6. Juni 2006 - Süddeutsche Zeitung
Glauben, aber nicht zahlen
Es ist gar nicht einfach, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren. Aufs Standesamt gehen und den Austritt erklären? Das reicht nicht, findet der „Päpstliche Rat für die Gesetzestexte“. Zu einem richtigen Glaubensabfall gehöre erstens „ein Akt der Apostasie, der Häresie oder des Schismas“. Er bedürfe zweitens der „äußeren Kundmachung“, und drittens müsse er „persönlich vor der zuständigen kirchlichen Autorität kundgetan“ werden, dem Bischof oder Pfarrer also. Ein mühsamer Prozess; vielleicht sollten Austrittswillige künftig ihrem Hirten erst eine Szene aus der MTV–Zeichentrick-Serie Popetown vorspielen und dann per Unterschrift bestätigen, dass sie mit der Kirche nichts mehr am Hut haben wollen.
Es klingt streckenweise kurios, dieses Schreiben, das schon vor mehr als einem Jahr aus Rom bei Gebhard Fürst eintraf, dem Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Der hatte sich zuvor in einem nicht weniger kuriosen Einzelfall an die Kurie gewandt – es ging um eine Frau, die gefragt hatte, ob sie auch als Ausgetretene die Vorschrift der Katholischen Kirche einhalten müsse, vor einem Priester zu heiraten. Doch nun gibt es ein Schreiben an alle Bischofskonferenzen der Welt, ausdrücklich gebilligt von Papst Benedikt XVI. Und auch dieser Brief sagt: Ein Katholik kann nicht vor einer staatlichen Behörde seinen Kirchenaustritt erklären. Seitdem streiten sich die Experten, was das bedeuten könnte. Und die weitestgehende Interpretation lautet: Es wackeln das deutsche und das österreichische Kirchensteuersystem.
Die jahrzehntelange Praxis
In Frage steht nämlich, was in Deutschland und in Österreich eiserne Regel ist: dass katholisch ist, wer sich bei einer staatlichen Stelle als katholisch registrieren lässt. Durch diesen Akt erklärt man hierzulande seine Bereitschaft, Kirchensteuer zu zahlen, daraufhin kann man kirchlich getraut und beerdigt werden, seine Kinder taufen lassen und einen Job bei der Kirche erhalten. Wer, warum auch immer, keine Kirchensteuer zahlen will, erklärt bei einer staatlichen Behörde seinen Austritt. Daraufhin wird er, so ist es seit Jahrzehnten Praxis, seitens der Kirche vonden Sakramenten und der aktiven Teilnahme am Gemeindeleben ausgeschlossen.
Die Kirchensteuer sichert den Kirchen in Deutschland eine weltweit einmalig effiziente Finanzierung, viel bequemer als zum Beispiel das italienische Modell, bei dem sich, unabhänging von Glaubensfragen, jeder Steuerzahler entscheiden kann, welcher Institution er acht Tausendstel seiner Steuerschuld widmet. Doch ist in Deutschland nur katholisch, wer bereit ist zu zahlen? Innerkirchliche Kritiker wie der „Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern“ haben dies immer wieder zum Thema gemacht – und auch konservative Gruppen, wenn auch aus einem anderen Motiv: Aus ihrer Sicht ist die zu enge Staat-Kirche-Liaison mitschuld an der allzu großen Liberalität des deutschen Katholizismus.
„Jede Menge Sprengstoff“
Die Kritiker sehen sich nun durch das Schreiben des Vatikans bestätigt: „Damit ist in Deutschland den bisherigen Drohbotschaften (Sakrament-Entzug, Verweigerung der Beerdigung, etc.) der Boden entzogen,“ erklärt die Reformbewegung Wir sind Kirche. Könnte also jemand künftig austreten und dann mit dem Argument, er sei gläubig, wolle aber dieser Kirche keine Steuern zahlen, eine kirchliche Trauung verlangen?
Da sei die deutsche Bischofskonferenz vor. Der Kirchenaustritt bleibe „der öffentlich erklärte und amtlich bekundete Abfall von der Kirche“ und erfülle „den Tatbestand des Schismas“, hat sie festgestellt. Die „Erklärung des Austritts vor der staatlichen Behörde wird durch die Zuleitung an die zuständige kirchliche Autorität auch kirchlich wirksam.“ Eckhard Raabe, der Sprecher des Bistums Rottenburg-Stuttgart, wo die Geschichte ihren Anfang genommen hat, sagt: „Wenn einer austritt, müssen wir ihn auch ernst nehmen. Dass der Vatikan die Kirchensteuer „zu Fall bringen will“, glaubt er nicht; auch nicht, „dass die Katholiken nun in großer Schar austreten und dann zum Pfarrer gehen und sagen: ,Ich will aber kirchlich heiraten‘.“
Dass sich bald etwas ändert an den deutschen Regeln, ist nicht zu erwarten. Für Christian Weisner, den Sprecher von Wir sind Kirche, lässt sich das Thema aber so nicht abtun: „Da steckt jede Menge Sprengstoff drin. Die Bischöfe wollen nur nicht daran rühren.“
Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 22.06.2006