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Veröffentlicht am 24­.04.2011

24.4.2011 - Welt am Sonntag

Abschied mit leisen Tönen

Autor: Stephanie Geiger

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt verhandeln Freistaat und Kirche über eine Neudefinition des Konkordats

Das hatte sich Ulla Wessels anders vorgestellt. Vor drei Jahren bewarb sich die 45-Jährige um den Lehrstuhl für praktische Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Wessels überzeugte die Auswahlkommission und wurde in den Kreis von 20 aussichtsreichen Kandidaten aufgenommen. Weiter ging es für die Professorin der Universität Saarbrücken aber nicht. Wessels meint auch den Grund zu kennen: Nicht ihre fachliche Qualifikation sei ausschlaggebend gewesen für das Aus im Bewerbungsverfahren, sondern allein ihre Religionszugehörigkeit.

Bei der ausgeschriebenen Professur handelt es sich nämlich um einen sogenannten Konkordatslehrstuhl. 21 dieser Lehrstühle gibt es an den bayerischen Universitäten. Das sind jeweils ein Lehrstuhl für Philosophie, für Gesellschaftswissenschaften und für Pädagogik an den Universitäten Augsburg, München, Passau, Regensburg, Würzburg, Erlangen-Nürnberg und Bamberg. Das Besondere: Bei ihrer Besetzung hat die katholische Kirche ein Mitspracherecht. Sie werden nur mit einem Kandidaten besetzt, gegen den hinsichtlich "seines katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist", wie es im sperrigen Juristendeutsch des Bayerischen Konkordats heißt.

Wer dieses Recht verstehen will, muss in den Geschichtsbüchern bis in das Jahr 1803 zurückblättern. In Folge der Säkularisation war die Reichskirche zusammengebrochen. Das Konkordat von 1817 sollte der katholischen Kirche einen finanziellen Ausgleich geben für die verloren gegangenen Besitztümer und gleichzeitig das Verhältnis von Königreich Bayern und Kirche neu regeln. Im Grundbestand ist dieser Kern des Konkordats bis heute gültig. Allerdings verlangte das Ende der Monarchie eine Neuregelung im Konkordat von 1924. Ein ähnlicher Vertrag wurde im selben Jahr mit der evangelischen Kirche geschlossen.

Mit diesen Verträgen waren für den Freistaat im vergangenen Jahr Ausgaben in Höhe von 115 Millionen Euro verbunden. Allein 28 Millionen Euro flossen in die Instandhaltung kirchlicher Gebäude. 65,7 Millionen Euro gingen an die katholische Kirche. Die evangelische Kirche erhielt 21,5 Millionen Euro. Darin eingeschlossenen sind die Gehälter für die katholischen Bischöfe, Kapitulare und Generalvikare in den Diözesen, die Gehälter des evangelischen Landesbischofs und des Landeskirchenrats sowie Zuschüsse für die Besoldung der Seelsorgegeistlichen. Dahinter steckt die Idee von König Ludwig I., wenigstens die Dome wieder mit Priestern auszustatten und so dem kirchlichen Leben in Bayern wieder zu neuem Glanz zu verhelfen.

"Dass der Domdekan sein Gehalt vom Staat bekommt, das versteht heute niemand mehr", gibt Lorenz Wolf, der Leiter des Katholischen Büros Bayern, unumwunden zu. Als "nicht mehr zeitgemäß" nannte der Grünen-Politiker Sepp Dürr das Konkordat im Wahlkampf 2008, und forderte, das Verhältnis von Staat und Kirche neu zu definieren. Und auch unter den Gläubigen regt sich Unmut. Eine Sprecherin der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" sagt: "Die Ausgleichszahlungen erfolgen aufgrund der 1803 vom Staat eingezogenen Kirchengüter. Dieser Ausgleich müsste sich längst amortisiert haben und damit erledigt sein. Die Steuerzahler, die nicht in der Kirche sind, fragen sich zu Recht, wofür sie dieser Kirche einen nicht unbeträchtlichen Obolus entrichten. Und die gläubigen Zahler zahlen doppelt: an den Staat und an die Kirche."

Die Überweisungen zu rechtfertigen, wird immer schwieriger. Die Zahl der Steuerzahler, die keiner Kirche angehören, wächst. Der Exodus aus den Kirchen hat sich 2010 angesichts der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen sogar noch verschärft: Im vergangenen Jahr haben rund 80 000 bayerische Christen den beiden großen Kirchen den Rücken gekehrt. Verzeichnete die evangelische Kirche rund 20 000 Austritte, verlor die katholische Kirche sogar mehr als 60 000 Mitglieder. Während sich die Austrittszahl der evangelischen Landeskirche auf dem Niveau der Vorjahre bewegte, stieg sie in den sieben katholischen Diözesen um durchschnittlich 50 Prozent.

