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Veröffentlicht am 07­.04.2011

7.4.2011 - Süddeutsche Zeitung

Katholiken verlassen Kirche

180000 Austritte im letzten Jahr / Bayern stark betroffen

München - Im vergangenen Jahr haben schätzungsweise 180000 Mitglieder die katholische Kirche verlassen, fast 40 Prozent mehr als 2009. Ursache ist offenbar der Skandal um sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, der vor allem die katholische Kirche betrifft. Seit 2008 hat sich damit die Zahl der Kirchenaustritte verdoppelt. Die Zahl legt eine Umfrage der Zeit-Beilage Christ und Welt bei den 27 katholischen Bistümern nahe, von denen 24 endgültige Zahlen nannten oder Schätzungen abgaben; die Bistümer Freiburg, Limburg und Hildesheim machten keine Angaben. Eine erste Erhebung der Kirchenvolksbewegung 'Wir sind Kirche' hatte im März ebenfalls mehr als 170000 Austritte aus der katholischen Kirche im Jahr 2010 prognostiziert. Erstmals haben damit mehr Katholiken als Protestanten ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Die Evangelische Kirche in Deutschland schätzte die Zahl auf fast 150000, 18000 weniger als im Jahr 2008, als die neuesten verfügbaren Zahlen erhoben wurden.

Besonders hart trifft der Anstieg der Austrittszahlen die bayerischen Bistümer. Hier waren die Auseinandersetzungen besonders heftig, zum Beispiel um den zurückgetretenen Augsburger Bischof Walter Mixa; seit Jahren ist gerade in den noch stark katholisch geprägten Gebieten Süddeutschlands die Unzufriedenheit der Kirchenmitglieder hoch. Im Bistum Augsburg stieg die Zahl der Austritte von 6986 auf 12065, in Bamberg und Würzburg von fast 3700 beziehungsweise fast 3800 auf je 6300, in München von 17000 auf mehr als 23000. Auch in Trier und Rottenburg-Stuttgart gab es mehr Austritte als im Durchschnitt.

Vergleichsweise glimpflich kamen die ostdeutschen Diözesen davon, außerdem Hamburg, Berlin und Speyer. Die Kirche dürfe die Zahlen nicht herunterspielen, sagte der Freiburger Professor für kirchliche Sozialarbeit, Michael Ebertz; unter den Ausgetretenen seien viele engagierte Gläubige, 'die sich um ihre Kirche ernsthaft Sorgen machen und ehrlich an ihr verzweifeln', sagte er.

Trotz der Austrittswelle sind die Kirchensteuereinnahmen im vergangenen Jahr nur unwesentlich zurückgegangen, berichtet unterdessen die Katholische Nachrichtenagentur. Dazu haben die sinkende Arbeitslosigkeit und die gute Konjunktur beigetragen; die Zahl der Austritte hat nur wenig Auswirkungen auf die Einnahmen der Kirchen. 2010 betrug das Aufkommen bei der katholischen Kirche fast 4,8 Milliarden Euro, 2,2 Prozent weniger als 2009. Dies ist aber nach 2008 und 2009 der dritthöchste Wert seit Einführung der Steuer.

mad

http://www.sueddeutsche.de/B5W38f/4017132/Katholiken-verlassen-Kirche.html

Zuletzt geändert am 07­.04.2011