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Veröffentlicht am 21­.03.2011

21.3.2011 - Rhein-Neckar-Zeitung

„Wann zieht die Kirche endlich die Konsequenzen?"

Von Jutta Trilsbach

Bammental. Auf dem Podium herrschte Offenheit, Betroffenheit und Empörung. Vom "Kirchen-Tsunami in Deutschland" war die Rede. Die Veranstalter des "Nachtcafés" hatten im katholischen Gemeindezentrum bei Wein, Brezel und Klaviermusik von Almut Bernhardt ein brisantes Thema auf dem Programm: "Ein Jahr nach dem Missbrauchsskandal – Wo steht die Kirche?". Klare Worte fielen in der anschließenden Diskussion. Eine Botschaft daraus: Die "frohe Botschaft" dürfe nicht zur "Drohbotschaft" werden. Die Strukturen der katholischen Kirche müssten neu gebildet werden.

Nicole Ahrenbeck und Bernd Schweisthal moderierten souverän durch den Abend des katholischen Bildungswerks Bammental/Wiesenbach und des Ökumenekreises Gaiberg. Schweisthal erinnerte daran, dass der Skandal vor einem Jahr die katholische Kirche erschüttert habe. Klaus Nientiedt, Chefredakteur des "Konradsblatt", sagte, dass sexueller Missbrauch schon vor 15 Jahren im Ausland aufgedeckt worden sei. Es sei ein großer Fehler gewesen zu glauben, in Deutschland könne es so etwas nicht geben.

Reinhard Wilde, Erzbischöflicher Rechtsdirektor aus Freiburg, betonte, dass die Aufarbeitung der Fälle zunächst in eigenen Kirchenreihen passierte. Im Jahr 2002 wurden erstmals Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige oder Mitarbeiter beschlossen, 2010 überarbeitet und Missbrauchsfälle der Staatsanwaltschaft übergeben. Inzwischen habe die katholische Kirche in Anerkennung des Leids den Opfern bis zu 5000 Euro an Entschädigung zugesagt. Allerdings, so seine Kritik, nur für Fälle, die nicht länger als drei Jahre zurückliegen.

Sigrid Grabmeier von der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" zeigte schnelle Reaktionen auf: "Nach diesem schrecklichen ,Kirchen-Tsunami’, der uns alle überrollt hatte, haben wir als erstes für die Opfer ein Nottelefon eingerichtet!" Die Kirchenvolksbewegung habe in Anbetracht der zahlreich erfolgten Kirchenaustritte rund 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt.

Wie geht es weiter? Ein Memorandum von 144 Theologieprofessoren fordern seit diesem Februar tiefgreifende Reformen in der katholischen Kirche. Pfarrer Josef Mohr von der katholischen Seelsorgeeinheit Heidelberg-Nord wurde deutlich: "Wie ist denn das Verhältnis zwischen Kirche und Sexualität, und wann zieht die Kirche endlich aus diesem Skandal die Konsequenzen?" Es sei eine sehr schwierige Zeit für ihn in seinem Amt gewesen, denn schließlich standen Pfarrer unter einem sogenannten "Generalverdacht".

Statt eines verordneten Zölibats fordert er den freiwilligen Zölibat. "Dieser Skandal kommt doch nicht von ungefähr und ich geniere mich dafür!" Gleichzeitig wies Mohr auf Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche hin. "Die evangelische Kirche verwirklicht alle Forderungen des Theologen-Memorandums, aber sie ist trotzdem in einer ähnlichen Krise, auch da gab es Missbrauchsfälle!"

Er betonte unter Applaus, die Glaubenskrise sei in Wirklichkeit eine Glaubwürdigkeitskrise. Dass auch Frauen zukünftig Priesterinnen in der katholischen Kirche sowie verheiratete Männer Priester werden sollten, sei in der Diskussion. Sigrid Grabmeier brachte es auf den Punkt: "Wir sind Kirche und nicht nur die Bischöfe. Wenn wir austreten, dann sind wir weg, dann gibt es keinen Kirchenaufbruch, sondern einen Kirchenausbruch!"

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Zuletzt geändert am 22­.03.2011