| |
Veröffentlicht am 11­.07.2011

11.7.2011 - Der Spiegel

Der Gesandte des Kardinals

Nichts soll die Stimmung trüben, wenn der Papst im September Berlin besucht. Doch jetzt droht Ärger mit dem Kirchenvolk. Vielen an der Basis ist der neue Erzbischof Woelki zu konservativ.

In den Händen ein Rosenkranz, auf dem Kopf die Mitra, neben ihm der Bischofsstab: Mit wächsernem Gesicht lag Kardinal Georg Sterzinsky Ende vergangener Woche in der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale aufgebahrt.

Einige Nonnen beteten vor dem offenen Sarg, im Kondolenzbuch standen fromme Wünsche: „Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten. Ruhe in Frieden.“

Der Leichnam war kaum erkaltet, da war es mit dem Frieden im Berliner Erzbistum schon vorbei. Sterzinskys Nachfolger Rainer Maria Woelki, 54, brachte gleich nach seiner Ernennung viele Hauptstadtkatholiken gegen sich auf: „Opus Dei“ und „erzkonservativ“ lauteten die ersten Schlagworte zu seiner Person.

Mit schmalen Lippen und Harry-Potter-Brille bemühte sich Woelki vor der Presse um Schadensbegrenzung. Mit Kategorien wie „konservativ“ wisse er nichts anzufangen, beteuerte er.

Zwei Monate vor dem Papstbesuch sollen in der Hauptstadt alle Zeichen auf Versöhnung stehen, nichts darf die Visite des Heiligen Vaters trüben. Erst im vergangenen Jahr wurde die Stadt von einem Missbrauchsskandal erschüttert, dessen Auswirkungen bis nach Rom reichten. Jetzt soll Berlin Benedikt XVI. einen fröhlichen Empfang bereiten – Spannungen zwischen Bischof und Basis sind unbedingt zu vermeiden.

Prominentere Hirten blieben chancenlos. Reformer wie der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hätten dem Kirchenvolk vielleicht besser gefallen – nicht aber dem konservativen Establishment. Bei Traditionalisten wie dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller wäre es wohl umgekehrt gewesen.

So wurde Woelki zur perfekten Lösung für den Vatikan. Der Kölner Weihbischof ist außerhalb seiner Heimat ein unbeschriebenes Blatt.

Kann er sich in Berlin, wo ähnlich viele Muslime wie Katholiken leben, als Brückenbauer profilieren? Oder ist der frühere Geheimsekretär des konservativen Kölner Kardinals Joachim Meisner darauf aus, die bunte Hauptstadt-Kirche auf Linie zu bringen? Und wie glaubhaft ist seine Aussage, er stehe dem Geheimbund Opus Dei „genau so nah oder fern wie jeder anderen geistlichen Bewegung in der katholischen Kirche“? „Wir hätten uns einen liberaleren Erzbischof gewünscht“, sagt Ingrid Fuhrmann von der Laienorganisation „Wir sind Kirche“. Sie und viele andere Katholiken bauen auf die Dialogversprechen ihres neuen Hirten, haben aber Zweifel angesichts seiner Vergangenheit.

Die Spurensuche führt von Köln über rheinische Gemeinden nach Rom. „Der neue Erzbischof von Berlin beginnt sein Amt mit einer Lüge“, sagt David Berger, ein Kölner Theologe und Enfant terrible der konservativen Katholiken, seit er sich im vergangenen Jahr als schwul geoutet und ein kenntnisreiches Buch über rechtskatholische Kreise geschrieben hat.

Berger war 2008 bei einem Festakt in der Kölner Opus-Dei-Gemeinde St. Pantaleon dabei, als Woelki in einer Predigt dem Gründer des „Werkes Gottes“ Jose-maría Escrivá de Balaguer y Albás huldigte. „Beim Opus Dei wird als Redner nur eingeladen, wer entweder Mitglied oder dem Werk verbunden ist“, sagt Berger. Auch reiche man seine Dissertation „nicht einfach so“ bei der Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom ein, so Berger: „Dort bekommt man keinen Fuß auf den Boden, wenn man nicht sehr d’accord ist“, sagt er.

