5.11.2010 - Die Welt
Die Kirche sucht den Neuanfang
Köln - Auf dem Konferenztisch im Kardinal-Schulte-Haus in Bensberg bei Köln liegen seit gestern die "heißen Eisen" der katholischen Kirche: Sexualmoral, Zölibat, Priesterbild, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, Rolle der Laien. Die Bischöfe haben sich lange gesträubt, diese Themen anzupacken, nach dem Missbrauchsskandal und dem Fall Mixa können sie ihnen aber nicht mehr ausweichen.
Zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) beraten sie, wie ein bundesweiter Dialog- und Reflexionsprozess in Gang gesetzt werden kann, ohne dass es zu einem Konflikt mit dem Vatikan kommt. 20 Bischöfe und Weihbischöfe sitzen 20 ZdK-Repräsentanten gegenüber. ZdK-Präsident Alois Glück gibt sich zuversichtlich: Der Schock der Missbrauchsaffären habe eine "neue Offenheit" bewirkt. Bestimmte Fragen ließen sich "nicht mehr tabuisieren". Und die amtskirchenkritische Gruppierung "Wir sind Kirche" verweist auf die Zahlen des "Trendmonitors Religiöse Kommunikation 2010": Nur noch 54 Prozent der Katholiken fühlten sich der Kirche verbunden, mehr als zwei Drittel davon in kritischer Weise.
Glück sieht die Kirche deshalb an einer Weggabelung. Um den Auszug aus der Kirche zu bremsen, müsse man einen Weg suchen, der in die Gesellschaft hineinführe und nicht in den Rückzug in eine Wagenburg. Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Robert Zollitsch denkt ähnlich. Dennoch gleicht das Treffen in Bensberg einem Balance-Akt, bei dem man sich vorsichtig vorantastet. Nicht alle Bischöfe akzeptieren das ZdK als Vertretung der Laien. Einige stoßen sich daran, dass Glück und seine Mitstreiter auch das Machtproblem der Kirche thematisieren. Beide, Zollitsch und Glück, werben für einen Dialog, der von beiden Seiten, auch den Kritikern in den eigenen Reihen, mitgetragen werden kann. Es geht um die Konzentration auf das "Machbare".
Der Diskussionsprozess, lautet eine Mahnung, solle nach Möglichkeit nicht mit Fragen belastet werden, die nur auf weltkirchlicher Ebene beantwortet werden können, bei denen das Gespräch mit Rom Voraussetzung ist. Das betrifft die Zulassung von in Beruf und Ehe bewährten Männern zum Priesteramt und die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion - dafür hatte sich 1993 der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, starkgemacht. Erfolglos. Dennoch sieht Lehmann heute Spielräume, etwa bei der seit Jahrzehnten diskutierten Frage des Frauendiakonats. Von vornherein ausgeschlossen ist, eine neue Synode nach dem Muster der 1975 zu Ende gegangenen Gemeinsamen Synode der Bistümer zu fordern. Deren Ergebnisse verstauben in den Archiven. Und eine neue Synode lässt sich nicht von heute auf morgen einberufen, sie braucht eine lange Vorbereitungszeit. Bischöfe und Laien setzen hingegen auf einen schnellen Aufbruch. Der Katholikentag 2012 in Mannheim steht unter dem Leitwort "Einen neuen Aufbruch wagen". Bis zu diesem Ereignis sind es noch 18 Monate. Eine relativ kurze Zeit. Heute, nach dem "gegenseitigen Abtasten", wie ein Teilnehmer den Sinn des Treffens beschreibt, wird man wissen, ob der Dialog wie angekündigt "in offener und vertrauensvoller Zusammenarbeit gestaltet werden kann".
Im Episkopat gibt es noch immer starke Vorbehalte gegen das ZdK und dessen Reformvorstellungen. Zu den Skeptikern zählt neben Kardinal Joachim Meisner (Köln) der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, ein Vertrauter des Papstes. Müller hat sich aber in jüngster Zeit mit kritischen Einwürfen zurückgehalten. Und Meisner? Er kommt nicht zu der Konferenz in seiner Nachbarschaft. Aber er schickt einen Weihbischof.
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Zuletzt geändert am 06.11.2010