24.05.2006 - Süddeutsche Zeitung
Alles, was gerecht ist
Zum Papst nach Polen – oder nach Saarbrücken zum Katholikentag? Kardinal Karl Lehmann, der Bischofskonferenzvorsitzende aus Mainz, hat sich für das Laientreffen entschieden, das für ihn ein „Markenzeichen des deutschen Katholizismus“ ist. In Polen lässt er sich vertreten, ein Zeichen zu Gunsten des Treffens im Westen, das mit 25 000 Dauerteilnehmern ein kleiner Katholikentag wird. Dabei ist das Thema „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ aktuell, und die Polit-Prominenz reist in gewohnter Stärke an, angeführt von Bundespräsident Host Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, gefolgt von Vizekanzler Franz Müntefering und SPD-Chef Kurt Beck. Doch insgesamt ist die Zahl der Katholikentagsbesucher zurückgegangen. Diesmal war klar, dass der Weltjugendtag 2005 viel Kraft kosten würde, so plante das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) das Treffen kleiner. Insgesamt kostet es 6,7 Millionen Euro, 1,65 Millionen tragen davon das Saarland und der Bund.
Gerechtigkeit ist für die Kirchentags-Verantwortlichen „Schlüsselbegriff biblischer Theologie“ und „Prüfstein für ein Land im Umbruch“, „Maßstab für das neue Europa“ und „Hoffnung der Menschen weltweit“ – so die Kapitelüberschriften des 576 Seiten starken Programmheftes. Gerechtigkeit sei „das“ Thema der Gegenwart, hat ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer erklärt; im Zeitalter der Globalisierung müsse man neu über die Grundlagen des Sozialstaates nachdenken. Der gastgebende Trierer Bischof Reinhard Marx, ein ausgewiesener Sozialexperte, hält Gerechtigkeit für die „Leitidee“ einer Gesellschaft; ein „ungebremster Kapitalismus“ sei aus christlicher Sicht verwerflich.
Weitere Schwerpunkte sind das zusammenwachsende Europa – und verstärkt innerkirchliche Themen. Wie soll die katholische Kirche, die in einem tief greifenden Wandel begriffen ist, künftig aussehen? Auch der einzige Aufreger am Rande des Katholikentages betrifft ein kirchlich-theologisches Thema: Gotthold Hasenhüttl, suspendierter Theologieprofessor, tritt am Samstagabend außerhalb des offiziellen Treffens auf. 2003 hatte er während des Ökumenischen Kirchentages evangelische Christen zum Empfang der Kommunion geladen, was nach katholischem Verständnis nicht erlaubt ist. Jetzt will er erklären, warum er – aus seiner Sicht – Recht hat, was auf dem Katholikentag nicht möglich ist.
Glaubt man den Umfragen, denken die meisten Besucher da nicht anders als der Professor. Im Vordergrund wird das Thema aber nicht stehen. Zunehmend sehen vor allem die jungen Katholiken die Treffen als Event, bei dem sie Frömmigkeit und Fun, Politik, Theologie, Selbsterfahrung und Begegnung mischen.
Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 30.05.2006