21.9.2011 newsclick
Deutschland im Papst-Fieber
Die Sänfte ist längst abgeschafft. Früher ließen sich Päpste auf derlei prachtentfaltenden Gestellen durch den Vatikan tragen, heute fährt Benedikt XVI. im Papamobil umher. Auch in Deutschland wird das so sein - die Kirchenoberen hoffen auf schönes Wetter und jubelnde Menschen. Kirche braucht starke Bilder. Sie lebt auch von der Inszenierung. Und sie macht das gut, findet der Jugendforscher Heiner Barz von der Universität Düsseldorf. „Die Kirche ist eine richtig gute Eventorganisatorin. Zumindest in diesem Punkt hat sie die Zeichen der Zeit erkannt.“
Der 2004 verstorbene Johannes Paul II. wusste um die Macht der Bilder und um seine Wirkung in den Medien. Er ließ sich beim Skifahren im weißen Anorak ablichten, bewegte sich bei modernen Kirchenliedern fröhlich im Takt und erfand den Weltjugendtag. Er war der Mann der großen Gesten, wenn er bei jeder Reise auf dem Flughafen den Boden küsste.
Und Benedikt XVI.? Ihm scheint der Jubel der Massen manchmal suspekt zu sein. Unvergessen ist sein fast ratloser Blick von der Loggia des Petersdoms nach der Papstwahl, als unten die Begeisterung aufbrandete. Er war nie ein Mann, der den großen Auftritt mochte. Lieber war ihm die Arbeit am Schreibtisch. Aber er weiß auch, was als Pontifex im Medienzeitalter vor allem auf Reisen von ihm erwartet wird: Er muss Kinder herzen, winken und lächeln.
Wer sich an der Route des Papamobils aufstellt oder wer einen Gottesdienst mit dem Papst besucht, ist nach Einschätzung von Barz, der sich mit dem Thema Jugend und Religion ausführlich befasst hat, nicht zwangsweise religiös oder mit allen Ansichten des Oberhaupts der Katholiken einverstanden. Bei den Weltjugendtagen sei dieses Phänomen gut zu beobachten: „Das ist ein Ereignis, bei dem viele junge Leute zusammenkommen. Da ist was los, das übertragen die Medien in alle Welt.“
Gerade Jugendlichen sei es da nicht so wichtig, ob sie vollkommen mit der katholischen Lehre übereinstimmen oder nicht. „Junge Leute haben auch Fragen und teilen die Standpunkte der Kirche oft nicht.“ Sie übten Kritik, etwa an der Sexualmoral der Amtskirche, nähmen aber an kirchlichen Ereignissen trotzdem teil. „Sie können diese Widersprüche aushalten.“
Sieht man Bilder von jubelnden Menschen, dann scheint so ein Papstbesuch vergleichbar zu sein mit einem Popkonzert, einem WM-Spiel oder einer royalen Hochzeit à la Kate und William. Aber der Vergleich hinkt. Der Auftritt eines Papstes ist eigentlich aus der Zeit gefallen: Benedikt XVI. trägt seine traditionell weiße Soutane, er sagt keine flotten Sprüche auf, sondern hält eher theologisch komplizierte Predigten. Und so spannend wie ein Fußballspiel ist eine katholische Messe nun wirklich nicht.
Trotzdem üben die Bilder von großen, feierlichen Messen eine gewisse Faszination auf die Menschen aus: Weihrauch, kostbare Messgewänder, festliche Musik, eine Liturgie, in der jede Handlung mit Zeichenhaftigkeit erfüllt ist.
Monika Selle, Liturgie-Expertin im Erzbistum München-Freising, war an der Organisation des Papstbesuchs in Bayern 2006 maßgeblich beteiligt. Im Prinzip, so sagt sie, ist ein Papstgottesdienst eigentlich auch nichts weiter als „eine feierliche Messe mit einem Bischof“. Dem Papst sei es damals vor fünf Jahren wichtig gewesen, den Sonntagsgottesdienst mit möglichst vielen Menschen zu feiern. Bei der Vesper am Nachmittag im Liebfrauendom wollte er sich besonders an Kinder, Eltern und Religionslehrer wenden. „Er hat Schwerpunkte gesetzt, ihm waren lebendige Feiern sehr wichtig.“
Der kirchenkritischen Gruppe „Wir sind Kirche“ ist so viel Feierlichkeit suspekt. Vor dem Deutschland-Besuch Bendikts warnt sie, die Reise dürfe nicht eine „Eventkultur nach außen“ bedienen. Es müsse um innerkirchliche Reformen gehen, anstatt Massen zu bedienen.
Der Papst als Persönlichkeit strahle eine große Faszination auf die Menschen aus, glaubt Selle. „Auch wenn es längst üblich ist, dass ein Papst in die Welt hinaus reist, ist es immer noch etwas Besonderes, ihn zu sehen.“ Zudem sei vielen Menschen das Gemeinschaftserlebnis bei großen Gottesdiensten wichtig. Schließlich empfänden sich viele Christen als „kleines Häuflein“. Bei einer großen Messe sei das anders, „da kommen richtig viele zusammen, die miteinander beten“.
Zuletzt geändert am 21.09.2011