Die Bibliothek der „Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz“ ist eine Oase der Ruhe mitten in Roms Altstadt. Im Lesesaal sitzen Seminaristen im schwarzen Tuch vor ihren Laptops, zwischen holzgetäfelten Bücherwänden und Mosaikenfenstern mit dem Kreuz von Opus Dei, durch die das römische Sonnenlicht scheint.

Es dauert nur elf Minuten, bis der Universitätsbibliothekar aus dem Kellerarchiv ein schmales Büchlein mit gelb marmoriertem Einband geholt hat und es auf den Tisch mit dem Leselämpchen legt. Titel: „Die Pfarrei. Ein Beitrag zu ihrer ekklesiologischen Ortsbestimmung“.

In der in Deutschland nicht auffindbaren Dissertation setzt sich Woelki mit Geschichte und Lage der katholischen Ortsgemeinde auseinander. Nur ein geweihter Priester kann, unter der Autorität eines Bischofs, eine Pfarrei leiten, schreibt er. Laien als Träger der Gemeinde, als Volk Gottes, kommen in Woelkis theologischem Weltbild nicht vor. Erst recht keine Frauen.

Diese Perspektive erscheint einseitig und verkürzt, aber reaktionär ist sie nicht. Sie ist in der katholischen Hierarchie nach wie vor weit verbreitet, obwohl der Priestermangel inzwischen für die Kirche existenzbedrohende Formen annimmt.

Zunehmend ist sie deshalb auf Diakone angewiesen, das sind Laien, die in Pfarrgemeinden eine führende Rolle einnehmen. Das wollte auch Georg Schwikart, ein katholischer Publizist aus Sankt Augustin bei Bonn. 2007 hatte er in der Erzdiözese Köln eine Ausbildung zum Diakon begonnen.

Geweiht werden sollte er 2010, doch daraus wurde nichts. Ende Oktober teilte ihm Weihbischof Woelki mit, dass eineBeschwerde eingegangen sei. Schwikart hatte mit einem evangelischen Kollegen in einem Buch mit dem Titel „Katholisch? Never! / Evangelisch? Never!“ kritische Fragen wie den Zölibat und die Rolle der Frau diskutiert. Das gefiel der Erzbistumsleitung nicht. Woelki informierte Schwikart, die Weihe werde aufgeschoben.

Als der Autor nach Gründen fragte, habe Woelki aus dem Kopf ein anderes Schwikart-Buch zitiert: „Es gibt auch Männer, die Männer lieben“. Dies sei, so erinnert sich Schwikart, nach Woelki gegen die Schöpfungsordnung.

Er habe den Bischof als friedlichen Menschen kennengelernt, vom Temperament ganz anders als Meisner, der mitunter schroff und frech sein könne. Schwikart: „Woelki schweigt erst einmal und denkt nach. Was aber dann rauskommt, ist genauso hart wie beim Kardinal.“

Woher Woelkis Weltbild stammt, kann man zum Beispiel in der Bruder-Klaus-Siedlung erfahren, auf der rechtsrheinischen Seite von Köln. Pfarrer Franz Meurer ist 15 Jahre älter als Woelki, beide sind in der Arbeitersiedlung aufgewachsen, Woelki in einem Reihenhäuschen, das seine Eltern nach der Flucht aus dem ostpreußischen Ermland bezogen. „Eine andere Welt war das“, sagt Meurer, arm, fromm, katholisch. Kinder musste man nicht groß zum Beten motivieren, bei Ausflügen auf dem Rad, im Zeltlager stimmten sie von selbst das Vaterunser an, sagt der Geistliche.

