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Veröffentlicht am 08­.10.2010

7.10.2010 - Die Welt

Die Angst der Kirche vor der Erneuerung

Mit einer Initiative zum Dialog will Erzbischof Zollitsch die katholische Kirche aus der Krise führen - Konservativer Flügel blockt ab

Von Gernot Facius

Bonn - Robert Zollitsch ist der Vater eines ambitiösen Projekts zur Stärkung des Vertrauens in die katholische Kirche: Im Internet startete der Freiburger Erzbischof eine Umfrage zur Dialoginitiative, die der Episkopat unter seinem Vorsitz Ende September in Fulda beschlossen hat. Die Gläubigen im deutschen Südwesten können Themen vorschlagen, die nach ihrer Meinung auf die Dialog-Agenda gehören, damit auf den Schock der Missbrauchsskandale und Personalaffären die kirchliche "Erneuerung" folgt. Von den Dekanen seiner Erzdiözese bekam Zollitsch Unterstützung signalisiert, sie stehen hinter seiner Warnung vor einer "Verschlossenheit und Realitätsferne" der Kirche.

Rückenstärkung kann der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in diesen Tagen gut brauchen. Er hat sich auf ein schwieriges Terrain begeben. Der von ihm angestoßene, auf zwei Jahre angelegte Diskussionsprozess trifft auf Vorbehalte bei "Reformern" wie "Bewahrern" gleichermaßen, beide Seiten geben sich skeptisch. Die basisorientierte Gruppierung "Wir sind Kirche" hat zwar die Botschaft von Fulda grundsätzlich begrüßt, aber sogleich hinzugefügt: "Es ist zu hoffen, dass jetzt wirklich alle Bischöfe den Mut finden, der Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils gemäß das ganze 'Volk Gottes' in einen strukturierten Dialog einzubinden." Offen und ohne Denkverbote solle miteinander geredet werden. Das klingt nach einer Mahnung. Denn bei "Wir sind Kirche" hat man nicht vergessen, wie vergleichbare Initiativen beispielsweise in Österreich verlaufen sind. Im Nachbarland hatte der Episkopat nach umstrittenen Bischofsernennungen und Sexskandalen Mitte der 90er-Jahre versucht, zusammen mit Vertretern der Laien die Krise zu überwinden - allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Die deutschen Bischöfe, so der Appell der Reformgruppe, dürften sich nicht wie ihre österreichischen Amtsbrüder von Rom ausbremsen lassen. Sie sollten sich von der großen Mehrheit der Gläubigen ermutigt fühlen, die aufgestauten Fragen auch im Vatikan in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen.

Gemeint sind, neben der Missbrauchsfrage, die bekannten Reizthemen: Sexuallehre, Zölibat, Rolle der Frau, Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen, Gemeindeleitung durch Laien. In den Fokus rückte auch die Frage nach der Kontrolle und Legitimation innerkirchlicher Machtausübung. Und neuerdings wird zudem lebhaft darüber debattiert, ob schon der vor einer staatlichen Behörde erklärte Kirchenaustritt die Trennung von der Glaubensgemeinschaft bedeutet und automatisch die Exkommunikation nach sich zieht. Hier driften die Vorstellungen weit auseinander.

Zollitsch hat bereits in Fulda inhaltliche Leitplanken aufgestellt: Eine zweite "deutsche Synode", nach der von Würzburg 1972 bis 1975, soll es nicht geben, und die Dialog-Regie ist Sache der Bischöfe. Wie der betont konservative Teil der Hirten der Kirche denkt, erschließt sich aus der ersten Stellungnahme des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller. Der Papst-Vertraute Müller sagt es knallhart: "Unser Dialog ist kein Nachgeben gegenüber dem Druck der Straße, die sich blasphemisch für die Basis der Kirche ausgibt." Für ihn ist das Fundament der Kirche Jesus Christus und nicht die "Wanderdüne wechselnder Meinungen". Mit "Straße" meint Müller die 15 Jahre alte Bewegung "Wir sind Kirche". Er sieht Nutznießer einer hausgemachten Krise am Werk, denen es mitnichten um die Missbrauchsopfer gehe, sondern "die nur daraus Kapital schlagen wollen für ihre sogenannten Reformen". Dabei verweisen längst auch Bischöfe auf einen Problemstau: zum Beispiel Heinz Josef Algermissen in Fulda und Franz-Josef Bode (Osnabrück), der Vorsitzende der Pastoralkommission der DBK. Doch die Mehrheit der Mitra-Träger scheint eher nicht gewillt, "heiße Eisen" anzupacken.

Neben Kardinal Joachim Meisner (Köln) sind es vor allem Erzbischof Reinhard Marx (München) und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck (Essen), die sich gegen eine Zölibatsdebatte sperren; Marx und Overbeck gehören zum Kreis junger Oberhirten, mit denen zu rechnen ist, wenn die "alte Garde" - die Kardinäle Meisner, Karl Lehmann (Mainz) und Georg Sterzinsky (Berlin) sowie Erzbischof Zollitsch - in den nächsten Jahren abtritt. Mit Blick in Richtung Tiber werden sie darauf bedacht sein, dem "Dialog" frühzeitig Grenzen zu setzen. Marx und Overbeck bilden zusammen mit Bode, der für Veränderungen aufgeschlossen ist, die "Steuerungsgruppe" für den Dialog. Das heißt, der konservative Flügel gibt den Ton an.

Diese Tatsache reduziert die Reformhoffnungen der "Liberalen". Sie fragen schon heute: Wenn am Ende dieser zweijährigen Diskussionsphase, in deren Verlauf Bischöfe, Priester und Laien gemeinsam die "Mitte zwischen einer ängstlichen Absonderung von der Welt und einer sendungsvergessenen Anpassung an die Welt" (Erzbischof Robert Zollitsch) finden sollen, nur die Bekräftigung von Zölibat und starrer Sexualmoral der Kirche stehen darf, warum dann der ganze Aufwand?

Der DBK-Vorsitzende Zollitsch jedenfalls hat noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, damit ein "Ruck" durch die Kirche geht. "Aufbruch, aber die Truppe grummelt" titelte dieser Tage schon besorgt der Informationsdienst der Katholischen Nachrichten-Agentur.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik_dw/article10123737/Die-Angst-der-Kirche-vor-der-Erneuerung.html

Zuletzt geändert am 08­.10.2010