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Veröffentlicht am 26­.09.2011

26.9.2011 Südwest Presse

Auf Distanz zum Papst

Der Brückenschlag ist nicht gelungen. Auf den Wunsch nach innerkirchlichen Reformen ging Papst Benedikt XVI. nicht ein. Die Reformkatholiken lassen sich davon nicht entmutigen. Zumindest nicht in Freiburg.

Im Foyer duftet Zwiebelkuchen. Drinnen im Festsaal werden bunte Holzstühle um einen weiß geschmückten Tisch geschoben. Baguette und Weintrauben liegen bereit. In Kürze wird im Glashaus im Freiburger Stadtteil Rieselfeld eine kirchliche Agape-Feier, ein Gastmahl für Suchende und Ausgegrenzte, gefeiert. Eine bunte Menschenmischung versammelt sich da um den Altar. Obdachlose aus dem Armutscamp der Caritas, die vor Tagen aufgebrochen sind, an diesem Wochenende dem Papst in Freiburg nahe zu sein, ergraute Reformkatholiken, Geschiedene, vereinzelt junge Menschen. Die kleinste, Lea, 16 Monate alt, trägt ein rosa T-Shirt mit der Schrift "Päpstin 2060". Ist das die Kirche von morgen?

Stunden davor ist im selben Raum noch über "Papst - Macht - Zukunft" diskutiert worden. Ein Bündnis aus Kirchenreformgruppen hatte dazu eingeladen. Hat der Papst die Hoffnungen der rund 100 Versammelten erfüllt? Enttäuschung überwiegt. Der Ton gegenüber den Protestanten in Erfurt wird als brüsk empfunden, das Schweigen zu innerkirchlichen Reformen als unheilvolle Bestätigung.

"Wir dürfen nicht immer nach Rom schauen, wir müssen uns selbst auf die Hinterfüße stellen", folgert die Innsbrucker Religionspädagogin Martha Heizer daraus. Seit Mitte der 90er Jahre ist sie bei "Wir sind Kirche" aktiv. Damals hätten österreichische Landsleute noch mit Telefonterror und Morddrohungen auf solch ein Engagement reagiert. Zu herausfordernd war damals die Kritik an Rom, zu unerhört die Forderungen nach einer stärkeren Beteiligung von Laien in der Kirche, Weiheämtern für Frauen, nach Gewaltenteilung im kirchlichen System und mehr Transparenz.

Inzwischen hat sich die Stimmung geändert. Als die Gruppe jetzt ohne Priester und unter dem Vorsitz einer Frau Eucharistie feierte und das vom TV-Sender ORF filmen und ausstrahlen ließ, sei die Zustimmung enorm gewesen. "Endlich ändert sich etwas", hätten die Leute gesagt und geschrieben. Martha Heizer: "Der Rückhalt ist momentan grandios." Laien und rund zehn Prozent der Kleriker in Österreich gehen derzeit in aller Öffentlichkeit auf Distanz zu Rom. Die kaum mehr zu leistende Seelsorge in XXL-Gemeinden treibt sie dazu.

Offen kirchliche Regeln brechen, weil sich mit Zustimmung Roms nichts bewegt? Der Tübinger Theologieprofessor Hermann Häring ermuntert dazu. "Wir müssen jetzt anfangen, die gemeinsamen Regelverstöße offen zu machen." Vieles an praktischer Seelsorge wird in Kirchengemeinden bereits gelebt: die Abendmahlsgemeinschaft mit evangelischen Christen, die Zuwendung zu wiederverheirateten Geschiedenen, die Aufwertung von Frauen in der Kirche, das Miteinander mit schwulen und lesbischen Christen. Auch neue Formen von Gottesdiensten werden bereits praktiziert. "Wir sollten nicht einer Papst-Fixierung unterliegen", sagt Häring, sondern ausgestattet mit dem guten theologischen Fundament vorangehen. Man brauche die deutsche Kirche als Mutmacher für die Weltkirche. "Was heute das Bewusstsein bildet, wird sich spätestens in 20 Jahren auszahlen", glaubt er.

Ob das zu einer Kirche führt, die weniger von der päpstlichen Autorität und totalem Wahrheitsanspruch lebt als vielmehr von Brüderlichkeit und gelebter Nächstenliebe, die sich nicht mehr konzentriert auf die Verehrung einer Person und sich verschließt gegenüber Neuem, wird die Zukunft zeigen. Auf einen Ruck aus Rom warten will jedenfalls Roland Saurer nicht mehr. Der weißhaarige Caritas-Beauftragte für das Obdachlosen-Camp orientiert sich lieber an Befreiungstheologen aus Lateinamerika. "Wer hindert uns daran, die Option für die Armen in die Tat umzusetzen?", fragt er. Glaubwürdigkeit misst sich für ihn in tätiger Nächstenliebe. Auch Magdalena Gässner aus Ebringen bei Freiburg geht auf Distanz zur Kirchenhierarchie. "Ich bin nicht Papst. Ich bin Kirche", sagt sie. In ihren Augen hat die Reformbewegung "Wir sind Kirche" vor Jahren eine Herdplatte angemacht. "Jetzt spüre ich, wie etwas zu köcheln beginnt."

Einen Aufbruch nimmt auch eine junge Religionslehrerin aus Stuttgart wahr. Jahrelang lief sie in ihrer Kirchengemeinde an die Wand. "Das ist Sache des Bischofs", hieß es dort, wenn sie über Änderungen diskutierten. "Wenn man jahrelang an Strukturen scheitert, muss man dort hingehen, wo man sich für andere Strukturen einsetzt." Seit dem Missbrauchsskandal und seit der Annährung Roms an die Pius-Bruderschaft sind in diversen Kirchengemeinden neue Reformgruppen entstanden. Dem Aufruf Hermann Härings, sich mehr auf Jesus, weniger auf die Kirchenhierarchie zu besinnen, kommen sie bereits nach.

Zuletzt geändert am 26­.09.2011