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Veröffentlicht am 31­.07.2011

31.7.2011 - SWR1 "begegnungen"

Nicht als Opposition gegen Kirche

Von Günther Gremp, Mainz, Katholische Kirche mit Christian Weisner

Seit gut 15 Jahren gibt es in der Konsequenz des Kirchenvolksbegehrens, unterzeichnet von über 1,8 Millionen Menschen, die Bewegung „Wir sind Kirche". Mitbestimmung durch Laien, kirchliche Ämter für Frauen, Freistellung des Zölibats, positive Bewertung der Sexualität, Frohbotschaft statt Drohbotschaft - das sind die wesentlichen Forderungen. Gesicht und Stimme dieser Bewegung ist Christian Weisner:

Reformkräfte wie „Wir sind Kirche" sind so etwas wie Selbstheilungskräfte aus der Kirche heraus. Und wir hören immer wieder, dass Leute sagen: wenn es „Wir sind Kirche" nicht mehr geben würde, dann wäre ich schon längst aus der Kirche ausgetreten.

Christian Weisner, gerade 60 geworden, hat seine Arbeit als Verkehrplaner aufgegeben und arbeitet nur noch ehrenamtlich für „Wir sind Kirche". 1995 gehörte zu Christian Weisner den drei Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens in Deutschland. Mehr als 1,8 Millionen Unterschriften kamen zusammen für u. a. mehr Mitbestimmung der Laien, für Frauen in kirchlichen Ämtern und für die Freistellung des Zölibats. Aus dem damaligen Impuls ist die Bewegung „Wir sind Kirche" hervorgegangen. Ihr Sprecher ist bis heute Christian Weisner, inzwischen von Norddeutschland nach Dachau umgezogen. In einem kleinen Büro in der Privatwohnung laufen die Fäden von „Wir sind Kirche" zusammen. Uns Deutschen sagt man nach, gern Vereine zu gründen. Christian Weisner hat darauf verzichtet:

Bei der Kirchenvolksbewegung gibt es keine Mitgliedschaft. Wir verstehen uns ganz bewusst als Bewegung. Es ist so, dass viele Menschen in der Kirche wirklich nach Reformen dürsten, aber nicht noch einem neuen Verein beitreten wollen, sondern das ist ein Zusammenschluss vor allen Dingen von Gruppen, das ist ein Zusammenschluss von Informationen und das ist vor allen Dingen eine gewisse Unabhängigkeit. Denn anders als die katholischen Verbände sind wir als Bewegung nicht von bischöflichen Finanzen oder auch von bischöflichen Personalentscheidungen abhängig.

In jungen Jahren war Christian Weisner, obwohl kein Theologe, Gemeindeassistent in der Hochschulgemeinde Dortmund - unter franziskanischer Leitung. Und ein bisschen erinnert die Kirchenvolksbewegung an die Reformbewegungen eines Franz von Assisi. Persönliche Sicherheiten hat auch Weisner hinter sich gelassen:

Ich habe nach und nach meine Arbeit als Verkehrsplaner reduziert, erst von 80 auf 60 % und mittlerweile ist die Arbeit so vielfältig auf der deutschen Ebene und vor allen Dingen auch auf der internationalen Ebene, dass es mittlerweile ein Job ist rund um die Uhr, aber es ist Ehrenamt. Freiwilligkeit ist ein ganz wichtiges Element von „Wir sind Kirche".

Inzwischen gibt es kaum eine wichtige kirchliche Entscheidung, zu der nicht auch Christian Weisner vor Kamera und Mikrofon gebeten wird. Stellt sich natürlich die Frage, was ihn zu einer Art Oppositionssprecher legitimiert? Ein Begriff, der Weisner nicht so schmeckt:

Die Kirchenvolksbewegung versteht sich ganz klar als Bewegung innerhalb der Kirche; also nicht als Opposition gegen Kirche.

Legitimiert zu seinen Stellungnahmen sieht sich Weisner durch die Unterzeichner des Kirchenvolksbegehrens, durch all die Umfragen, die seine Positionen mehrheitlich stützen, aber auch durch Entwicklungen in katholischen Verbänden:

Ich spüre, dass der neue Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück, dass die Frauenverbände, dass die Jugendverbände, dass die eigentlich alle die Punkte des Kirchenvolksbegehrens mit vertreten, die müssen auch jetzt zur Sprache kommen.

Als da wären:

Mehr Mitbestimmung der Laien, alle Ämter für die Frauen, Aufhebung des Pflichtzölibats, eine positive Bewertung der Sexualität und als fünftes Frohbotschaft statt Drohbotschaft und mittlerweile ist auch die Ökumene uns sehr wichtig geworden.

Die Themen, die die Bischöfe für den Gesprächsprozess der nächsten Jahre vorgegeben haben, tragen ganz andere Überschriften. Auch auf diese Gespräche wird Christian Weisner sich einlassen, ohne von seinen Forderungen abzuweichen.

