| |
Veröffentlicht am 23­.11.2010

23.11.2010 - Main-Post

WÜRZBURG Katholische Kirche: Kurswechsel bei Kondomen?

„Gut, dass der Papst das gesagt hat“

Die Aussage von Benedikt XVI., im Kampf gegen Aids den Gebrauch von Kondomen zu erlauben, findet großes Echo: Sexualpädagogen und Missionare in Südafrika erhoffen sich eine Signalwirkung. Nur die deutschen Bischöfe hüllen sich noch in Schweigen – sie tagen derzeit in Würzburg.

Am Montag rollten die schweren Limousinen durch das Tor von Kloster Himmelspforten in Würzburg. Abgeschottet hinter den hohen Mauern tagte der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Auch wenn das Thema offiziell nicht auf der Tagesordnung stand, so werden die Bischöfe doch diskutiert haben über jene Aussagen von Papst Benedikt XVI., in denen er den Gebrauch von Kondomen nicht mehr kategorisch ausschloss.

Zu einer Stellungnahme waren die Bischöfe am Montag nicht bereit, vielleicht, so die Auskunft von DBK-Pressesprecher Matthias Kopp in Bonn, gäbe es am Dienstag eine Erklärung. In einem Interview mit dem Münchner Journalisten Peter Seewald hat sich der Papst erstmals öffentlich in die Seele blicken lassen. Das Gespräch ist ein Novum in der 2000-jährigen Kirchengeschichte, noch nie hat ein Oberhaupt der katholischen Kirche ein solch ausführliches und persönliches Interview gegeben wie dieses in der letzten Juliwoche des Jahres 2010.

Was aber ist das Buch des 56-jährigen Autors, das am Mittwoch in Deutschland mit einer Startauflage von 70 000 Exemplaren erscheinen wird? Zeitenwende in der katholischen Kirche oder doch nur ein Missverständnis? Nach den Äußerungen des Papstes zu einer Lockerung des Kondomverbots rätseln Katholiken weltweit, ob Benedikt XVI. eine Kursänderung seiner Kirche einleiten will. Der Vatikan wies Berichte zurück, die von einer entscheidenden Wende in der katholischen Lehre zur Empfängnisverhütung sprachen. Auf jeden Fall hat Benedikt eine neue Debatte in seiner Kirche eröffnet.

Und das findet Beate Schlett-Mewis gut. Die Sexualpädagogin ist bei Pro Familia in Würzburg Leiterin der Schwangerschaftsberatung und erhofft sich von den Aussagen des Papstes eine Signalwirkung. „Kondome sind ein wichtiges Verhütungsmittel. Sie schützen vor ansteckenden Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften“, sagt Schlett-Mewis, die aus ihrer Arbeit weiß, „dass Jugendliche wenig Bewusstsein für Aids haben“. Für Jugendliche in Deutschland, glaubt die Expertin, sind die Worte des Papstes nicht sehr relevant, „weil die meisten doch gar nicht wissen, dass die Kirche gegen Kondome und vorehelichen Geschlechtsverkehr ist“. Noch vor 40, 50 Jahren sei das anders gewesen, „da hatten die Menschen ein richtig schlechtes Gewissen, wenn sie die Pille oder ein Kondom benutzt haben“. Heute habe sich das geändert. Dennoch hält Beate Schlett-Mewis die Aussagen des Papstes für eine kleine Revolution: „Es freut mich, dass sich etwas bewegt. Es ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber einer, der die Richtung verändert. Und wer die Richtung ändert, wird woanders ankommen. Vielleicht haben wir in 50 Jahren eine liberalere Kirche.“

Reservierter sieht die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ die Aussagen des Papstes, der im September 2011 zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland kommen wird. Der Papst habe endlich zur Kenntnis genommen, so Sprecher Christian Weisner gegenüber dieser Zeitung, „dass auch Kondome eine wichtige Aufgabe bei der HIV-Vorbeugung haben“. Mit der anhaltenden Verdammung der Anti-Baby-Pille und der Fokussierung der Sexualität auf die Fortpflanzung sei die Kirche meilenweit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, so Weisner. „Was dringend nötig und längst überfällig ist, das ist eine Neuausrichtung der katholischen Sexualmoral – sie muss entstaubt werden.“ Bisher jedenfalls sei nicht abzusehen, dass das neue Buch „eine Kehrtwende in zentralen theologischen, pastoralen und sittlichen Fragen bringt. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn die Äußerungen des Papstes eine innerkirchliche Diskussion auslösen würden“ und Bischöfe, Seelsorger und Ordensleute unterstützt würden, die „zur Prävention schon jetzt den Gebrauch von Kondomen nicht ausschließen“.

