September 2011 - DPA
«Gegen den Willen Jesu» - Ende der Kirchenspaltung nicht in Sicht
Miteinander reden geht, miteinander beten auch. Aber miteinander Abendmahl und Kommunion feiern können Katholiken und Protestanten nicht, weil die katholische Kirche es nicht zulässt. Das wird der Papst auch in Erfurt nicht ändern - obwohl er dort auf Luthers Spuren wandelt.
Erfurt (dpa) - Katholische Kinder gehen in einer evangelischen Kirche in Erfurt zur Kommunion. Was wie eine Sensation klingt, ist gar keine. Denn von der «Tischgemeinschaft», davon, dass Katholiken am Abendmahl der Protestanten teilnehmen dürften, sind die Christen noch weit entfernt. Papst Benedikt XVI. wird das auch bei seinem Besuch in Erfurt nicht erlauben. Aber immerhin darf die katholische Gemeinde St. Wigbert und St. Crucis die evangelische Thomaskirche, die viel größer ist, nutzen, um die Erstkommunion zu feiern. Damit an diesem großen Tag genug Platz ist für alle Kinder und ihre Familien.
Selbst das wäre in früheren Jahrzehnten undenkbar gewesen. «Wir sind ja schon einen Riesenweg gegangen», sagt der katholische Pfarrer Wigbert Scholle (43). Ökumene, die Zusammenarbeit von evangelischer und katholischer Kirche, ist für ihn und seine evangelischen Nachbarn Alltag. Die Thomasgemeinde betete während der Renovierung ihres Gotteshauses in der katholischen Crucis-Kirche. Einmal im Jahr ist Kanzeltausch - dann predigt Scholle den Protestanten, die Katholiken lauschen einem evangelischen Pfarrer - oder einer Pfarrerin.
All das geht - aber das gemeinsame Abendmahl nicht. Denn über das, was bei der Eucharistiefeier genau passiert mit Brot und Wein, herrscht theologisch keine Einigkeit. Die katholische Kirche lässt weder zu, dass ihre Mitglieder am evangelischen Abendmahl teilnehmen, noch, dass evangelische Christen in der katholischen Kirche zur Kommunion gehen. Das Thema ist damit, neben der formellen Anerkennung der evangelischen Kirche durch den Vatikan - zum wichtigsten Symbol für Fortdauer oder Überwindung der Kirchenspaltung geworden.
Der Papst wird im Augustinerkloster in Erfurt mit Protestanten reden, und er wird mit ihnen einen Gottesdienst feiern - aber nicht das Abendmahl.
Groß ist der Kapitelsaal im Augustinerkloster nicht. Die Säule, in der die Gewölbebögen zusammenlaufen, gibt dem Raum eine Mitte. Zwei Spitzbogenfenster lassen viel Licht herein. Die cremeweißen und rotbraunen Bodenfliesen sind im Karomuster ausgelegt. Seit dem 14. Jahrhundert hat sich dieser Raum nicht verändert. Vor 500 Jahren war er der einzige im Kloster, in dem die Mönche reden durften, über Glaubensfragen debattieren. Einer von ihnen war Martin Luther.
Papst Benedikt der XVI. wandelt also buchstäblich auf Luthers Spuren, wenn er sich genau in diesem Kapitelsaal mit Vertretern der evangelischen Kirche zum ökumenischen Gespräch trifft. Und wenn er in der Kirche nebenan am ökumenischen Gottesdienst teilnimmt, an genau dem Altar, vor dem Luther zum katholischen Priester geweiht wurde und wo er seine erste Messe gelesen hat. Ein Stockwerk höher lag seine Zelle, in der er betete und studierte. Zum Schlafen waren die Matten da, die im großen Saal vor den Zellen auf dem Boden lagen.
Natürlich weiß der Papst genau, welchen Boden er betritt. Für Lothar Schmelz, den Kurator des Augustinerklosters, wird ein Traum wahr: «Und zwar, dass der Papst die Einladung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche genau an diesen Ort angenommen hat.» Ein starkes Symbol wäre es, wenn der Papst hier den Bann gegen Luther zurücknähme, meint Schmelz, hält das aber für unwahrscheinlich.
Und Schmelz geht es um mehr als um Geschichte und Symbole. Zum Beispiel ist er mit einem Ehepaar befreundet, bei dem der Mann evangelisch und die Frau katholisch ist. Wenn sie gemeinsam den Gottesdienst besuchen, darf die Freundin das Abendmahl nicht mitfeiern. «Das wäre für mich ein Traum, dass wir, meine Frau und ich, mit diesem befreundeten Ehepaar gemeinsam in einer Runde stehen könnten, ohne uns zu fragen: Dürfen wir das?», sagt Schmelz.
Heidi Rogge klingt ungeduldiger, wenn sie Fortschritte fordert. Früher hat sie ein evangelisches Frauenwerk in Hamburg geleitet. Nun, im Ruhestand, ist sie mit ihrem Mann als Touristin in Erfurt und schaut sich den Dom an. Mächtig ragt er über dem Marktplatz auf, wo die Tribüne für die Papstmesse aufgebaut wird. Die restaurierten Häuser im Hintergrund werden eine schöne Kulisse abgeben.
