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Veröffentlicht am 04­.03.2011

4.3.2011 - Frankenpost

Katholiken in Bayern erleben Exodus

Von Christof Rührmair

Der Missbrauchsskandal hat die Menschen in Scharen aus der Kirche getrieben. Allein in bayerischen Diözesen gab es einen Anstieg der Austrittszahlen um 48,5 Prozent.

München/Bamberg - Der Missbrauchsskandal hat die bayerischen Katholiken in Scharen zum Austritt aus der Kirche getrieben. Nach vorläufigen Zahlen aus sechs der sieben Bistümer kehrten im vergangenen Jahr 53 663 Katholiken der Kirche den Rücken - das sind 48,5 Prozent mehr als 2009. Hochgerechnet auf ganz Bayern bedeutet das rund 65 000 Austritte, fast ein Prozent der Katholiken im Freistaat. Wo auch immer in Bayern man fragt, bot sich 2010 das gleiche Bild: Im Frühjahr erschütterten der Missbrauchsskandal und die Debatte um die Prügel- und Untreuevorwürfe gegen den inzwischen abgedankten Augsburger Bischof Walter Mixa die katholische Kirche, und mit leichter Zeitverzögerung erreichte die Austrittswelle ihren Höhepunkt. Bis zum Jahresende sanken die Austritte aber wieder auf das sonst übliche Maß.

6300 im Bistum Bamberg

Im Bistum Bamberg erklärten im Jahr 2010 insgesamt 6300 Katholiken ihren Austritt aus der Kirche. Das ist ein Anstieg um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. 2009 hatten im Bistum rund 4000 der Kirche den Rücken gekehrt.

Das größte bayerische Bistum, München und Freising, verzeichnete 23 254 Austritte. Es gebe einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle, bestätigt Christoph Kappes von der Pressestelle. Den Missbrauchsskandal hält er aber nicht für den einzigen Grund für die Austritte. Oft gehe diesem Schritt schon ein längerer Entfremdungsprozess voraus, sagt er. Das einzelne Ereignis sei oft nur noch der Auslöser. Genauere Informationen über die Austrittsgründe gibt es nicht.

Hoffnung macht ihm eine steigende Tendenz bei den Eintritten in die Kirche zum Jahresende. Zwar machen sie nur einen Bruchteil der Austritte wieder wett, Kappes sieht darin aber ein Zeichen dafür, dass die Menschen akzeptierten, dass sich die Kirche 2010 den Problemen gestellt habe. Die finanzielle Komponente, die die Austrittswelle durch wegfallende Kirchensteuer mit sich bringt, steht für Kappes im Hintergrund - auch wenn es bayernweit um einen zweistelligen Millionenbetrag gehen dürfte. "Wir sehen den Gläubigen, der geht - und da schmerzt jeder Einzelne", sagt er.

"Noch nicht ausgestanden"

Fragt man Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", ist die katholische Kirche noch glimpflich davongekommen. "Dafür, wie dieser Missbrauchsskandal Deutschland erschüttert hat, sind die Austrittszahlen noch niedrig", sagt er.

Dass die Sache bereits ausgestanden ist, glaubt Weisner jedenfalls nicht. "Dass es sich normalisiert hat, dass wieder Ruhe ist, ist eine falsche Einschätzung", betont er. Was von Kirchenseite gemacht worden sei - wie die Einrichtung einer Hotline oder die Verschärfung der Leitlinien - sei nur "verwaltungsmäßig", sagt er. Es gehe nicht an die tieferen Ursachen. Dort sieht er auch ganz andere Probleme der Kirche: Dass immer mehr Gemeinden zusammengelegt und weniger Gottesdienste angeboten würden beispielsweise. Letztlich sei der Austritt aber immer nur der letzte Schritt.


http://www.frankenpost.de/nachrichten/regional/ofrbay/art2389,1455551

Zuletzt geändert am 06­.03.2011