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Veröffentlicht am 09­.09.2011

9.9.2011 - tagblatt.de

Pfarrer-Aufruf zum "Ungehorsam" quält Bischöfe

Österreichs Oberhirten stecken in der Zwickmühle

Mehr als 300 katholische Pfarrer haben sich in Österreich einer Reforminitiative angeschlossen. Die meisten Bischöfe reagieren mit Nichtstun. Sie hoffen auf ein wegweisendes Wort von Papst Benedikt XVI.

NORBERT MAPPES-NIEDIEK

Wo in Jahrtausenden gedacht wird, kann auch eine Schrecksekunde mal ein Vierteljahr dauern. Nachdem im Juni in Österreich mehr als 300 katholische Pfarrer ihren "Ungehorsam" gegen kirchliche Bestimmungen erklärt haben, beginnen die Bischöfe nun, sich auf eine Strategie zu verständigen. Wenn die Hirten des Landes eine eigene Position entwickeln wollen, haben sie nur noch knapp zwei Wochen Zeit: Dann besucht der Papst Deutschland. Kennern gilt es als wahrscheinlich, dass Benedikt XVI. die Gelegenheit nützen wird, den Bischöfen im Nachbarland eine Linie vorzugeben.

Nach 20 Jahren Debatte, mit der Initiative "Kirche von unten" und einer Plattform "Wir sind Kirche", nach einem "Kirchenvolksbegehren" und einem formellen "Dialog für Österreich", haben Österreichs erschöpfte Reformkatholiken den Spieß umgedreht: Statt immer nur Forderungen zu stellen, die dann mit Hinweis auf den Papst oder auf das Schneckentempo des katholischen Fortschritts abgewimmelt werden, versuchen sie nun, die Bischöfe zum Handeln zu zwingen. "Aufruf zum Ungehorsam" nennt der Initiator, Pfarrer Helmut Schüller, seinen Appell. Volle 337 Seelsorger erklären darin unter anderem, künftig wiederverheirateten Geschiedenen und Nichtkatholiken die Kommunion zu spenden sowie das Predigtverbot für Nichtpriester zu missachten - etwa jeder zehnte katholische Pfarrer im Lande.

Österreichs Bischöfe sind allerdings entschlossen, sich von den Rebellen zu nichts zwingen zu lassen. Sprechen die aufmüpfigen Priester von "Ungehorsam", verstehen die Oberhirten immer nur "Aufruf zum Dialog". Zwar verstoßen die Priester klar und lustvoll gegen das Kirchenrecht. Davon will in Wien aber niemand etwas wissen. Ob ein Bischof Verstöße verfolge, bleibe ihm selbst überlassen, erläutert der Wiener Kirchenrechtler Ludger Müller. "Er hat immer die Möglichkeit, gar nichts zu tun." Das geschriebene Recht spricht da eine ganz andere Sprache: Schon wenn er "wahrscheinliche Kenntnis" von einer "Straftat" erhält, muss der Bischof nach Artikel 1717 des Kirchenkodex zwingend ermitteln - von öffentlichen "Aufrufen zum Ungehorsam" ganz zu schweigen.

Politisch haben die Rebellen und der Vatikan die neun Bischöfe des Landes schon in der Zwickmühle: Suspendieren sie die aufmüpfigen Pfarrer, ist die nächste Austrittswelle programmiert. Allein 2010, im Jahr des Missbrauchsskandals, haben mehr als 87 000 Katholiken in Österreich ihrer Kirche den Rücken gekehrt - prozentual doppelt so viele wie in Deutschland. Schaffen es die Bischöfe aber, die Rebellen zum Aufgeben zu überreden, dürfte das Ergebnis kaum besser sein. Nach einer Umfrage halten 67 Prozent der Katholiken die Pfarrerinitiative für einen "wichtigen Impuls". 86 Prozent wollen keinen Pflichtzölibat, 83 Prozent finden, dass auch Frauen Priester sein können.

Während die konservativen unter den Bischöfen auf ein wegweisendes Papstwort hoffen, bemühen sich andere um eine eigene Linie: Nicht nur die Reformer in Innsbruck und Salzburg, Manfred Scheuer und Alois Kothgasser, sondern auch der konservative Grazer Egon Kapellari. Er gilt als der einzige politische Kopf im Kreise der österreichischen Bischöfe.

Der eigentliche Chef, der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, ist zwar als Autor des Katechismus weltkirchlich bestens vernetzt und gilt sogar als potenzieller Papst. In Taktik, Strategie und Medienperformance ist der 66-Jährige aber seinem Gegenspieler Schüller unterlegen. Der 57-jährige Kopf der Rebellenpfarrer diente Schönborn einst als Generalvikar, war vorher Caritas-Direktor und manövrierte seine Kirche als Leiter einer Ombudsstelle geschickt durch die Missbrauchsskandale. Schüller weiß sehr genau, was er tut und will: Der Coup der Pfarrerinitiative hatte eine fünfjährige Vorlaufzeit.

Um der Konfrontation aus dem Wege zu gehen, ist Kapellari zu Kompromissen bereit. Über die Beteiligung von Laien an der Leitung einer Pfarre könne man "verhandeln", sagte er - obwohl Verhandlungen niemand gefordert hat. In einem Hirtenwort verlangt er nicht Gehorsam, sondern eine "Kultur der Treue". Wenn jemand sein Versprechen nicht halten kann, "müssen wir helfen, mit solchen Problemen einfühlsam und verantwortungsvoll umzugehen, ohne umgreifende Ideale und Verpflichtungen aufzugeben" - ein letzter Versuch, dem Grundsatzstreit auszuweichen.

Kapellaris Sprecher Georg Plank will die Initiative aus den besonderen Interessen der Pfarrer begreifen: "1950 bestand das qualifizierte kirchliche Personal zu 90 Prozent aus Priestern", sagt der Laientheologe. "Heute sind es zirka 30 Prozent." Oft würden die interessanten Aufgaben von Laien ausgeübt.

Wegen des Priestermangels muss jeder Kleriker in die Pfarre - nicht nur in eine, gleich in mehrere. Dort führen sie die liturgischen Pflichtjobs aus, für die beliebtere Seelsorge bleibt nur wenig Zeit. Dürften Laien etwa predigen, hätten die gehetzten Kleriker mehr Luft.

http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-Oesterreichs-Oberhirten-stecken-in-der-Zwickmuehle-_arid,145564.html

Zuletzt geändert am 09­.09.2011