19.5.2011 - Donaukurier
Die Kirchenleitung bremst
Unsere Redakteurin Katrin Fehr hat sich mit dem 73-Jährigen über christlichen Fundamentalismus, Bischof Gregor Maria Hanke und das Engelwerk unterhalten. Eine Gruppe, die vor schwarzen Katzen warnt und seinen Mitglieder Schutzengeln weiht, deren Schriften 1992 verboten und die 2008 mit neuen Statuten wieder anerkannt wurde.
Sie warnen vor dem Einfluss geheimbundähnlicher Vereinigungen. Wie lautet Ihre Kritik?
Peter Hertel: Meine Kritik bezieht sich auf die extrem machtvollen Gruppen sowie auf die Tendenz, dass der Vatikan rund 50 neue religiöse Gemeinschaften, vor allem konservative, gezielt fördert. Außerdem betreiben Papst Benedikt XVI. und die Glaubenskongregation eine Restaurierung der Kirche, unterbinden zeitgemäße Entwicklungen. Der Trend lautet: Dogmatismus statt Visionen. Statt Reformen zuzulassen, werden die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils sukzessive zurückgefahren. Angefangen von der Liturgie bis zu den Bischofskonferenzen. Die Bischöfe haben heute weniger Einfluss als je zuvor. Selbst liberale sind kaum noch bereit, Kritik am Vatikan zu üben.
Das Engelwerk ist selbst für manche Kirchenrechtler eine der obskursten Vereinigungen. Hat Sie die Entscheidung der Glaubenskongregation, diese wieder zuzulassen, bestätigt oder entsetzt?
Hertel: Sie hat meine Erwartung bestätigt. Obwohl Engelwerk-Mitglieder weiterhin den kirchlichen Verboten zuwiderhandeln, wird die Organisation voll rehabilitiert. Schon 1983 war Glaubenspräfekt Josef Ratzinger, der heutige Papst, zu einem grundsätzlich positiven Urteil gekommen. Mit dem Münchner Weihbischof Heinrich von Soden-Fraunhofen war die Deutsche Bischofskonferenz hingegen zu einem durchweg negativen Urteil gekommen. Unterstützung fand das Engelwerk in Deutschland damals nur auf den Ebenen darunter, beispielsweise bei Abt Gregor Maria Hanke, dem heutigen Bischof von Eichstätt.
Wie kommen Sie darauf?
Hertel: Hanke, damals Abt von Plankstetten, hat Mitgliedern des Engelwerks Räume im Gästehaus für Exerzitien geboten, zumal andere Einrichtungen "Berührungsängste" gehabt hätten. wie er in einem Interview sagte. Er war der Meinung, der Vatikan habe eine "Reinigung" des Engelwerkes eingeleitet. Er selber habe "nichts Widriges" entdecken können. Doch in Wirklichkeit lässt der angebliche Reinigungs-Erfolg auf sich warten.
Engel liegen seit Jahren im Trend, sind manchen Gläubigen gar näher als Jesus. Einer von vielen Gründen, das Engelwerk wieder zu integrieren?
Hertel: Vermutlich. Aber auch die Macht der Organisation, die hohe Mitgliederzahl und die sehr konservativen kirchenpolitischen Einstellungen vieler Mitglieder spielten mit Einschränkung eine Rolle.
Beiden Kirchen laufen seit Jahren die Mitglieder davon. Welche Gründe erkennen Sie dafür?
Hertel: Es liegt nicht nur an der Aufdeckung der katholischen Missbrauchsfälle. Der Trend hält seit 30 Jahren an. In zehn bis 15 Jahren werden die Christen eine Minderheit in der Bevölkerung sein. Ein Grund von vielen ist, dass das Christentum in Mangelzeiten entstanden ist. Religion gab Hoffnung auf Zukunft. Heutzutage jedoch leben die meisten im Überfluss. Viele denken: Es läuft alles gut, auch ohne den christlichen Gott.
Das Bedürfnis nach Spiritualität hält jedoch an. Widerspruch oder logische Konsequenz?
Hertel: Der österreichische Theologe Zulehner hat es auf eine treffende Formel gebracht: Die Sehnsucht boomt, die Kirche schrumpft. Der Trend geht zur Religion in Eigenregie: ein bisschen Buddha, ein bisschen Jesus, ein wenig Schamanentum. Es ist sicherlich positiv, dass sich Menschen auf Sinnsuche begeben. Aber letztlich fehlt mir die Erfahrung bewährter Institutionen wie der Kirchen, die in menschlichen Krisen helfen kann. Und vor allem fehlt, dass wirkliche Religionen nicht einfach eine Sache von Lust und Trost sind, sondern auch harte Forderungen stellen, durch die gesellschaftliche Änderungen möglich werden.
Was kann der Einzelne, sofern er Ihre Kritik teilt, den von Ihnen kritisierten Tendenzen entgegensetzen?
Hertel: Er kann – sofern er Christ ist – auf den Gott der Bibel sehen, der sich vor allem der Armen und Schwachen annimmt. Und darauf vertrauen, dass Änderungen in der Kirchengeschichte, auch wenn sie nur langsam vorangingen, fast immer von unten kamen. Auch das Zweite Vatikanische Konzil war an der Basis längst vorbereitet. Die Kirchenleitungen zeigen sich auch heute als Bremser.
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Zuletzt geändert am 20.05.2011