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Veröffentlicht am 22­.09.2011

22.9.2011 Sächsische Zeitung

Kein leichter Gang

Von Peter Heimann, Berlin und Paul Kreiner, Rom
Benedikt kommt erstmals offiziell als Papst in seine Heimat. Rom spricht von seiner schwierigsten Mission, dem Vatikan sind die Teutonen unheimlich.

Gregor Gysis Verhältnis zum Heiligen Vater ist nicht besonders intensiv. In der Straße in Berlin-Johannisthal, wo er als Kind mit seinen Eltern wohnte, gab es immerhin eine katholische Kirche. Aber sonst? Gysi hat noch eine einprägsame Botschaft seines Vaters Klaus Gysi im Ohr, der für die SED in der DDR Staatssekretär für Kirchenfragen war. Gysi senior, ähnlich verschmitzt wie der Sohn, habe immer geschwärmt: Mit den Katholiken verhandle er am liebsten. „Da gibt es einen Chef wie bei uns. Und wenn der was sagt, passiert es auch“, zitiert der Junior seinen Vater. „Bei den Protestanten redeten hundert Leute und es ließ sich nichts durchdrücken.“

Obwohl selbst nicht gläubig, ist Gysi neugierig auf den Papst und dessen Rede heute im Bundestag. Er sei immer dafür, jemandem zuzuhören, sagte er. Noch lieber würde er sich länger mit ihm über die katholische Kirche unterhalten: „Wenn er mal 20 Minuten hätte – ich meine, ich mach’s auch länger.“

Nicht alle auf der linken Seite des Parlaments sehen das so. Etliche Linke, Grüne und SPDler wollen dem Plenarsaal fernbleiben: Sie sehen das Neutralitätsgebot des Staates gebrochen, weil sie die Sexualmoral, das Frauenbild oder das Kondomverbot des Papstes ablehnen – oder alles zusammen. Bei den Grünen taucht ein alter Scherz aus rot-grüner Zeit wieder auf. Warum könne Joschka Fischer nicht Papst werden? Weil der nie den Stellvertreter machen würde. Fischers damaliger Spitzname in der grünen Truppe: GV – Gottvater.

Wie viele boykottieren, ist unklar
Niemand weiß, wie viele Parlamentarier Benedikts Auftritt heurte boykottieren. Nachzählen wird man es kaum können. Freie Plätze werden mit interessierten Ex-Abgeordneten besetzt, andere mit Mitarbeitern der Verwaltung – alles in allem 170 Personen. Das ist nicht ungewöhnlich. „Bei uns sitzt bei solchen Ereignissen hinten oft der Direktor des Bundestages“, erzählt Dagmar Enkelmann, Geschäftsführerin der Linksfraktion. Sie habe Harro Semmler schon mal einen Mitgliedsantrag geben wollen. Aber der Parlamentsjurist ist schon in der FDP. Diesmal sitzt die Delegation des Papstes bei ihnen – 50 Leute. Man wird sich schon vertragen.

Für Abgeordneten-Mitarbeiter ist jeder Platz in der Nähe des Plenarsaales im hermetisch abgeriegelten Regierungsviertel tabu. Auf fünf Seiten Hausmitteilung haben sie detailliert Order bekommen, durch welche unterirdischen Gänge sie sich laufen dürfen und durch welche nicht. Manches klingt abstrus: Im Paul-Löbe-Haus müssen „ab 15.00 Uhr bis zur Abfahrt des Gastes alle Fenster geschlossen bleiben“. Während des Besuches gilt eine Sicherheitsstufe, die der des US-Präsidenten nicht nachsteht.

Zum dritten Mal fliegt BenediktXVI. heute über die Alpen – und endlich kommt er nach Deutschland. Köln im August 2005 – das war ja der Besuch beim Weltjugendtag: ein globales Dorf, extraterritorial, wenn man so will. Außerdem hatte Benedikt diesen Termin von seinem Vorgänger geerbt. Bayern im September 2006 – das war Heimatfolklore mit weißblauen Fahnen und Blaskapellen, aber auch mit Benedikts ganz eigenwilligen Akzenten: Daheim, am Stammtisch gewissermaßen, bekamen Mohammed und Protestanten ein paar gezielte Fußtritte.

