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Veröffentlicht am 25­.09.2011

25.9.2011 ZEIT online

Katholische Kirche Der verlorene Vater

Deutsche Katholiken gehen auf Distanz zu ihrem Papst. Sie wollen eine Kirche diesseits autoritärer Allüren.

© Kay Nietfeld/dpa
Atheisten waren früher mal bedauernswerte Menschen. Sie hatten keinen Gott, sie waren ganz allein im Universum, und sie wussten nicht, wohin die letzte Reise geht. Daran hat sich zwar seit Feuerbach nicht viel geändert, doch in diesen Tagen müssen Christen Gottlose beneiden. Denn wer keinen Gott hat, hat auch keinen Papst. Und wer keinen Papst hat, braucht sich nicht von ihm zu distanzieren. Jene Katholiken aber, die hierzulande immer zahlreicher gegen Benedikt XVI. als Restaurator ihrer Kirche opponieren, deren beste Argumente seit Jahren ungehört verhallen, werden durch die Feier des Bestehenden beschämt. Man sieht ihr dringendes Reformverlangen, man hört das dröhnende Schweigen der Kurie, und man denkt an Arno Schmidt, der einmal schrieb: »Wenn ich nicht von Geburt an Atheist wäre, würde mich der Anblick Deutschlands dazu machen.«

Was ist eigentlich so unerträglich an diesem deutschen Papst? Warum muss die KirchenVolksBewegung ihn gleich mit ein paar Hundert kritischen Botschaften begrüßen? Weil er selber die Welt nicht erträgt. Benedikt nennt die freie Gesellschaft eine »Diktatur des Relativismus« und eine »Kultur des Todes«. Er stilisiert die Religion zur Gralshüterin der Moral und verprellt damit nicht nur Atheisten, sondern alle, die unsere aufgeklärte Ethik, unsere von Göttern unabhängigen Gesetze für einen Fortschritt halten. Als Joseph Ratzinger noch Chef der Glaubenskongregation war, erklärte er, warum Rom keine innerbetriebliche Demokratisierung braucht: »Wir wissen ja, dass die Demokratie selbst ein gewagter Versuch ist, dass das Entscheiden nach dem Mehrheitsprinzip nur einen bestimmten Rahmen menschlicher Dinge regulieren kann. Es wird zum Unding, wenn es auf Fragen der Wahrheit, des Guten selbst ausgedehnt würde.« Was wahr und gut ist, ist nicht diskutierbar?

Das ist der Kern einer despotischen Theologie. Aber man muss kein Theologe sein, um aus solchen Sätzen zu verstehen, warum sich der Vatikan unter Benedikts Ägide nicht vorwärtsbewegt. Benedikt fürchtet die Demokratie. Seine Kirche soll so autokratisch werden, wie sie angeblich immer war. Als hätte es den ewigen innerkatholischen Streit um das Wesen des Papsttums und die Weisungsbefugnisse Roms nie gegeben. Als hätte nicht sogar zu dogmatischsten Zeiten ein Theologe wie Ignaz von Döllinger gesagt: »Uns ist die katholische Kirche keineswegs identisch mit dem Papsttum.«

Zurecht wird der Papst nun in Deutschland kritisiert, das ja nicht nur protestantisch, sondern auch Heimat des Idealismus ist. Von Hegel wissen wir, was eine veräußerlichte Religion ist: Sie hüllt sich in goldene Gewänder, aber kennt keine innere Denkbewegung. Sie glänzt ein letztes Mal, bevor sie im Geist erstarrt. Darum opponieren längst nicht mehr nur Linkskatholiken wie Hans Küng, nicht nur Dissidenten wie Eugen Drewermann und Protestantenfreunde wie Gotthold Hasenhüttl, sondern immerhin zwei Drittel aller katholischen Universitätstheologen – und auch Konservative wie David Berger, der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift Theologisches.

»Wenn der römische Nuntius bei den Vereinten Nationen dafür eintritt, dass Staaten wie Uganda weiterhin Homosexualität mit dem Tode bestrafen dürfen, dann steht das im Gegensatz zu unserer Rechtsauffassung«, sagt Berger. Immer wieder stelle der Vatikan sich in völkerrechtlichen Fragen auf die Seite Irans und werde mitschuldig an Verbrechen. »Dann präsentieren die Mullahs im Internet Fotos von homosexuellen 17-Jährigen, die an einem Baukran aufgehängt wurden. Was hat das mit Religionsfreiheit zu tun?« Aus Protest ist Berger aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts ausgetreten, sieht sich aber weiter als Katholik. Außerdem bekannte er sich in seinem Bestseller Der heilige Schein als Homosexueller, um die Heuchelei der Kurie zu geißeln. »Dass Benedikt die Rechte der Einzelperson missachtet und gegen die Demokratie seine Diktatur der Wahrheit setzt, passt nicht zu unseren freiheitlichen Grundsätzen.«

Berger will nicht leugnen, dass Reformen schwierig sind. Doch am Anfang der Kirche fielen die Wahrheiten auch nicht vom Himmel, sondern hätten sich durch gemeinschaftliche Begegnung mit dem Evangelium herausgebildet. Er hält es mit Thomas von Aquin, der Theologie und Philosophie als unabhängige Denkformen sah, die den Weg in die Zukunft weisen. Benedikt dagegen habe ein Faible für Bonaventura, der die Philosophie als Magd der Theologie sah. »Der Papst stellt die Vernunft unter Aufsicht. Er schaut in einen Abgrund der Verderbnis und sieht als einzigen Ausweg einen fundamentalen Katholizismus.« Daraus werde dann eine Art Stalinismus. Längst sei die Denunziation nach Rom ein beliebtes, auch vom Papst belobigtes Mittel, um politische Ziele durchzusetzen.

Es ist eben kein Zufall, dass Rom die klerikalfaschistischen Piusbrüder umarmte, aber die Reformkatholiken jetzt als reformatorische Abweichler dastehen lässt. Die haben einen Papst, der zwar treu den alten Auftrag Jesu Christi an Petrus erfüllt: »Weide meine Schafe!«, aber nicht einsieht, dass Menschen keine Schafe sind. Er ist ein Hirte alter Schule, deshalb muss er den Zaun befestigen. Deshalb kann er die Diskriminierung der Schwulen so wenig aufheben wie die Ungleichberechtigung der Frauen. Deshalb kann er die Vertuschung des Kindesmissbrauchs nicht aufklären, weil er sich sonst über die eigene Macht aufklären müsste.

Zuletzt geändert am 25­.09.2011