Woelki machte Abitur, studierte in Bonn und Freiburg Theologie und Philosophie, 1985 wurde er zum Priester geweiht. Schon früh lernte er einen Mann kennen, der sein Leben veränderte: Joachim Meisner, früher Weihbischof in Erfurt und danach Bischof von Berlin. Woelki ist damals öfter nach Berlin gereist und hat Lehrmaterial für Priesteramtskandidaten in der DDR über die Grenze geschmuggelt.

1990 stellte Meisner, inzwischen Kardinal und Erzbischof in Köln, den jungen Mann als Geheimsekretär ein. „Das Verhältnis zwischen Meisner und ihm war ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, manchmal mit Zügen von Vater und Sohn“, sagt Manfred Becker-Huberti, der Bistumssprecher in Köln war.

Am Anfang sei Woelki noch sehr schüchtern gewesen, dann habe er immer mehr eigene Positionen entwickelt, allerdings nur intern. „Er konnte ja keinen Gegenbischof spielen“, meint Becker-Huberti. In wesentlichen Sachfragen lägen die beiden ohnehin meist auf einer Linie.

Entsprechend konsequent setzte Woelki Meisners konservative Vorstellungen um. Als es dem Kardinal im Bonner Theologenseminar Collegium Albertinum offenbar zu liberal zuging, ersetzte er den damaligen Leiter 1997 kurzerhand durch seinen getreuen Sekretär. Der räumte am Theologenkonvikt offenkundig gründlich auf, einige homosexuell veranlagte Studenten mussten das Haus verlassen.

Streit um die Ökumene gab es unterdessen in Erkrath-Hochdahl bei Düsseldorf, das zum von Woelki betreuten Pastoralbezirk Nord des Erzbistums gehört. 36 Jahre lang teilten sich dort Katholiken und Protestanten ein Gotteshaus, dann verbot Meisner 2010 diese Praxis. Woelkis Position unterschied sich nicht von der des Kardinals. Dennoch lobt auch der betroffene Pfarrgemeinderatsvorsitzende, Dieter Thelen, den Hirten als „sehr umgänglichen Menschen. Er hat immer ein offenes Ohr für uns gehabt“.

Kein deutscher Kirchenfürst bringt seine Leute – und damit seine konservativen Überzeugungen – so erfolgreich unter wie Meisner. 2004 wurde Friedhelm Hofmann Bischof von Würzburg, 2005 ging Norbert Trelle nach Hildesheim, jetzt wechselt Woelki nach Berlin. Alle waren zuvor Weihbischof in Köln – eine eindrucksvolle Machtdemonstration des Kardinals und seiner Vorstellung von Kirche.

Vielleicht emanzipiert sich Woelki im neuen Amt. Zu einem Interview mit dem SPIEGEL war er vorige Woche nicht bereit. Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin versprach er, auf die Menschen zuzugehen. Freundlich und offen, so wie ihn auch viele Menschen im Rheinland kennen – Gläubige wie Sandra Prehn. Kaum jemanden habe sie getroffen, der so liebevoll mit Menschen umgehen und derart gut predigen könne, sagt die 33-jährige Küsterin der Pfarrei St. Germanus im Kölner Vorort Wesseling. „Die Berliner sollten sich freuen.“

Meisner-kritische Katholiken wie Manfred Brodeßer haben unterdessen längst aufgegeben. „Wir haben den Kampf verloren“, sagt der Kölner Schulleiter und Religionspädagoge. Jahrelang hat er gegen Meisner mobilgemacht. Dessen Duktus sei: „Wir haben das wahre Christentum.“ Brodeßer wollte das nicht akzeptieren, aber jetzt ist er zermürbt von der langen Auseinandersetzung.

„Meisner hat die Kirche im Rheinland umgekrempelt, jetzt macht er das zunehmend deutschlandweit“, sagt er.

Zuletzt geändert am 14­.07.2011