Jetzt also Deutschland, im September 2011. Das volle Programm: Bund und Föderalismus, Provinz und Hauptstadt: die winzige Insel frommer Wallfahrtskatholiken im Eichsfeld, das Augustinerkloster des rebellischen Weltveränderers Luther sowie den breiten, ruhigen Fluss der südbadischen Volkskirche. All das macht sich gut. Aus römischer, aus vatikanischer wie italienischer Sicht aber wird es Benedikts schwierigste Reise.

Ablehnung, ja Feindschaft und Hass schlügen dem deutschen Papst ausgerechnet in seiner Heimat entgegen. Sie sei ihm heute weiter entrückt als jedes andere Land. So orakeln es die „Vaticanisti“ – jene Kirchenspezialisten, die aufschreiben was sie angeblich auf den „heiligen“ Fluren der Kurie hören. Häufig formulieren sie es päpstlicher als der Papst. Ihre Einschätzungen wirken oft auf die Stimmung im Vatikan selbst zurück und beeinflussen dort diejenigen Würdenträger, die von der konkreten Sache wenig Ahnung haben.

Im Dunstkreis solcher Verquickungen und Rückkopplungen erscheint Deutschlands katholische Kirche jedenfalls derzeit in den düstersten Farben. Sie sei geführt von „linken Bischöfen“, heißt es, die „vom Säkularismus beeinflusst“ seien; diese Bischöfe verlangten nach Kirchenreformen und unternähmen nichts gegen aufmüpfige Theologieprofessoren. „Da muss dann wieder der Papst ran“, heißt es. Die deutschen Bischöfe hätten sich sogar mit der rebellischen Kirchenvolksbewegung auf einen Dialog eingelassen. Das seien nicht nur „starke protestantische Schübe“, viel schlimmer: die katholische Kirche Deutschlands, die „seit Luther im Ruch des Schismas“ stehe, plane gar die Abspaltung von Rom. So gestimmt reist Benedikts vatikanischer Tross nach Deutschland. Im Kopf haben die Kurienleute die Zahlen über die stärksten Kirchenaustritte aller Zeiten und den Rückgang der Priesteramtskandidaten bis fast null. Sie haben den Eindruck: Die deutsche Kirche sei zwar stark im Reden, stehe aber im Grunde vor dem Offenbarungseid.

In der Heimat rumort es
Tatsächlich rumort es unter den Katholiken in Benedikts Heimat. So warnt die Reformbewegung „Wir sind Kirche“, drängende Missstände auszublenden. Benedikts Besuch falle in die „weltweit größte Krise der römisch-katholischen Kirche seit der Reformation“, erklärte die Organisation. Gerade die reformbedürftigen Strukturen in der katholischen Kirche würden immer mehr Menschen, die Gott suchen, den Weg in die Kirche verwehren. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sei die Zahl der Katholiken so schnell gesunken, monierte das Netzwerk. Und das, obwohl der Papst aus Deutschland komme.

Nicht zuletzt deshalb werden verschiedentlich hohe Erwartungen an den Besuch geknüpft. So hofft der Opferverband „Eckiger Tisch“, dass sich Benedikt mit Betroffenen trifft, die in katholischen Einrichtungen sexuell missbraucht wurden. In Erfurt, wo der Papst mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche über die Ökumene sprechen will, fragt man sich, ob er seine Ablehnung des gemeinsamen Abendmahls ändern werde. „Es wird nicht alles anders sein, wenn er wieder abgereist ist“, sagt Erzbischof Robert Zollitsch, Chef der Deutschen Bischofskonferenz, und dämpft solche Erwartungen.