«Es ist so widersinnig, dass es zwei verschiedene Konfessionen gibt», sagt Rogge. Sie kennt katholische Frauen, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben. An der katholischen Kommunion dürfen sie deshalb nicht mehr teilnehmen, am evangelischen Abendmahl - aus katholischer Sicht - aber auch nicht. «Das ist eine ganz große Bitternis, das nicht zu können!», sagt Rogge.
Das sieht die Katholikin Eva-Maria Kiklas (74) genauso. Sie lebt in Dresden, war Radiologie-Assistentin, und arbeitet seit ihrer Jugend ehrenamtlich in der Kirche mit. Sie ist Ökumene-Expertin der Reformbewegung «Wir sind Kirche». Nach ihrem Traum gefragt, sagt sie erst einmal, was sie nicht will: Das Verschmelzen der beiden Kirchen, das Aufgehen der evangelischen in der katholischen. Sondern dass der Papst die evangelische Kirche so anerkennt, wie sie ist, mit ihren Pastoren und allen Sakramenten, einschließlich Abendmahl.
Dann würde auch der Weg frei für mehr: «Ein Traum wäre für mich, dass die evangelischen Christen in die katholische Kirche gehen und die katholischen in die evangelische.» Angesichts von Priestermangel, schrumpfenden Gemeinden und Rückgang der Schülerzahlen könne das viele Probleme lösen, meint Kiklas: Gemeinsamer Religionsunterricht und gemeinsamer Gottesdienst wären möglich.
Im katholischen Eichsfeld in Thüringen kann man sich das praktisch vorstellen. Hier liegt die Marienkapelle Etzelsbach, die der Papst besucht, und nicht weit davon Kleinbartloff. Gleich neben der katholischen Kirche wohnt Karl-Heinz Hoffmann. Aber er ist Protestant und fährt sonntags in den Nachbarort. «Es ist manchmal ein bisschen traurig, dass die einen hier in die Kirche gehen und wir dorthin, aber wir können die wenigen Evangelischen ja auch nicht verlassen.»
In der Dorfkirche treffen sich die «Alte Burg»-Musikanten. Grüne Polohemden zu schwarzen Hosen tragen sie und packen Trompeten, Tuben, Hörner und Posaunen aus, um noch einmal das Eichsfeldlied zu spielen. Ihre Kapelle wird gemeinsam mit anderen Bläsern und Chören bei der Marienvesper für den Papst und die vielen tausend Pilger musizieren.
«Schlägt deine letzte Stunde, es sei auf Eichsfelds Grunde», heißt die Schlusszeile des Liedes. Heimatverbundenheit, beteuert in altertümlicher Sprache, ist für die Musiker auch heute aktuell - nicht aber Engstirnigkeit. Rainer Hesse, der zum Gottesdienst die Orgel spielt und in der Kapelle die Tuba, erlebt die Gemeinsamkeit der Christen längst im Alltag. Seine Mutter ist evangelisch.
Seine Großmutter väterlicherseits war es auch. «Als meine Oma dann gestorben ist, hat der katholische Pfarrer damals nicht zugelassen, in der Kirche einen Rosenkranz für sie zu beten. Das fanden wir sehr empörend.» Aber das ist für ihn Vergangenheit. Und das Gotteshaus zu teilen, wäre denkbar: «Die wenigen evangelischen Christen, die hier im Dorf wohnen, hätten bestimmt kein Problem damit, zu uns in die Kirche zu gehen», sagt Silvio Hupach, der Posaune spielt.
Der katholische Pfarrer Scholle, der die Erstkommunion in der evangelischen Thomaskirche feiert, hat ein theologisches Argument gegen die Kirchenspaltung: «Letztlich verstoßen wir gegen den Willen Jesu.» Und ein praktisches: «Wenn die Glaubenden sich nicht einig sind, wie sollen dann Nichtglaubende sagen, ich mache da mit?»
Eine wiedervereinte Kirche wäre für ihn aber keine Einheitskirche, sondern bunt: «Das Glaubensbekenntnis muss einheitlich sein. Riten, wie man Gott verehrt, wie man Gottesdienst feiert - die müssen doch nicht gleich sein.» Dass seine eigenen Schäfchen dann in andere Kirchen abwandern könnten, macht ihm keine Sorgen. «Die bleiben ja nicht weg - sie sind halt nur in einer anderen Kirche.»
Aber Scholle warnt davor, gleich mit dem gemeinsamen Abendmahl anzufangen, ohne vorher Glaubensfragen zu klären: «Vielleicht ist ja der Schmerz, die Tischgemeinschaft noch nicht zu haben, der Stachel im Fleisch, dass wir mit der Ökumene weitermachen müssen.»
(Diese Reportage ist die zweite in einer Reihe von dreien, die dpa von den Orten des Papstbsuchs sendet.)
Zuletzt geändert am 13.10.2011