26.05.2006 - Süddeutsche Zeitung
Im Profil: Reinhard Marx
Saarbrücken gehört zum Bistum Trier, und Trier ist das älteste Bistum Deutschlands, das soll kein Katholikentagsbesucher übersehen. Deshalb zieht eine bunt verkleidete Schar am „Abend der Begegnung“ durch die Innenstadt: Römer, die heilige Hildegard von Bingen, Friedrich Spee von Langenfeld, der Kritiker der Hexenprozesse. Mittendrin und bester Laune, als jüngster Teil der Bistumsgeschichte: der Trierer Bischof Reinhard Marx. Mögen viele Amtsbrüder solchen Rummel bestenfalls erdulden – der 52-jährige gastgebende Bischof dieses Katholikentags läuft an diesem Abend zu großer Form auf. Er kann das einfach: öffentlich sein, den Leuten etwas sagen. Und zwar mit deutlichen Worten. In seiner Eröffnungansprache hat er vor einem ungezügelten Markt gewarnt. Im Spiegel-Interview erzählt er, dass er mitdemonstriert hat, damals in Dortmund, als es um die Schließung der Stahlwerke von Hoesch und Krupp ging. „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“, das ist sein Thema, und jetzt ist es zum Leitwort des Christentreffens geworden.
Der Trierer Bischof ist der Shooting-Star im deutschen Episkopat. Mit 36 Jahren ist der im westfälischen Geseke geborene Sohn eines Schlossermeisters Direktor des katholischen Sozialinstituts „Kommende“ in Dortmund. An seinem 43. Geburtstag ernennt ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof in Paderborn. Marx gehört zu den federführenden Autoren des „Sozialworts“ der evangelischen und katholischen Kirche von 1997; in dieser Zeit hilft Marx das Verhältnis der Bischöfe zu den Grünen zu entspannen. 2001 schickt der Papst, eine Ironie der Geschichte, Reinhard Marx nach Trier in die Geburtsstadt von Karl Marx. Mit 48 Jahren wird er der jüngste Diözesan-Bischof in Deutschland. Schnell wird er bundesweit bekannt, vor allem, weil man den lebensfroh-barocken Mann in jede Fernsehtalkshow setzen kann; seine Antworten sind schlagfertig und präzise. Im Saarländischen Rundfunk hat er sogar eine eigene Talkshow.
Das Bistum Trier hat jedoch auch einen Bischof Marx kennen gelernt, der in innerkirchlichen Auseinandersetzungen keine Kompromisse macht. So hat er Professor Gotthold Hasenhüttl, der am Rande des ökumenischen Kirchentags 2003 die Kommunion an evangelische Christen austeilte, zuerst verboten, das Priesteramt auszuüben, und dann die kirchliche Lehrbefugnis entzogen; auf dem Katholikentag ist Hasenhüttl Persona non grata. Für Marx soll die katholische Kirche selbstbewusst in der Öffentlichkeit auftreten – aber nach innen gibt es klare Regeln und Grenzen.
Eine Kombination von Offenheit und Strenge, die in Rom beliebt ist: Da kann einer mit den Menschen und den Medien, ohne in Glaubensdingen liberale Schwächelei zu zeigen. Auch deshalb taucht Marx immer auf, wenn über Ämter spekuliert wird: Erzbischof von Köln, als Nachfolger von Kardinal Meisner? Vorsitzender der Bischofskonferenz, wenn in fünf Jahren Kardinal Lehmann abtritt? Ratespiele, bei denen Marx nur die Augen verdreht und die Zigarre ausgehen lässt. Denn offener Ehrgeiz – in Politik und Wirtschaft eine Tugend – schadet in der Kirche: Hier soll einer in Demut auf seine Aufgaben warten.
Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 30.05.2006