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Veröffentlicht am 25­.09.2010

25.9.2010 - Die Welt

Der katholische Patient

Leitartikel: Was die Deutsche Bischofskonferenz wirklich brachte

Von Gernot Facius

Medizinisch gesehen kann "Krise" ein Wendepunkt sein: ein steiler Fieberabfall, ein Weg zur Besserung. In der katholischen Kirche ist seit Bekanntwerden der Missbrauchsaffären ebenfalls viel von Krise die Rede, aber das Fieber ist noch nicht zurückgegangen. Die Herbstvollversammlung des Episkopats am Grab des heiligen Bonifatius in Fulda hat neben der Einigung auf ein Präventionskonzept, mit dem man die Gefahr sexueller Übergriffe minimieren will, zumindest eine schonungslose Analyse des Krankheitsbildes zustande gebracht. Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, führte die Skandale auf ein zu optimistisches Bild vom Menschen im Allgemeinen und vom Klerus im Besonderen, das dessen Sündhaftigkeit und Schuldverstrickung übersah, zurück. Und zu Recht beklagte er eine zu große Entfernung von der Lebenswelt des modernen Menschen.

So weit die Diagnose. Ihr muss nun die Therapie folgen. Ein Verharren in den alten Spuren, in einer Mentalität, die dem Schutz des Ansehens der Institution Vorrang vor dem entschlossenen Eintreten für die Opfer gab, wird dem Patienten Kirche nicht auf die Beine helfen. Die Austrittszahlen sind gestiegen, sie könnten in diesem Unglücksjahr bei 250 000 und mehr liegen, 2009 waren es rund 123 000. Zollitsch hat einen breiten Reflektionsprozess von Bischöfen, Priestern, Diakonen und Laien angeregt. Gemeinsam soll neu über die Sendung der Kirche nachgedacht werden. Damit die Erwartungen nicht in die Höhe schießen, hat er gleich hinzugefügt: Die Verantwortung für Form und Konsequenzen dieses Prozesses muss bei den Bischöfen liegen. Die organisierten Laien, die seit Langem auf ein Zukunftsforum drängen, wird das nicht zufriedenstellen. Mancher von ihnen träumte von einer neuen Gemeinsamen Synode, wie sie 1975 in Würzburg mit konkreten Reformforderungen zu Ende ging. Eine unrealistische Hoffnung. Die deutsche Kirchenführung scheut einen weiteren Konflikt mit Rom, auch wenn einzelne Bischöfe für einen neuen binnenkirchlichen Umgangsstil werben, für eine neue Kultur des Miteinanders, von Autorität, die sich auf viele verteilt. In diesem Bild erscheinen Laien nicht als Helfer des Klerus, sondern alle zusammen sollen Helfer für die Menschen sein und über ihre Gotteserfahrung reden.

Immerhin fragte man in Fulda selbstkritisch: Was erwartet man wirklich von der Kirche? Ist sie bereit zu lernen, dass die moderne Gesellschaft alles andere als areligiös ist, Religion sich aber in vielfältiger Weise artikuliert? Es war der neue Provinzial der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle, der just vor der Fuldaer Versammlung die Frage stellte, ob die Lehre der Kirche sich ausreichend mit den Lebensmodellen der heutigen Menschen beschäftige.

Diese Lehre berücksichtige nicht mehr neue Formen des Zusammenlebens. Deswegen komme es zu der dramatischen Situation, dass fast die Hälfte der Katholiken formal vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen sei, offenbar ein Hinweis auf das Problem der wiederverheirateten Geschiedenen, auf Homosexuelle, die ihre Neigung ausleben, aber in der Kirche beheimatet bleiben wollen. Das sind pastorale Themen, die auf die bischöfliche Agenda drängen. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen, nicht unbedingt einer der Progressivsten unter seinen Amtsbrüdern, sprach offen von einer Stausituation in der Kirche. Diese Situation hat es mit sich gebracht, dass die vor 15 Jahren gestartete amtskirchenkritische Gruppierung "Wir sind Kirche", um die es vorübergehend etwas still geworden war, heute wieder bei einem Teil des Kirchenvolkes mit ihren Forderungen nach Aufhebung des Zölibats, nach Zugang von Frauen zu den Weiheämtern, nach breiterer Beteiligung von Laien an kirchlichen Entscheidungen und einem Überdenken der katholischen Sexualmoral Gehör findet.

Die Mehrheit der deutschen Bischöfe bemüht sich, die Zölibatsdebatte nicht ausufern zu lassen. Gelingen wird das nicht, hat sich doch die Zahl der Priesteramtskandidaten binnen 20 Jahren fast halbiert. Es droht ein Seelsorge-Notstand. Er lässt sich nicht durch den "Import" von Klerikern aus Polen und Indien lösen. Es ist freilich auch wahr: Der Verzicht auf den Zölibat ist nicht der Königsweg zu mehr Priestern, auch andere Glaubensgemeinschaften haben Nachwuchsprobleme. Aber wie will man den katholischen Gläubigen verständlich machen, dass Papst Benedikt XVI. einerseits zwar verheiratete anglikanische Geistliche unter das Dach seiner Kirche locken möchte, sich andererseits gegen jede Lockerung der Zölibatsverpflichtung römisch-katholischer Priester sperrt? Schweizer, belgische und österreichische Bischöfe gehen unverkrampfter mit diesem heißen Eisen um.

http://www.welt.de/die-welt/debatte/article9858749/Der-katholische-Patient.html

Zuletzt geändert am 28­.09.2010