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Veröffentlicht am 05­.09.2011

5.9.2011 - Main-Post

Wenn Seelsorger zu Managern gemacht werden

Pfarrer Norbert Clausen heute in Heidenfeld

Sie geben anderen Menschen Halt, Trost und Rat. Doch immer mehr katholische Geistliche brauchen selbst Hilfe, sind ausgebrannt, geben teilweise ihr Amt auf. Warum das so ist, diese Frage stellt sich aktuell im Fall des Pfarrers Norbert Clausen, der am Wochenende sein Seelsorgeramt in den Gemeinden Röthlein, Heidenfeld und Hirschfeld niedergelegt hatte (wir berichteten).

Der 40-Jährige litt Ende 2010 am Burn-out-Syndrom und hatte zuletzt eine längere Auszeit genommen. Entgegen unserer gestrigen Berichterstattung hatte er das Amt des Dekans Schweinfurt Süd bereits 2010 an den Bergrheinfelder Pfarrer und früheren Dekan Schweinfurt Nord, Werner Kirchner, abgegeben.

Wie kaum ein anderer kennt sich Wunibald Müller mit solchen Fällen aus. Er gründete 1991 das Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach. Das bundesweit einzige Therapiezentrum für katholische Geistliche bietet Langzeitkurse (drei Monate), Kurzzeittherapien und Kriseninterventionen an. „Es hat zwei Seiten, warum Geistliche immer öfter ausgebrannt sind“, sagt Müller. „Die äußere besteht darin, dass Geistliche immer mehr Aufgaben bewältigen müssen, beispielsweise für mehrere Pfarreien zuständig sind. Sie fühlen sich oft überfordert, weil sie eigentlich Seelsorger sein wollen, für diese Herzensangelegenheit aber immer weniger Zeit bleibt, weil zu oft der Manager gefragt ist.“

Keine Zeit für Beziehungen

Die zweite Seite hänge mit dem „Ich“ zusammen: Typisches Kennzeichen bei Burn-Out sei, dass die eigene, private Welt immer weniger werde, während die dienstliche einen viel zu großen Raum einnehme. „Es fehlt Zeit für Kino, Sport, Theater, vor allem aber für tiefe, innige Beziehungen zu anderen Menschen.“ Müller will das nicht als Zölibat-Kritik verstanden wissen. „Jeder Mensch muss wissen: Wo bin ich zu Hause, wo werde ich aufgefangen, wo kann ich mich mit anderen austauschen, wo darf ich ich selbst sein?“

In der Kirche engagierte Laien kennen noch einen dritten Aspekt. Die Pfarrer „fürchteten“ sich vor der Delegation von Verantwortung und Aufgaben etwa an Diakone oder ehrenamtliche Mitarbeiter. Das habe auch mit der hohen Erwartungshaltung der Kirchenmitglieder zu tun. „Die wollen beim runden Geburtstag den Pfarrer zum Kaffee begrüßen und nicht irgendeinen Diakon“, erzählt ein langjähriger Laienpriester.

In diesem „Hamsterrad“ zwischen Terminen und Verantwortung fehlt den Priestern dann häufig der Ausgleich. Norbert Clausen war Mentor der Landkreis-Diakone, bei Problemen immer ansprechbar. Er selbst verbrachte seine Freizeit früher mit einsamen Kanuwanderungen, zuletzt gerne auf seinem Flussboot „Roxy“, das er 2009 aus den Niederlanden überführte.

Rede und Antwort

Magnus Lux aus Schonungen ist Bundessprecher von „Wir sind Kirche“. Der 67-Jährige kennt Clausen, hat mit ihm einen Seminartag vorbereitet. „Es gab eine Ungleichzeitigkeit zwischen Pfarrer und Gemeinde. Er wollte nicht einfach das Traditionelle fortsetzen, sondern eine reformierte Kirche, die sich auf das Evangelium einlässt und sich öffnet“, schildert Lux das Selbstverständnis des Weggefährten. Die Ursache für den Burn-Out sei wohl hier zu suchen.


Norbert Clausen hat die Reißleine gezogen. Er geht aber nicht, ohne sich zu erklären. Am heutigen Dienstagabend, 20 Uhr, will er der Gemeinde im Pfarrheim Heidenfeld seine Beweggründe erläutern – und Rede und Antwort stehen. Seine Zukunft liegt offenbar im Großraum Nürnberg. Dort soll er unbestätigten Angaben zufolge die Verwaltungsleitung eines Kinderheims übernehmen.

Die durch seine Krankheit bereits seit einem Jahr praktisch verwaiste Pfarrstelle wird nun neu ausgeschrieben und dürfte binnen eines halben Jahres wieder besetzt werden. Bis dahin werden die Priester aus den umliegenden Gemeinden wechselweise die Betreuung der vakanten Pfarreien übernehmen. Allerdings ist Priesternachwuchs bekanntlich rar, weshalb ein früherer Kollege Clausens – der nicht genannt werden möchte – das Bild von einer Decke bemüht, „die viel zu kurz ist, hin und her gezogen wird – und überall friert man.“

Von Holger Laschka und Norbert Hohle

http://www.mainpost.de/regional/franken/Wenn-Seelsorger-zu-Managern-gemacht-werden;art1727,6314365

Zuletzt geändert am 07­.09.2011