26.9.2011 - Süddeutsche Zeitung
Papst verlangt Treue zum Vatikan
Benedikt XVI. empfiehlt deutschen Katholiken eine „Vertiefung des Glaubens“ statt kirchlicher Reformen
Von Matthias Drobinski
Freiburg – Papst Benedikt XVI. hat die Katholiken in Deutschland ermahnt, mit Rom verbunden zu bleiben. Die deutsche Kirche werde für die weltweite katholische Gemeinschaft ein Segen sein, „wenn sie treu mit den Nachfolgern des heiligen Petrus und der Apostel verbunden bleibt“, sagte er vor 100 000 Zuhörern in Freiburg. Er beklagte, dass der Glaube in Deutschland schwach geworden sei. Ohne vertieften Glauben aber müssten alle Strukturreformen scheitern.
Die Reden des Papstes am Samstag und am Sonntag in Freiburg gelten als Absage an die Reformwünsche vieler Katholiken und auch als indirekte Aufforderung an Robert Zollitsch, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den Schwerpunkt des von ihm initiierten Dialogprozesses weniger auf Strukturfragen zu legen und mehr auf die geistliche Erneuerung der Kirche.
Am Samstagabend sagte der Papst den Vertretern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, die Krise der Kirche sei in Wahrheit eine „Krise des Glaubens“. Ohne eine wirkliche Erneuerung des Glaubens müssten strukturelle Reformen wirkungslos bleiben. Wenn jemand aus einem fernen Land nach Deutschland käme, würde er sich wundern über den Reichtum auf der einen und die Armut an Glauben auf der anderen Seite, sagte er den Vertretern des Laienkatholizismus.
Es gebe in der katholischen Kirche in Deutschland einen „Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist“. Die Kirche sei „bestens organisiert“, aber man müsse sich fragen, ob dahinter auch eine entsprechende geistige Kraft stecke. Der Papst beklagte, die Gesellschaft sei „weithin durch einen unterschwelligen, alle Lebensbereiche durchdringenden Relativismus gekennzeichnet“, der immer mehr an Einfluss gewinne.
Am Sonntag erklärte Papst Benedikt im Freiburger Konzerthaus zum Abschluss seiner Reise, die katholische Kirche brauche eine „Entweltlichung“ – gerade „nach den schmerzlichen Skandalen der Verkünder des Glaubens“. Um „ihre Sendung zu verwirklichen“, werde sie „immer wieder auf Distanz zu ihrer Umgebung gehen“ müssen, sagte der Papst. Es gehe nicht darum, „eine neue Taktik zu finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen“, sondern darum, „jede bloße Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu suchen“. Die „Weltlichkeit der Kirche abzulegen“ bedeute nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern in der Welt die „Herrschaft der Liebe Gottes“ zu bezeugen.
Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück, sieht sich dennoch durch den Papst bestärkt. „Er hat unsere Arbeit gewürdigt“, erklärte er. Allerdings sei „bekannt, dass Papst Benedikt XVI. eine gewisse Skepsis gegenüber Strukturen und Organisationen“ habe. Ziel des Dialogprozesses sei „nicht eine vordergründige Modernisierung der Kirche“. Die Reform-Gruppe „Wir sind Kirche“ zeigte sich enttäuscht. Für Christen sei es nun „Recht und Pflicht, nicht mehr auf weitere Schritte der Kirchenleitung zu hoffen, sondern dem eigenen Gewissen zu folgen“.
Papst Benedikt XVI. hatte bei seiner viertägigen Reise Berlin, Erfurt, Etzelsbach im Eichsfeld und Freiburg besucht. In Berlin hatte er als erster Papst vor dem Bundestag geredet, im Erfurter Augustinerkloster die Spitzen der evangelischen Kirche getroffen. Insgesamt kamen ungefähr 300 000 Gläubige zu den Gottesdiensten – mehr als die Veranstalter erwartet hatten, aber nur halb so viele, wie vor fünf Jahren zu den Gottesdiensten des Papstes in Bayern kamen. (Seiten 2, 4 und 6)
Bildunterschrift: Abschlussauftritt in Freiburg: Papst Benedikt XVI. nahm in seiner Predigt am Sonntag die deutschen Katholiken ins Gebet. Es gebe zu viele Debatten über die Modernisierung der Kirche – und zu wenig Treue zum Vatikan. Die eigentliche Krise der Kirche in Deutschland, sagte Benedikt, sei „eine Krise des Glaubens“.
Zuletzt geändert am 27.09.2011