischen Kirche“. Rund 20 Prozent der Mittel seiner Kirchengemeinde würde in die Arbeit mit Jugendlichen fließen. Er habe aber das Problem, dass man mit der Jugendarbeit lediglich Gymnasiasten ansprechen würde.

Dass die katholische Kirche auch Kinder aus Problemvierteln sowie Haupt- und Realschule in den Blick nehme, erklärte Diözesanjugendseelsorger Michael Kolb. Kirche sei im Bereich der Jugendseelsorge „besser als ihr Ruf“. So versuche man Jugendliche in ein gesichertes Arbeitsverhältnis zu bringen. Zudem gebe es kirchliche Wohnheime und spezielle Angebote, wie beispielsweise ein Stadtteilprojekt in Köln, bei dem man mit Ferienangeboten Jugendlichen eine Begegnung mit der Kirche ermöglichen wolle. Kolb gestand allerdings auch ein, dass diese Maßnahmen nicht den Gottesdienstbesuch zum Ziel hätten und man damit nicht die Masse erreiche. Eine Trennung zwischen Jugendpastoral und Vermittlung des Glaubens sieht Kolb allerdings nicht überall. Als Beispiel nannte er hier das „Jugendpastorale Zentrum Crux“ in Köln. Jugendliche, die sich in ihren Pfarreien nicht beheimatet fühlen, fänden dort eine Glaubensgemeinschaft und die Möglichkeit, ihren Glauben zu vertiefen. Überhaupt besitzt für den 2001 geweihten Priester das Pfarrmodell „keine Zukunft“. Jugendliche ließen sich nicht in Pfarreien integrieren. Wichtig sei für die jungen Menschen das Finden eines Raumes, in dem sie ihren Glauben leben könnten, nicht die Verwaltungsstrukturen.

Genau darin sieht aber Magnus Lux von „Wir sind Kirche“ ein entscheidendes Hindernis. Kirche müsse sich auch institutionell ändern, um auf die Trends reagieren zu können. Aus seiner Erfahrung als Lehrer – bis 2008 unterrichtete der Theologe in Hassfurt – habe er gemerkt: „Religion interessiert Jugendliche, Kirche nicht.“ Die Kirche sei für ihn eine hierarchische, autoritäre Struktur, die der heutigen Zeit nicht mehr entspreche. Zudem nehme die Bedeutung der Kirchenleitung überhand. Die Strukturen der katholischen Kirche verhinderten eine Vermittlung des Glaubens. Lux forderte daher eine Abschaffung des Zölibats und die Einführung der Frauenordination. Auf Nachfrage von Liminski, welche Therapie Lux bei der Frage der Jugendpastoral vorschlagen könne, musste Lux aber passen: „Wir haben auch keine Rezepte.“

Nathanael Liminski betont, dass das Netzwerk der Generation Benedikt Jugendliche über die Medien erreichen und so eine „Erstauseinandersetzung mit dem Glauben“ auslösen wolle. Ein Glaubensgespräch könne diese Form, auf den Glauben aufmerksam zu machen, nicht ersetzen. Liminski sieht Glauben falsch verstanden, wenn er als eine Antwort auf alle Lebensfragen missbraucht werde. Vielmehr seien Gläubige Teil eines Prozesses, der auch kritisch angefragt werden dürfe. Diese Offenheit für Kritik wünsche sich Liminski von der Kirche. Überhaupt solle Kirche stärker die Lebensfragen junger Menschen als Aufhänger für Angebote betrachten.

Dass viele Besucher des Abends von der Diskussion enttäuscht waren, zeigten Rückmeldungen aus dem Publikum: Eine Studentin beklagte, dass man die Veranstaltung dazu genutzt habe, um sich zu profilieren. Für eine andere Besucherin sei sogar das Thema verfehlt, weil kaum Fragen zum Kernthema, nämlich wie man wieder mehr Jugendliche erreichen könnte, diskutiert wurden. Eine andere merkte an, das die Sinnfrage im Vordergrund stehe. Die Kirche solle „Jugendliche da abholen, wo sie sind“. Dass die Kirche an ihren Standpunkten festhalte, finde sie gut. Schließlich müsse man sich fragen, ob es nicht die Gesellschaft ist, die sich ins Negative entwickle.

Zuletzt geändert am 24­.07.2010