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Veröffentlicht am 22­.09.2011

22.9.2011 Tiroler Tageszeitung

Zwischen Gottvertrauen und Distanz

Die Erwartungen der Deutschen an den Papst sind hoch – nicht nur die der Katholiken. Der erste offizielle Besuch des bayerischen Pontifex Benedikt XVI. lässt jedenfalls kaum einen Bundesbürger kalt.

Von Gabriele Starck
Berlin – Wir sind Papst. Mit dieser Schlagzeile nach der Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Oberhaupt der katholischen Kirche im Jahr 2005 schrieb die Bild Zeitungsgeschichte. Und sie scheint heute noch den Punkt zu treffen, geht man von den Emotionen aus, die im offiziellen Deutschland schon Wochen vor der heutigen Ankunft des Pontifex in seinem Heimatland hochkochten. Dabei ist gerade einmal ein Drittel der Deutschen katholisch. Ein weiteres Drittel gehört einer Evangelischen Kirche an, ein Drittel ist konfessionslos oder zählt zu anderen Glaubensrichtungen (ca. neun Prozent).

Doch nicht das Bekenntnis an sich ist es, das erregt. Vielmehr sind es die Enttäuschungen, Erwartungen, Hoffnungen und die Ablehnung, die mit ihm verbunden sind, und die Tatsache, dass die meisten Bundesbürger eine Haltung zu Benedikt XVI. haben – dem immerhin mächtigsten Deutschen in der Welt.

Da sind einmal die Katholiken selbst: Dass die kühnsten Erwartungen hinsichtlich der Kartennachfrage für die Gottesdienste bei Weitem übertroffen wurden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die katholische Kirche auch in Deutschland in einer Krise befindet. Der Missbrauchsskandal ließ 2010 die Austrittszahlen explodieren. 181.000 Deutsche kehrten der katholischen Kirche den Rücken, erstmals mehr, als getauft wurden. Umso mehr pocht die Laienorganisation „Wir sind Kirche“ auf klare Reformsignale des Papstes bei seinem dritten, aber ersten offiziellen Besuch in der Heimat. Doch Zölibat, Priesterweihe für Frauen, ja nicht einmal die Kommunion für Wiederverheiratete dürften in den nächsten Tagen wirklich Thema sein.

Hoffnungen setzen auch die Gläubigen der Evangelischen Kirche (EKD) in die päpstliche Visite. Die Begegnung mit dem Papst morgen in Erfurt wurde von Vertretern der EKD im Vorfeld gar als „historisch für die Ökumene“ bezeichnet. Doch der Pontifex selbst hat bereits die hohen Erwartungen gedämpft. Es seien keine Sensationen zu erwarten, meinte er in seinem Wort zum Sonntag vor einigen Tagen. Immerhin hat Benedikt einst als Kardinal selbst die Trennlinie zwischen Katholiken und Protestanten in der Erklärung „Dominus lesus“ von 2000 scharf nachgezogen und die Position erneuert, die den Protestanten den Status einer Kirche verwehrt und sie nicht zur Kommunion zulässt.

Doch nicht nur die Gläubigen machen mobil, sondern auch Kritiker. So haben sich 67 Organisationen zum Bündnis „Der Papst kommt“ zusammengeschlossen und wollen heute gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes protestieren. Insgesamt sechs Demos sind angemeldet. Bis zu 20.000 Teilnehmer erwartet das Bündnis bei dem Protestzug, der zeitgleich mit der Rede des Pontifex im Bundestag stattfinden soll. Bereits für Mittag ruft die „Bundesinitiative Kinder im Heim“ zu einer Aktion auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor auf. Rund 500 Heimkinder, die Opfer sexueller Gewalt wurden, wollen dort gemeinsam schweigen und beten, wie die Initiative mitteilte.

Doch bei aller Distanz und Kritik, die dem Papst im Vorfeld der Deutschlandvisite entgegenschlug, Benedikt XVI. vermochte schon auf manch einer seiner Reisen Begeisterung in den Menschen zu wecken. Und darauf setzen ab heute auch Deuschlands Bischöfe.

Zuletzt geändert am 22­.09.2011