8. September 2006 - Financial Times Deutschland
Deutsche Katholiken streiten über Oberhaupt
An Joseph Ratzinger scheiden sich in seiner Heimatkirche immer noch die Geister: Die einen sehen ihn als Impulsgeber, die anderen als unverbesserlichen Konservativen.
Für den Freiburger Herder-Verlag war die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst der Beginn einer Erfolgsgeschichte: "Wir hatten einen Riesenboom", sagt Sprecherin Christine Weis. "Das war wie ein Fingerzeig von oben." Sowohl eigene Texte Ratzingers als auch seine Biografien verkauften sich glänzend - ein Effekt, der sich nach dem Besuch des Papstes beim Weltjugendtag in Köln wiederholte.
Die Neugier auf den Deutschen im Vatikan geht einher mit einem generell gestiegenen Interesse an spirituellen Themen. "Religion wird unverkrampfter besprochen als noch vor einigen Jahren", sagt Maria-Luise Schneider, Vizedirektorin der Katholischen Akademie in Berlin. "Sie ist für viele zu einem existenziellen Thema geworden." Ein Auslöser war nach Ansicht vieler Experten die Bedrohung durch den Islamismus, die die Menschen bewegte, sich mit ihren christlichen Wurzeln zu befassen.
"Wir sprechen schon von einem Papstfaktor"
Ob der neue Trend allerdings auch zu frischem Wind in den christlichen Kirchen Deutschlands führt - darüber sind die Beobachter uneins. "Wir sprechen schon von einem Papstfaktor", sagt Martina Höhns von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Es gebe ein "neues Selbstbewusstsein bei deutschen Katholiken", das sich im Religionsunterricht und in den Gemeinden äußere. Nach DBK-Angaben sinkt die Zahl der Kirchenaustritte, während die der Eintritte zunimmt - wenn auch auf bescheidenem Niveau. Zudem steige die Bereitschaft bei Jugendlichen, sich als Messdiener zu verpflichten. Bei Kritikern der Amtskirche hingegen ist die Skepsis groß. "Natürlich ist ein Interesse an Spiritualität zu erkennen", sagt Uwe-Karsten Plisch von der Initiative Kirche von unten. "Aber es ist sehr fraglich, ob das die Kirchen noch erreicht."
An der Person Benedikts XVI. scheiden sich nach wie vor die Geister. Zwar bescheinigen auch Kritiker wie Plisch dem einstigen obersten Glaubenswächter, er sei "im Tonfall konzilianter" geworden. In der Sache aber liegen große Teile der deutschen katholischen Kirche mit ihrem Oberhaupt über Kreuz. Für heftigen Streit sorgte im vergangenen Jahr der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, als er den Diözesanrat abschaffte und damit die Rechte katholischer Laien in seinem Bistum massiv einschränkte. Nun beehrt Benedikt XVI. den Bischof mit seinem Besuch, was von Kritikern als Zeichen der Billigung der katholischen Laien gedeutet wird. "Der Papst duldet diese Entwicklung, sonst hätte Müller damit gar nicht erst angefangen", sagt Christian Weisner von der Bewegung "Wir sind Kirche".
Für Kritik sorgte auch, dass die deutschen Bischöfe im Juni auf Druck Roms ihren Kirchenbediensteten untersagten, bei der katholischen Schwangerenberatung Donum Vitae mitzuarbeiten. Ratzinger hatte einst als Präfekt der Glaubenskongregation dafür gesorgt, dass die Kirche aus der gesetzlichen Konfliktberatung ausstieg, weil die von den Beratern ausgestellten Scheine auch eine legale Abtreibung ermöglichen.
Gelungene Öffentlichkeitsarbeit
Dass Benedikt mittlerweile von vielen Theologen in einem milderen Licht gesehen wird als zu Beginn seiner Amtszeit, hält Weisner für das Resultat einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit. "Er lächelt jetzt mehr in die Kamera, aber seine Aussagen sind praktisch dieselben geblieben", sagt er. Ob beim Thema Beteiligung von Frauen, Empfängnisverhütung oder Ökumene - eine Bewegung sei nicht erkennbar.
DBK-Sprecherin Höhn hingegen sieht bei Ratzinger in seinem neuen Amt mehr Bereitschaft zur Flexibilität: "Er hat jetzt mehr Freiheiten als zuvor - das ist sichtbar." Anhänger des Papstes verweisen gern auf dessen Treffen mit dem kirchenkritischen Theologen Hans Küng im September 2005. Doch auch dies lassen Kritiker nicht gelten. Reformthemen seien bei dem Gespräch "von vornherein ausgeklammert" gewesen, heißt es bei "Wir sind Kirche".
Der Besuch im katholisch eher konservativen Bayern dürfte in diesen Streitfragen kaum neue Erkenntnisse bringen. "Der Papst fährt nicht nach Deutschland", sagt Plisch von Kirche von unten. "Er fährt nach Hause."
Zuletzt geändert am 08.09.2006