| |
Veröffentlicht am 11­.01.2011

11.1.2011 - Südwest Presse

Breite Zustimmung für Reform-Initiative

Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" sagte, für seine Modernisierungs-Initiative verdiene Bischof Fürst jede Unterstützung. Der Rottenburger Oberhirte habe den Ernst der Lage verstanden und gebe die richtigen Antworten auf die derzeitige Kirchenkrise, "die nicht nur durch die Missbrauchsfälle entstanden ist". Weisner hofft, dass Fürst bei seinen Kollegen in der Deutschen Bischofskonferenz Beistand in der Sache erfährt.

Der Tübinger Professor für Religionspädagogik, Albert Biesinger, lobt ebenfalls die Absicht des Rottenburger Bischofs, etwas gegen den Reformstau in der katholischen Kirche zu unternehmen: "Er liegt völlig richtig." Um der Gefahr zu begegnen, dass noch mehr Mitglieder aus der Kirche austreten, müsse man die Problemlagen der Gläubigen ernst nehmen. Es gelte Spielräume zu nutzen.

Als eines der Ziele benennt Biesinger das Diakonat für Frauen, um die Rolle der Frauen in der Kirche aufzuwerten. Ein anderes Anliegen: Die Priesterweihe für bewährte verheiratete Theologen. Biesinger erinnert daran, dass der jetzige Papst Benedikt XVI. 1970 in einem Forderungspapier sich als Theologie-Professor für eine solche Lösung eingesetzt hat. Fürst könne sicher sein, dass ihn die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen voll unterstützen werde.

Der emeritierte Tübinger Professor für Theologische Ethik, Dietmar Mieth, erklärte sich "selbstverständlich" bereit, Fürst bei seinem Bemühen um kirchliche Erneuerung zu unterstützen. Kirchenkritiker Norbert Greinacher nannte Fürst einen "offenen Bischof" und erhofft sich Aufwind für die Ökumene. Das gemeinsame Abendmahl von Protestanten und Katholiken müsse ermöglicht werden: "Das ist theologisch richtig." web

http://www.swp.de/ehingen/nachrichten/suedwestumschau/Breite-Zustimmung-fuer-Reform-Initiative;art4319,793319





In der Krise durchstarten
Rottenburg. Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst hat sich entschlossen, aus der Krise heraus einen neuen Anlauf zur Modernisierung der Kirche zu machen. Er regt einen Prozess von unten an - mit ungewissem Ausgang.

Der Zustimmung seines Publikums konnte Bischof Gebhard Fürst gewiss sein, als er in seiner Rede zum Neujahrsempfang der Diözese Rottenburg-Stuttgart den Versuch eines Erneuerungsprozesses ankündigte. Die Absicht wurde mit Beifall aufgenommen. Was Fürst anstrebt, wünscht sich eine große Mehrheit der Katholiken in Deutschland seit langem.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 1965) hatte eine große Erwartungshaltung ausgelöst. Doch passiert ist wenig. Rom fährt einen restaurativen Kurs, bleibt in vielen Themen starr, ohne auf die Hoffnungen der Gläubigen Rücksicht zu nehmen. Benedikt XVI. hat sich als konservativer Papst erwiesen. Die "Eiszeit" unter Johannes Paul II., von der Norbert Greinacher, der kritische Tübinger Theologe, 1994 sprach, hält unter Benedikt XVI. an.

Doch in den Gemeinden ist der Druck groß. Die Mitglieder wünschen sich eine Kirche, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, eine Kirche, die mit der Zeit geht.

Erst recht seit dem großen Missbrauchsskandal, in dem aufgedeckt wurde, dass zahlreiche kirchliche Mitarbeiter sich in den vergangenen 50 Jahren an Minderjährigen vergangen haben. Bischof Gebhard Fürst hat sich in dieser Frage zu einer klaren Linie bekannt: Man muss die Verfehlungen aufdecken, klären und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Der Skandal hat eine Austrittswelle ausgelöst. Bis Mitte November 2010 verließen im Bistum Rottenburg-Stuttgart 17 169 Mitglieder die Kirche, ein Austritts-Rekord. Bischof Fürst suchte das Gespräch mit Abtrünnigen, um ihre Gründe zu erfahren. Dabei erfuhr er, dass der Missbrauchskandal für die meisten der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es hatte sich bei ihnen viel Missmut und Unzufriedenheit über das Erscheinungsbild der Kirche angestaut, der Skandal gab den letzten Ausstoß, der Kirche Adieu zu sagen.

Auch die Kirchenjugend hat dem Bischof, wie er selbst sagte, "kräftig eingeheizt". Die Angebote der Kirche gingen an jungen Menschen "meilenweit" vorbei, wurde Fürst gesagt. In einem Thesen-Papier heißt es: "Kirche darf nicht von gestern sein. Glaube muss auch in der modernen Welt verstanden werden. Lebens- und Glaubenserfahrungen gehören zusammen!"

Fürst hat sich deshalb zum Durchstarten entschlossen. "Von der notwendigen Läuterung der Kirche müssen wir weiter schreiten zur geistlichen und strukturellen Erneuerung der Ortskirche", sagt er.

Die großen kritischen Themen dürften dabei tabu bleiben. Wenn nicht, müsste Fürst sich mit der Forderung nach der Öffnung der Priesterschaft für Frauen beschäftigen, mit der Abschaffung des Zwangs-Zölibats und mit der Demokratisierung der kirchlichen Strukturen. Das zu thematisieren, erscheint unter Benedikt XVI. aussichtslos.

Fürst will Themen anpacken, die von der Bedeutung her eine Stufe darunter liegen, aber dennoch von großem Belang für die Befindlichkeit der Katholiken sind. Ein großes Ärgernis ist der Ausschluss von wiederverheirateten Eheleuten und von Ehepartnern anderer Konfessionen von den Sakramenten. Davon sind viele betroffen.

Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass in der Praxis verschiedene Pfarrer über den Makel hinwegsehen und faktisch Unberechtigten den Zugang zur Heiligen Kommunion erteilen. Doch solche Gläubige wollen nicht von der Gnade des Geistlichen abhängig sein. Sie weigern sich, diesen Zustand hinzunehmen. Das Verfahren sei "nicht wirklich christlich noch überhaupt akzeptabel", sagt Winfried Kretschmann, Grünen-Fraktionschef und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Die Kirche laufe Gefahr, gerade solche Mitglieder zu verlieren, denen der Glaube wichtig ist.

Fürst will einen "dialogisch geprägten Erneuerungsprozess" in Gang bringen. In den Gremien der Kirche sollen die kritischen Fragen besprochen werden. Doch wie er es dann durchsetzen will, wenn diese Gremien etwa die Zulassung von geschiedenen Wiederverheirateten zu den Sakramenten fordern, da bleibt Fürst im Ungefähren. Sein Vorgänger Walter Kasper hat sich eine blutige Nase geholt mit solch einem Vorstoß. Mit dem damaligen Freiburger Erzbischof Oskar Saier und dem Mainzer Bischof Karl Lehmann hatte Kasper 1993 in einem Hirtenbrief erklärt, dass bei Menschen aus zerbrochenen Ehen und wiederverheiratete Geschiedene unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme an der Kommunion toleriert werden soll. Joseph Ratzinger als Vorsitzender der römischen Glaubenskongregation stoppte diese Initiative der drei Oberhirten.

http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/In-der-Krise-durchstarten;art4319,793393

Zuletzt geändert am 11­.01.2011