Es kann doch nicht sein, dass ich in der Schule, am Arbeitsplatz, überall mehr Mitbestimmung, mehr Beteiligung, mehr Teilhabe fördere, und in der Kirche soll es das genaue Gegenteil sein. Und von daher bin ich ganz zuversichtlich, dass es auch weitergeht.

Die Botschaft Jesu ist tragfähig

Der Vertrauensverlust, den die Katholische Kirche im letzten Jahr aushalten musste, hat die Bischöfe auch bei Themen, die nichts mit Missbrauch zu tun haben, zu mehr Gesprächsbereitschaft gebracht. Zu erwarten, dass die vom Kirchenvolk aufgeworfenen Reformforderungen jetzt umgesetzt würden, wäre allerdings Illusion. Aber Christen wie Christian Weisner, der Sprecher der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche" ist gewohnt Hartnäckigkeit, Geduld und Gottvertrauen miteinander zu verbinden. Der Mitinitiator des Kirchenvolksbegehrens von 1995 und Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche" ist kein Revolutionär und erst recht kein Gegner der Kirche - ganz im Gegenteil: Christian Weisner ist ein Mann, der persönliche Nachteile im Interesse der Kirche und ihrer Zukunft in Kauf nimmt.

Ich habe sicher sehr viele gute Erfahrungen auch mit Priestern, Studentenseelsorgern gemacht in meinem Leben. Ich habe mich immer in der Kirche aufgehoben gefühlt, aber es war die Kirche des Konzils.

Die Kirche des Konzils, das hieß für viele Katholiken in den sechziger und siebziger Jahre: Aufbruch, Abschied von Verkrustungen, frischer Wind. Auf der Würzburger Synode1971-75: offene Diskussionen auf Augenhöhe zwischen Laien, Priestern und Bischöfen. Und wie auf den Feldern gesellschaftlicher Entwicklungen wollten viele auch in der Kirche weitergehen. Heute sprechen nicht wenige von Rückschritt statt Fortschritt. Wenn es um Fragen wie Zölibat oder Frauenpriestertum geht, verweist man immer wieder auf Rom, die weltkirchliche Dimension und bemerkt spitz, wir sollten uns hierzulande nicht als Nabel der Welt sehen. Klingt gut, aber:

Ich bin gerade über Pfingsten in Amerika beim American Catholic Council gewesen, wo also knapp 2000 Menschen keine Resignation haben, sondern sagen: das sind die Aufgaben der Zukunft und sich freuen, dass eine europäische Delegation kommt. Diese internationale Vernetzung zeigt ja, dass die Forderungen nicht nur die Forderungen im Lande Luthers sind, sondern dass es wirklich pastorale Forderungen sind, die weltweit gelten.

Und da, findet der diplomierte Stadt- und Verkehrsplaner, muss man anpacken. Allerdings: In die Hände spucken allein hilft da nicht. Es braucht mehr.

Glaube ist etwas, was wirklich dem Leben Kraft und Sinn gibt, was mich stärkt, was mir durch Höhen und Tiefen hilft, aber es geht nicht nur um diese Glaubensaussagen, es geht darum etwas zu tun. Nicht alles neu machen. Für die Kirchenvolksbewegung ist es auch wichtig die Tradition zu sehen, also auch die Tradition der Reformen zu sehen. Insofern ist für mich Kirche wie ein Kirchengebäude. Man kann natürlich alles abreißen und daneben ein neues Zelt aufbauen oder ein neues Gebäude. Aber ich denke, das ist mit dem Traditionsverständnis nicht möglich. Es geht immer wieder darum, Anbauten zu machen und hier und dort etwas zu sanieren. Im Augenblick geht es vor allen Dingen darum, wieder die Fenster zu öffnen wie es Johannes XXIII gesagt hat.

Als dieser Papst starb, war Christian Weisner, knapp 12 Jahre alt. Aber mindestens so weit reichen auch die Wurzeln seines Glaubens zurück:

Meine persönliche Spiritualität ist sicher sehr gespeist aus einem Urvertrauen, was vermittelt worden ist von den Eltern und was ein Gottvertrauen, ein Zukunftsvertrauen gebracht hat. Das zweite ist Gemeinschaft in Gottesdiensten, in der weltweiten Vernetzung. Und das dritte ist, denke ich, einfach eine Aufgabe zu haben. Also Kirche hat sich immer verändert; das ist meine größte Hoffnung, die mich speist. Es gab also große Aufs und Abs und auch absolute Fehlleistungen, aber die Botschaft Jesu, denke ich, ist so tragfähig, aber sie muss immer wieder an die Oberfläche geholt werden.

http://www.kirche-im-swr.de/mprint.php?id=11153

Zuletzt geändert am 01­.08.2011