Der Rückhalt der Kirchen in der Gesellschaft schwindet. Selbst in der CSU, bisher ein verlässlicher Fürsprecher alles Christlichen in Bayern, denkt man nun laut darüber nach, Staat und Kirche zu entflechten. In Zeiten leerer werdender Kassen, dreht auch sie jeden Euro zweimal um. Der Verteilungskampf macht auch vor den Kirchen nicht halt. "In Bayern gibt es ein enges Zusammenwirken von Staat und Kirche, das bis in das Mittelalter zurückreicht. Das war prägend für Bayern und seine Kultur", sagt Kultusminister Ludwig Spaenle. Grundsätzlich solle daran auch gar nichts geändert werden, beteuert der Minister. Aber an einigen Punkten überlege man doch, ob es nicht bessere Lösungen gebe: Wie zum Beispiel bei der Bezahlung der Würdenträger, dem Erhalt und der Renovierung von Pfarrhöfen und Kirchen oder bei der Wohnungsgewährungspflicht für ältere Domkapitulare. "Da brauchen wir Regelungen, die auf der Höhe der Zeit sind", stellt Spaenle fest.

Das sieht auch die katholische Kirche so. Konkret werden die Verhandlungen derzeit bei der Frage der Wohnungsgewährungspflicht für die Domkapitulare: Gemäß Artikel 10 des Konkordats ist der Freistaat verpflichtet, den kirchlichen Würdenträgern eine "ihrem Stande entsprechende Wohnung" anzuweisen. Doch was ist dieses Recht wert? Fest steht bisher nur: "Am Ende müssen beide Seiten zufrieden sein. So lange werden wir verhandeln", sagt Lorenz Wolf. Wie lange das dauern wird, kann aber niemand sagen.

Die Gespräche laufen fernab der Öffentlichkeit. Im vergangenen Jahr ließ zwar der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller aufhorchen, als er forderte, die Entlohnung der Bischöfe der Kirche zu übertragen. Das war aber nur ein kleines Strohfeuer. Seither wird wieder nahezu unbemerkt verhandelt. Weder die eine noch die andere Seite hat ein Interesse an großer Öffentlichkeit. Die Nähe zum christlichen Glauben ist Markenkern der CSU. Und die Kirche muss sich eingestehen, in den vergangenen Jahrzehnten an Einfluss verloren zu haben und altgewohnte Rechte zu verlieren.

Da muss man unliebsamen Tatsachen ins Auge sehen. Weil sich immer weniger junge Menschen dazu entscheiden, Theologie zu studieren - sei es mit dem Ziel Priester zu werden, im Rahmen eines Lehramtsstudiums oder für das Diplom - wurde zum Beispiel bei den katholischen Fakultäten massiv gekürzt. 1998 forderte der Oberste Bayerische Rechnungshof in einem Bericht Einsparungen bei den theologischen Fakultäten. Etwa ein Drittel des Lehrpersonals wurde daraufhin abgebaut und die Kooperation zwischen einzelnen Hochschulen vereinbart. Seit Januar 2007 ruhen die Fakultäten in Bamberg und Passau und werden als Institute mit etwa der Hälfte der Lehrstühle fortgeführt. Etwa zeitgleich wurde auch an den evangelischen Fakultäten in Bayreuth, Passau und Augsburg Lehrpersonal reduziert.

Und auch veränderte Strukturen und Herausforderungen im Wissenschaftsbereich verlangen ihren Tribut. Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) sieht in den Konkordatslehrstühlen einen klaren Widerspruch zur Eigenverantwortung der Hochschulen. "Vor zwei Jahren haben wir den Hochschulen das Recht übertragen, ihre Professoren selbst zu berufen. Vor diesem Hintergrund passen Konkordatslehrstühle nicht mehr in die Zeit. Ich freue mich, dass die katholische Kirche hier erste Gesprächsbereitschaft signalisiert hat. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir gemeinsam mit der Kirche in aller Ruhe eine Lösung finden."

Darauf konnte und wollte Ulla Wessels nicht warten. Die Philosophieprofessorin ist überzeugt, dass sie nur deshalb keine Chance auf eine Berufung in Erlangen hatte, weil sie nicht katholisch ist. Einen Verstoß gegen die Verfassung sieht sie darin. Sie klagte. Das Verwaltungsgericht Ansbach stoppte im vergangenen Dezember die Besetzung der Stelle in einem Eilverfahren. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren wird bis Ende des Jahres erwartet. Das Gericht wird dann auch darüber zu befinden haben, ob die Konkordatslehrstühle gegen die Religionsfreiheit und damit gegen Grundrechte verstoßen.

http://www.welt.de/print/wams/vermischtes/article13252825/Abschied-mit-leisen-Toenen.html

Zuletzt geändert am 24­.04.2011