| |
Veröffentlicht am 18­.09.2011

18.9.2011 WELT ONLINE

Der Kritiker

Der Kirche laufen die Menschen weg, das sagen nicht nur die Statistiken. Aber was ist mit denen, die noch die Gottesdienste besuchen? Was bedeutet ihnen der Glaube, wie haben sie zu ihm gefunden? Sechs Antworten

Es hatte sich immer alles richtig angefühlt, in diesem Leben nahe, mit der Kirche, die ganze Kindheit und Jugend über. Zwang war sei nie da gewesen, sagt Peter Sutor, 63, seine Familie war zwar tiefreligiös, der Vater Kirchenvorstand, aber sehr liebevoll und auch offen. Und die Religiosität war damals ja auch ganz normal, in München. Das Kirchenjahr wurde durchgelebt, alles im Leben hatte seine Reihenfolge: Erstkommunion, Ministrant, Messen, Beten. "Ich habe das als selbstverständlich empfunden, das war keine verbogene Frömmigkeit." Es war das, was man eine rundum schöne Kindheit nannte. Ein ganzheitliches katholisches Leben. Von Kritik, Rebellion gar keine Spur.

Auch als Jugendlicher nicht. Diskussionen, das ja. Zum Beispiel um das zweite Vaticanum und die darin beschriebene Erneuerung. Die Mutter war gegen das Hinterfragen, meinte, dem Wort des Papstes oder Pfarrers sei unbedingt zu folgen. Der Vater war offener. Es gab Gespräche, aber dabei blieb es. Dass es irgendwann einen Bruch geben würde, darauf war er eigentlich nicht vorbereitet. Aber er kam. 20 Jahre alt war Peter Sutor, als er seine Frau kennenlernte. Das schönste Geschenk, das ihm Gott jemals machte, sagte er. Nur: Diese Frau war nicht gläubig. Und sie war schon mal verheiratet gewesen. Ein Skandal für die "doch sehr schwarze" Familie. Es gab Streit und Dramen. Heiraten konnte er seine Frau schließlich doch - aber nur, weil sein "Pfarrer-Onkel" sie auf eigene Verantwortung traute. Gegen die Vorstellung der Amtskirche.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen, seine Eltern haben irgendwann "Abbitte geleistet", man hat sich wieder versöhnt. Der Glaube hat immer noch viel Raum im Leben von Peter Sutor, er hat einige Ehrenämter inne - ist etwa Sprecher der KirchenVolksBewegung im Bistum Hildesheim und Vorstandsmitglied der Katholischen Erwachsenenbildung. Aber er hat nach wie vor viele Fragen, auch an den Papst. Er sagt, dessen Besuchsmotto "Wo Gott ist, da ist Zukunft" sei ja ansprechend - aber auf ihn wirke es wie ein Etikettenschwindel. "Im Gegensatz zu Papst Johannes XXIII., der Impulse für das 'Heutigwerden' der Kirche gab, ist beim derzeitigen Papst kaum Zukunftsgerichtetes, sondern eher Vorgestriges zu entdecken." Keine Spur von Dialog und Reformbereitschaft, trotz der Warnungen vor den Folgen der Glaubwürdigkeitskrise, in der sich die Kirche befindet.

"Wenn vor Gott alle Menschen gleich sind", fragt er, "warum sollen dann Kleriker mehr wert sein und mehr Entscheidungsbefugnisse haben als die Laien, das Kirchenvolk? Warum besteht der Papst darauf, dass über die Weihe-Ämter für Frauen noch nicht einmal nachgedacht und diskutiert werden darf? Wenn Jesus uns stetig auf die Sorge für Ausgestoßene, Benachteiligte, Hilfsbedürftige und Arme aufmerksam gemacht hat, wieso entfaltet die Kirchenleitung dann eine solche Pracht und umgibt sich erkennbar bevorzugt mit 'Auserlesenen'? Peter Sutor sagt, ja, er empöre sich über diese und weitere Fragen. Aber es ist ihm auch klar, dass er nicht beim Anklagen und Lamentieren verharren kann und will. Daher sein Engagement in den Ehrenämtern. "Ich glaube, dass BeGEISTerung und Liebe zur Kirche stärker sind als Ohnmacht und Enttäuschung, und ich hoffe, dass sich gemeinsam mit mir immer mehr Menschen auf den schöpferischen Geist verlassen, anstatt an einer reformunfähigen Kirchenführung zu verzweifeln." wilt

Zuletzt geändert am 19­.09.2011