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Veröffentlicht am 18­.09.2011

18.9.2011 Borkener Zeitung

Riesige Erwartungen vor Papstbesuch in Deutschland

Berlin - Höher könnte der Erwartungsdruck auf Papst Benedikt XVI. vor seinem Deutschland-Besuch nicht sein. Die katholische Kirche in seinem Heimatland steckt nach dem Missbrauchsskandal in der tiefsten Krise ihrer jüngeren Geschichte, Gläubige laufen ihr in Scharen davon. Viele von denen, die bleiben, fordern Reformen ein, wollen verkrustete Kirchenstrukturen auflösen und mehr Mitsprache. Es fehlt an Priestern, der Gemeindearbeit droht mancherorts der Kollaps.

Zu all dem soll der deutsche Pontifex die richtigen Worte finden, Impulse geben, den Weg weisen. Als ob das nicht schon Herkulesaufgabe genug wäre, soll Benedikt auch der Ökumene Schwung verleihen und im Bundestag sprechen - als erster Papst in einem deutschen Parlament.

Eine Botschaft hat er am Wochenende schon vorausgeschickt, direkt in die Wohnzimmer der Deutschen. Der Papst sagte im „Wort zum Sonntag“ in der ARD über das Anliegen seines Deutschlandbesuchs: „All dies ist nicht religiöser Tourismus, und noch weniger eine Show (...) Es soll darum gehen, dass Gott wieder in unser Blickfeld tritt, der so oft ganz abwesende Gott, dessen wir doch so sehr bedürfen.“ Von Donnerstag an ist Benedikt vier Tage in Berlin, Erfurt, dem Eichsfeld und Freiburg zu Gast. Nach pastoralen Aufenthalten 2005 und 2006 ist es sein erster offizieller Staatsbesuch in Deutschland - einer Republik, die auf christlichen Wurzeln und Werten fußt.

Die aber gleichzeitig, gemessen an der Zahl der Christen und Gottesdienstbesucher, langsam vom Glauben abzufallen scheint. Im vergangenen Jahr kehrten hier 181 000 Christen der katholischen Kirche den Rücken, erstmals seit Jahrzehnten mehr, als getauft wurden. Nur jeder achte der 24,6 Millionen Katholiken lässt sich noch beim Gottesdienst blicken.

Angesichts solcher Trübsal hofft der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, dass das Papst der Kirche neue Kraft, den Gläubigen Stärke und Orientierung gibt. Und: „Der Besuch des Papstes ist auch eine Chance, Menschen mitzunehmen, die bisher nicht dabei waren.“

Eine Ursache für die Krise ist der Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen und anderen Einrichtungen. Er erschütterte insbesondere die katholische Kirche 2010 in ihren Grundfesten. Heute arbeiten die Bistümer den Skandal auf, sie haben die Prävention verstärkt und wollen Opfer mit bis zu 5000 Euro entschädigen. Vielen reicht das nicht aus.

Eine Begegnung des Papstes mit Betroffenen als symbolische Geste steht nicht auf dem offiziellem Programm, gilt aber - in Anlehnung an Besuche in anderen Ländern - als wahrscheinlich. Allerdings vermisst die Opfervertretung „Eckiger Tisch“ bisher ein Signal. „Wir sind zu einem Treffen jederzeit bereit“, sagt Sprecher Matthias Katsch.

Ob eine andere Begegnung über Symbolik hinausgeht, bleibt abzuwarten. In Erfurt will Benedikt mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche über die Ökumene sprechen, die Zusammenarbeit und Einheit aller nach Konfessionen getrennten Christen. Ein gemeinsames Abendmahl wünschen sich viele, die Protestanten pochen auf formelle Anerkennung ihrer Kirche durch den Vatikan.

Und da ist auch noch Reformator Martin Luther (1483-1546), dessen Reformversuch einst zur Kirchenspaltung führte. Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 ringt der katholische Klerus um eine Sprachregelung. Viele sind deshalb gespannt auf die Worte des Papstes im Erfurter Augustinerkloster - dem Ort, an dem Luther noch als katholischer Mönch wirkte.

In Freiburg äußert sich Benedikt voraussichtlich zum Dialog, den die Bischöfe als Reaktion auf den Missbrauchsskandal und ein Reform-Memorandum führender Theologen in Gang setzten. Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester, Frauenordination, neue Ansätze zur Gestaltung der Gottesdienste, mehr kirchliche Wertschätzung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Geschiedene: Die Liste der Forderungen ist lang.

Viele warnen nun vor allzu großen Erwartungen an den viertägigen Besuch Benedikts. „Es wird nicht alles anders sein in Deutschland, wenn er wieder abgereist ist“, sagt Zollitsch. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der den Papst ins Parlament eingeladen hat, sieht das genau so: „Zu glauben, innerhalb von drei Tagen könne die Kirche in Deutschland, am besten die Weltkirche, von Grund auf erneuert werden und alle tatsächlich oder vermeintlich offenen Fragen gelöst, ist erkennbar wirklichkeitsfremd.“

Druck macht hingegen die kritische Laienbewegung „Wir sind Kirche“. Der Papst müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass die meisten deutschen Katholiken die Reformanliegen unterstützten, fordert Sprecher Christian Weisner.

Während sich der Papst in Freiburg an die Jugend wenden und im thüringischen Eichsfeld die ostdeutschen Katholiken würdigen will, bildet Berlin den Rahmen für den politischen Teil seiner Visite. Heraus ragt dabei seine Rede vor den Abgeordneten im Bundestag, denn Päpste treten nur selten in Parlamenten auf. Ein Teil der Opposition - etwa 100 der 620 Abgeordneten - wollen der Rede fernbleiben, weil sie das Trennungsgebot von Staat und Kirche missachtet sehen.

Doch auch anderswo in der Multi-Kulti-Hauptstadt, in der die Katholiken eine kleine Minderheit stellen, ist der Pontifex nicht willkommen. Zahlreiche Initiativen haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das eine Demonstration und andere Aktionen gegen „menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik“ des Papstes plant. „Der Protest darf auf keinen Fall den Chaoten überlassen werden“, mahnt Zollitsch. Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. wurde bei seiner Fahrt mit dem Papamobil durch die Stadt 1996 mit Farbeiern beworfen.

Die Kirche setzt Protestlern das Motto des Papstbesuchs entgegen: „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. Um die 260 000 Menschen haben sich zu den großen Gottesdiensten wie im Berliner Olympiastadion angemeldet. Schöne Bilder, die die katholische Kirche dringend braucht und für die sie 25 bis 30 Millionen Euro ausgibt. Hinzu kommen viele Staats-Millionen etwa für die Sicherheit.

Zuletzt geändert am 20­.09.2011