Auch die Kosten des Papstbesuches von 25 bis 30 Millionen Euro sorgen für Diskussion. Vielen Brüdern und Schwestern sind sie zu hoch, sodass sich die Bischofskonferenz veranlasst sah zu reagieren. Es müssten deshalb keine Hilfsgelder für die kirchliche Sozialarbeit und Hilfsprojekte wie in Afrika gekürzt werden, heißt es in einer Erklärung. 53 Prozent der Deutschen erwarten ohnehin keine entscheidenden Impulse vom Papst-Besuch. Das ermittelten Meinungsforscher von Emnid. Dennoch bezeichneten sich 70 Prozent der Befragten als mehr oder weniger religiös.

Solche Signale bestätigen im vatikanischen Tross ein uraltes Gefühl: Die Deutschen, sie sind den Prälaten in Rom unheimlich. Im Vatikan versteht man sie nicht. In der Kurie haben Italiener und Spanier das geistige Übergewicht; sie sehen „Kirche“ im Horizont ihrer eigenen Länder. Dass die deutsche Kirche in einem anderen religiösen und gesellschaftlichen Umfeld agiert, dringt nicht ins Bewusstsein oder wenn, dann erzeugt es Verdachtsmomente. Für Italiener und Spanier sind beispielsweise Protestanten nur gesellschaftliche und geistliche Randphänomene. Wo aber beide Konfessionen gleich groß und gesellschaftlich gleich wichtig sind, dann schafft das eine ganz andere Situation und drängt zu Fragen, die vielen in Rom noch nicht einmal in den Sinn kommen.

In Italien ist der Draht zwischen Vatikan und Politik extrem kurz. Die Kurie überlässt die Kontakte nicht der Bischofskonferenz, wie es in allen anderen Staaten Usus ist. Der zuständige Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone regiert auf verschlungenen Wegen mit und weiß: Gegen ihn traut sich Italiens Regierung keine Politik machen.

Die Tatsache, dass Deutschland die „eingetragenen Lebenspartnerschaften“ zugelassen hat und dass die Bischöfe das nicht verhindern konnten und vielleicht nicht verhindern wollten, macht den Vatikan fassungslos. Und dass ein Regierungschef ungeniert den Papst kritisiert – wie Angela Merkel bei der Rehabilitierung des Piusbruders und Holocaust-Leugners Richard Williamson – das wüsste man in Italien schon vorab zu verhindern. Wer gar die Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester verlangt oder für Wiederverheiratete die Zulassung zu den Sakramenten – zwei Hauptforderungen der „Reformer“ in Deutschland – gerät in Rom leicht in den Verdacht von Ketzerei und Verrat.

Gemischte Gefühle in Rom
Mit merkwürdig gemischten Gefühlen steht Rom denn auch der Aufdeckung der deutschen Missbrauchsskandale gegenüber. Es gibt dazu im Vatikan im Prinzip drei Positionen: Einige sind wie Benedikt zutiefst erschüttert. Andere verhehlen nur mit Mühe eine Art Genugtuung darüber, dass es die selbstbewussten Teutonen auch mal erwischt hat. Die Dritten winden sich: Nun ja, vielleicht haben die Berliner Jesuiten, als sie die Ermittlungslawine lostraten, zum Schaden von Mutter Kirche ein wenig übertrieben. Im Vatikan lässt man diese Affären lieber in Deutschland und spöttelt: Der Papst wird schon gewusst haben, warum er nur Bischöfe Irlands zum Rapport bestellt hat.

Als Ratzinger 2005 Papst wurde, wurde er nicht als Deutscher gewählt – das hat im nationalen Jubel damals mancher falsch verstanden. Ratzinger wurde gewählt wegen seiner überragenden persönlichen Autorität sowie als erprobter Wegbegleiter des „großen Johannes Paul II.“ Ratzinger wurde gewählt als Mann der Kirche. Und als solcher wird er ab heute vor allem für eindrucksvolle Bilder sorgen – mit Hunderttausenden von Menschen, die ihm zujubeln. Vielleicht nimmt diese Euphorie den Skeptikern in Benedikts vatikanischem Anhang etwas die Scheu vor den Teutonen. (mit dapd und dpa)

Zuletzt geändert am 22­.09.2011