In Rom sorgte die Ansicht, dass, um die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus zu verringern, der Einsatz von Kondomen in „begründeten Einzelfällen“ erlaubt sein soll, für Wirbel. Der Vatikan bestritt, dass dies ein grundlegender Kurswechsel des katholischen Oberhauptes sei. Trotzdem glauben Beobachter, dass Benedikt einen vorsichtigen Wandel der katholischen Kirche anstoßen könnte. Die Weltgesundheitsorganisation WHO begrüßte die Äußerungen als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen Aids.

Auch dort, wo das Problem am drängendsten ist – im Süden Afrikas, wo bereits teilweise jeder fünfte Mensch infiziert ist – werden die Papstworte mit Freude aufgenommen. „Das hilft uns weiter,“ freut sich im Missionszentrum Mariannhill in Durban (Südafrika) der katholische Pater Christoph Eisentraut. Der 50-Jährige ist seit über zwei Jahrzehnten in der Mission dort tätig, in Simbabwe und Südafrika, wo man dem Thema Aids auf Schritt und Tritt begegnet.

Die Aufregung findet er ein bisschen übertrieben: „Das ist die Linie, die wir hier schon immer vertreten haben.“ Dem Papst gehe es nicht um Empfängnisverhütung, sondern um Gesundheitsschutz. Eisentraut betont: „Ich finde es sehr gut, dass es vom Papst so deutlich ausgesprochen wurde. Jetzt kann man gut argumentieren.“

2009 hatte der Papst bei seinem Besuch in Afrika noch für viele Irritationen unter den dortigen Christen gesorgt, als er sagte: Kondome könnten die Aids-Krise sogar noch verschärfen, weil sie bei einer laxen Sexualmoral die Risikobereitschaft förderten. „Das bessere für Jugendliche ist Abstinenz“, sagt auch der in Haßfurt geborene Missionar, der früher in Schweinfurt tätig war. „Aber ich stimme ihm auch da zu, dass Kondome in bestimmten Situationen das Risiko vermindern.“ Er betont im Telefongespräch mit unserer Redaktion auch: „Kondome sind nicht die Lösung des Aids-Problems“, da liegt er auf Papst-Linie: Eheliche Treue und Enthaltsamkeit außerhalb dieser Bindung bleiben Werte, die er vertritt.

Letztlich habe der Papst gar nichts Neues gesagt, betonte indes der Tübinger Moraltheologe Dietmar Mieth. Er habe nur auf eine Ausnahme vom Kondomverbot hingewiesen, das in der katholischen Moraltheologie anerkannt sei. Denn in der Enzyklika Humanae Vitae, mit der Papst Paul VI. 1968 das Kondomverbot begründete, werde die Empfängnisverhütung untersagt. Im Kampf gegen Aids diene ein Kondom aber nicht der Empfängnisverhütung, sondern dem Schutz vor einer Übertragung der Krankheit. „Das mag man für einen abstrakten, realitätsfernen Gedanken halten – unlogisch ist er nicht“, sagte Mieth. Neu sei, dass der Papst nun die Tatsache zur Kenntnis nehme, dass Aids allein mit der katholischen Sexualmoral nicht zu bekämpfen sei. „Und er gesteht zu: Wenn es schon zu einer Sexualbeziehung kommt, die von der Kirche nicht gutgeheißen wird, dann sollte wenigstens der Lebensschutz eine Rolle spielen.“

Mit Material von DPA

http://www.mainpost.de/ueberregional/politik/zeitgeschehen/Katholische-Kirche-Kurswechsel-bei-Kondomen-;art16698,5837636

Zuletzt geändert am 24­.11.2010