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Veröffentlicht am 17­.09.2011

17.9.2011 Nordwest Zeitung

Große Erwartungen in Deutschland

Papstbesuch Anhänger und Gegner des katholischen Kirchenoberhauptes bereiten sich auf Ankunft vor

Missbrauchsskandal, Kirchenkrise, Ökumene: Viele Katholiken erwarten vom Kirchenoberhaupt klare Botschaften. Ob er sie gibt, ist offen.

von Stefan Kruse
Berlin - Höher könnte der Erwartungsdruck auf Papst Benedikt XVI. vor seinem Deutschland-Besuch nicht sein. Die Katholische Kirche in seinem Heimatland steckt nach dem Missbrauchsskandal in der tiefsten Krise ihrer jüngeren Geschichte, Gläubige laufen ihr in Scharen davon. Viele von denen, die bleiben, fordern Reformen ein, wollen verkrustete Kirchenstrukturen auflösen und mehr Mitsprache. Es fehlt an Priestern, der Gemeindearbeit droht mancherorts der Kollaps.

Zu all dem soll der deutsche Pontifex die richtigen Worte finden, Impulse geben, den Weg weisen. Als ob das nicht schon Herkulesaufgabe genug wäre, soll Benedikt auch der Ökumene Schwung verleihen und im Bundestag sprechen – als erster Papst in einem deutschen Parlament.

Vom 22. bis 25. September ist Benedikt in Berlin, Thüringen und Freiburg zu Gast. Nach pastoralen Aufenthalten 2005 und 2006 ist es sein erster offizieller Staatsbesuch in Deutschland.

In Deutschland kehrten im Jahr 2010 rund 181 000 Christen der katholischen Kirche den Rücken. Das sind mehr als getauft wurden. Das hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Nur jeder achte der 24,6 Millionen Katholiken lässt sich noch beim Gottesdienst blicken.

Angesichts solcher Trübsal hofft der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, auf ein „Fest des Glaubens“. Und er erwartet eine nachhaltige Wirkung für die Jugend- und Ministrantenarbeit, eine „positive Erfahrung von Kirche“.

Eine Ursache für die Krise ist der Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen und anderen Einrichtungen. Der Papst plant dem Vernehmen nach eine – nicht öffentliche – Begegnung mit Betroffenen und will so zumindest ein symbolisches Zeichen setzen.

Ob eine andere Begegnung über Symbolik hinausgeht, bleibt abzuwarten. In Erfurt will Benedikt mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche über die Ökumene sprechen, also die Zusammenarbeit und Einheit aller nach Konfessionen getrennten Christen. Ein gemeinsames Abendmahl wünschen sich viele, die Protestanten pochen auf formelle Anerkennung ihrer Kirche durch den Vatikan.

„Es werden Erwartungen an den Papst gestellt, die er nicht erfüllen kann“, warnt der Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf. So manch weltkirchliche Entscheidung könne Benedikt nicht im Alleingang treffen. Druck macht hingegen die kritische Laienbewegung „Wir sind Kirche“: „Der eingeleitete Gesprächsprozess darf nicht zur Farce werden“, mahnt Sprecher Christian Weisner. Echter Austausch ohne Denkverbote sei nötig, der Papst müsse dafür grünes Licht geben. Immerhin: Benedikt sei „sehr interessiert“ an diesem Prozess, hieß es kürzlich nach einem Bischofstreffen mit dem Heiligen Vater in Rom.

Berlin bildet den Rahmen für den politischen Teil seiner Visite, inklusive der Rede vor den Abgeordneten im Bundestag.

Doch in der kunterbunten Hauptstadt, in der mehr Moslems als Katholiken leben, ist der Heilige Vater nicht bei allen willkommen. Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. wurde bei seiner Fahrt mit dem Papamobil durch die Stadt 1996 mit Farbeiern beworfen. Vor Benedikts Visite haben sich Dutzende Initiativen zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das eine Demonstration und andere Aktionen gegen „menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik“ des Papstes plant. Eine Gruppe kürte bereits eine „Gegenpäpstin“.

Die Kirche setzt das Motto des Papstbesuchs entgegen: „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. Man könnte es auch abwandeln und sagen „Wo der Papst vor hübscher Kulisse predigt, entstehen schöne Bilder“. Weit mehr als 200 000 Menschen haben sich zu den öffentlichen Gottesdiensten wie im Berliner Olympiastadion oder an der Wallfahrtskapelle Etzelsbach im Thüringer Eichsfeld angemeldet. Schöne Bilder, die die katholische Kirche dringend braucht und für die sie tief in die Tasche greift. Insgesamt wird sie die Reise 25 bis 30 Millionen Euro kosten.

Zuletzt geändert am 20­.09.2011