11.2.2011 - Mannheimer Morgen
Schon über 200 Theologen fordern Wende
Von unserem Redaktionsmitglied Stephan Töngi
MANNHEIM. Letzte Woche waren es 144, jetzt sind es schon 224: So viele katholische Theologieprofessoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben ihren Namen unter ein Memorandum gesetzt, das ihre Kirche zu Reformen auffordert. Dabei geht es um mehr als das Ende des Pflichtzölibats für Priester – es geht um „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Das erinnert an das Leitwort über dem nächsten Katholikentag 2012 in Mannheim: „Einen neuen Aufbruch wagen“.
Unter Bezug auf die Missbrauchsskandale heißt es: „Dem Sturm des letzten Jahres darf keine Ruhe folgen! In der gegenwärtigen Lage könnte das nur Grabesruhe sein.“ Von einer Austrittswelle in Rekordhöhe ist die Rede und von „verknöcherten Strukturen“. Aufgrund dieses Krankheitsbefunds wollen die Theologen der katholischen Kirche eine radikale Kur verordnen:
Beteiligung der Laien: Die Gläubigen sollen auf allen Ebenen mitbeschließen, auch bei der Personalauswahl (Bischof, Pfarrer).
Gemeinde: Die Professoren beklagen die durch den Priestermangel entstehenden „XXL-Pfarreien, in denen Nähe und Geborgenheit kaum mehr erfahren werden können“. Priester würden „verheizt“, Gläubige blieben weg. Konsequenz: „Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt.“
Rechtskultur: Um Konflikte fair auszutragen, fordern die Theologen den Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Gewissensfreiheit: Die Kirche müsse die Verantwortungsfähigkeit der Menschen unterstützen, ohne zu bevormunden. Die Wertschätzung von Ehe und Ehelosigkeit gebiete nicht, „Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratet Geschiedene verantwortlich leben“.
Versöhnung: Um solidarisch mit „Sündern“ sein zu können, müsse die Kirche „die Sünde in den eigenen Reihen ernst nehmen“, anstatt „selbstgerechten moralischen Rigorismus“ an den Tag zu legen.
Gottesdienst: Die Liturgie dürfe „nicht in Traditionalismus erstarren“, sondern „Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart müssen in ihr einen Platz haben“.
Zu den Erstunterzeichnern gehören Norbert Scholl (Wilhelmsfeld) und Joachim Maier (Schriesheim), beide emeritierte Professoren für katholische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Scholl lehrte dort von 1969 bis 1996, bevor Maier ihn ablöste (bis 2009). „Unsere Forderungen darf man nicht auf den Zölibat verkürzen“, betont Scholl, „etliches ist viel grundsätzlicher.“ Etwa die Abhängigkeit von Rom: „Die Laien sollen nicht länger als Objekte der Seelsorge behandelt werden“, verlangt der 79-Jährige. „Gemeindereferenten, also ausgebildete Theologen, dürfen nicht predigen, weil Rom es will, Bischöfe werden mehr und mehr zu reinen Befehlsempfängern degradiert.“ Papst Benedikt XVI., so klagt er, sei beratungsresistent und nehme die Austrittswelle einfach so in Kauf. Einen freiwilligen Zölibat bezeichnet Scholl als wertvoll, stuft die Entscheidung dazu mit 25 Jahren als zu früh ein.
Scholls Erwartungen fallen gedämpft aus: „Wenn es wenigstens gelänge, die Priesterweihe von verheirateten Männern zu erreichen“, lautet sein Wunsch. „Aber dann müsste die Mehrheit der Bischöfe dahinterstehen.“
Ähnlich nüchtern beurteilt Joachim Maier die Chancen. „Der Druck muss stärker werden, damit die Leitung der Gemeinden nicht länger an den geweihten Priestern festgemacht wird.“ Diese Aufgabe könnte auch Pastoralreferenten übergeben werden, die theologisch gebildet sind und heiraten dürfen. Der 65- Jährige verweist dabei auf die Schweiz – „von einem deutschen Sonderweg kann also keine Rede sein“, wehrt er Kritik in dieser Richtung ab.
Mit Wehmut schaut Maier auf die Synode der deutschen Bistümer (1972-75) zurück: „Das war der letzte Versuch, das Kirchenvolk mitentscheiden zu lassen.“ Mitsprache der einfachen Gläubigen, Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten, Pflichtzölibat – der Theologe nennt Punkte von damals, die immer noch auf der Tagesordnung stehen. „Aber davor haben einige Bischöfe Angst.“
Professoren-Protest
- Der ungewöhnliche Schritt der Theologie-Professoren erinnert an die „Kölner Erklärung“ von 1989.
- Unter der Überschrift „Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität“ protestierten über 220 katholische Theologie-Professoren gegen den Führungsstil von Johannes Paul II.
- Der polnische Papst hatte zuvor den konservativen Berliner Kardinal Joachim Meisner als Erzbischof von Köln durchgesetzt.
- Außerdem wurde Johannes Paul II. vorgeworfen, seine lehramtliche Kompetenz zu sehr auszudehnen. tö
Zuletzt geändert am 11.02.2011